Homöopathie im Sommer |
Brigitte M. Gensthaler |
23.06.2020 09:00 Uhr |
Eine gut bestückte homöopathische Hausapotheke hilft, die Widrigkeiten des Sommers gut zu überstehen. Dazu zählen vor allem Arnica, Belladonna, Aconitum, Apis und Gelsemium. / Foto: Adobe Stock/Kunstzeug
Mit wenigen homöopathischen Mitteln lassen sich viele auf den ersten Blick recht unterschiedliche Beschwerden lindern. In der Selbstbehandlung werden Homöopathika organbezogen und in Niedrigpotenzen verwendet. Das richtige Mittel wird nach den Beschwerden und deren Auslöser sowie dem aktuellen Befinden des Patienten gewählt. Die Dosierung richtet sich meist danach, wie akut die Symptome sind (Kasten).
Als erstes Mittel der Big Five sei der Klassiker der Homöopathie genannt: Arnica montana. Ein Standardmittel zur Wundheilung und das Erste-Hilfe-Mittel für stumpfe Verletzungen ist Arnica montana (Bergwohlverleih), meist als D 6 eingesetzt. In hochakuten Fällen hat sich die Einmalgabe von Arnica D 30 bewährt.
Bei oberflächlichen Wunden, Prellungen, Quetschungen, Zerrungen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen, zum Beispiel infolge von Unfällen, Stürzen oder beim Sport, sowie bei Muskelkater nach Überanstrengung ist Arnica das Mittel der Wahl. Typisch ist, dass der Patient sich »wie geprügelt, wund und lahm« fühlt. Die verletzte Stelle, manchmal auch der ganze Körper reagiert sehr empfindlich auf Berührung und Bewegung. Auch bei Blutergüssen nach Schlag, Stoß oder Fall sowie Blutungen und Nasenbluten, zum Beispiel nach einem Sturz vom Roller oder Fahrrad, hilft Arnica und mildert das Anschwellen. Es eignet sich ebenso, wenn die Haut nach einer Verbrennung dunkelrot und sehr berührungsempfindlich ist.
Treten Rücken- und Gelenkschmerzen nach Überanstrengung und Überlastung oder nach Unterkühlung und Durchnässung auf, ist Rhus toxicodendron D 12 (Giftsumach) die richtige Wahl. Gut bewährt hat es sich bei Sportverletzungen und Muskelkater infolge von Kälte, Nässe und Überlastung. Wichtig: Die Schmerzen sollen aus der Bewegung heraus entstanden sein. Zweimal täglich eine Gabe, auch im Wechsel mit Arnica.
Neben dem »Verletzungsmittel« Arnica sollte das Apothekenteam immer an Hypericum perforatum D 12 (Johanniskraut, dreimal täglich) denken, wenn nervenreiches Gewebe, zum Beispiel Finger oder Zehen, verletzt oder gequetscht sind. Wer aufs Steißbein gefallen ist oder sich einen Splitter unter den Fingernagel gestochen hat, weiß das Mittel zu schätzen. Typisch ist ein schießender Schmerz entlang der betreffenden Nerven. Man kann Arnica und Hypericum ebenfalls im Wechsel einnehmen. Dies hilft auch gut bei schmerzhaften Zahnbehandlungen und nach dem Zahnziehen.
Bei glatten Stich- und Schnittwunden, also auch nach Operationen, Kaiser- oder Dammschnitt oder bei Verletzungen durch Glasscherben ist Staphisagria D 6 (Delphinium staphisagria, Stephanskraut) angezeigt. Es ist ein bewährtes Mittel bei Blasenreizung nach zu viel oder zu heftigem Sex, Tipp: Staphisagria wirkt gut bei akutem Gerstenkorn. Dreimal täglich eine Gabe.
Plötzlich auftretende, akute nicht-eitrige Entzündungen, vor allem im Kopf (Mandeln, Ohren, Rachen), weite Pupillen, trockene Schleimhäute, heißes Gesicht, hohes Fieber und dampfender Schweiß: Diese Symptome verweisen auf den Klassiker Belladonna D 6 (Atropa belladonna, Tollkirsche), der zu den wichtigsten Akutmitteln am HV-Tisch gehört. Typisch sind krampfartige, pulsierende, klopfende Schmerzen. Daher hilft Belladonna auch, wenn sich Blasenentzündung, Regelschmerzen, Kopfschmerzen und Migräne so präsentieren.
Die Leitsymptome von Belladonna sind rot, heiß, brennend: die Kennzeichen eines Sonnenbrands mit schmerzhaft geröteter, heißer Haut. Das Homöopathikum kann die Lokalbehandlung mit einem kühlenden oder desinfizierenden Topikum unterstützen. Bewährt hat es sich zudem als Erste Hilfe bei Sonnenstich, wenn der Patient ein rot-schweißiges Gesicht, pulsierende Kopfschmerzen und weite Pupillen hat. Bei Verdacht auf Sonnenstich: Erste Hilfe leisten und sofort den Notarzt rufen!
Im hochakuten Fall mehrmals alle 15 bis 30 Minuten eine Gabe: Das sind fünf Globuli oder Tropfen für Kinder ab sechs Jahren und Erwachsene, drei Globuli für kleinere Kinder, ein Globulus für Säuglinge.
Im Akutfall (bei aufwallenden starken Beschwerden): alle ein bis zwei Stunden eine Gabe und bei Anzeichen der Besserung schrittweise reduzieren auf dreimal täglich.
Im Normalfall (bei milden Symptomen oder wenn starke Beschwerden wieder abklingen): zwei- bis dreimal täglich eine Gabe.
Bei leichteren Verbrennungen, wie sie etwa beim Grillen vorkommen können, eignet sich Belladonna im Anfangsstadium. Bilden sich Blasen (Verbrennungen zweiten Grades), ist Cantharis D 6 (Spanische Fliege) das richtige Mittel. Auch Wanderer schätzen dieses Mittel, wenn sie sich bei langen Touren Blasen an den Füßen gelaufen haben. Auch für Frauen, die häufig unter hochakuter Blasenentzündung mit starken Schmerzen und Brennen beim Wasserlassen leiden, ist Cantharis ein guter Tipp.
Der zweite Klassiker bei fieberhaften Infekten und der dritte Vertreter der Großen Fünf ist Aconitum D 6 (Aconitum napellus, Blauer Eisenhut). Typischerweise beginnt das Krankheitsgeschehen plötzlich und sehr heftig, sei es Fieber, Entzündung, Nerven- und Kopfschmerzen oder ein Pseudokrupp-Anfall. Die Haut ist heiß und trocken, der Puls hart und schnell. Sobald der Schweiß ausbricht, ist Belladonna ein gutes Folgemittel. Häufige Auslöser sind Kälte und kalte Zugluft, zum Beispiel bei Autofahrten mit offenem Fenster oder im Cabrio oder bei schlecht eingestellter Klimaanlage. Aber auch Fieber mit Schüttelfrost nach einem windigen Badetag deutet auf Aconitum als Erstbehandlung hin.
Typische Begleiterscheinungen sind große Unruhe und Angst bis zur Panikattacke. Daher eignet sich Aconitum auch bei Einschlafstörungen durch innere Unruhe, Angst und Ärger oder nach einem Alptraum sowie bei Herzklopfen und Herzrasen mit Angstzuständen. Es ist ein bewährtes Mittel bei allen Beschwerden, die infolge von Schock oder großem Schreck auftreten.
Verläuft ein fieberhafter Infekt nicht so heftig und dramatisch, sollte das Apothekenteam an Ferrum phosphoricum D 6 denken. Der Patient niest häufig, leidet unter starkem Fließschnupfen, mitunter Nasenbluten und lästigem Reizhusten. Typisch sind die geschwollenen Lymphknoten am Hals. Die Gesichtsfarbe wechselt zwischen blass und rot. Besonders hilfreich ist Ferrum phosphoricum D 6 – meist im Wechsel mit Belladonna – bei der akuten nicht-eitrigen Mittelohrentzündung (in Absprache mit dem Arzt). Bei wiederkehrender Otitis media kann man Ferrum phosphoricum D 12 vorbeugend einnehmen (einmal täglich fünf Globuli für drei Wochen).
Kein Sommer ohne Insektenstiche! Welches Homöopathikum hilft, hängt vom Beschwerdebild und der Hautreaktion ab. Schwillt die Hautstelle stark an, ist heiß, brennt und juckt, ist Apis mellifica D 6 (Honigbiene) – die Vierte im Fünferbunde - angezeigt. Typisch ist eine glasige blasse Schwellung der Haut. Das Mittel wird auch »homöopathisches Antihistaminikum« genannt und kann mit einem lindernden Topikum kombiniert werden.
Apis D 6 wirkt auf Haut und Schleimhäute beruhigend und abschwellend, zum Beispiel bei einer Halsentzündung mit stechenden Schmerzen und glasig-blassrot geschwollener Rachenschleimhaut, bei allergischen Hautreaktionen mit blassen Hautödemen und Quaddelbildung (Nesselsucht) sowie bei glasig geschwollenen Augenlidern, die jucken und brennen. Typisch für Apis ist Fieber ohne Durst.
Ledum palustre D 6 (Sumpfporst) ist der Klassiker bei punktförmigen Stichverletzungen, zum Beispiel durch Insekten wie Bremsen, Stechmücken und Zecken, dornige Sträucher oder Nadelstiche. Die Leitsymptome sind juckende, gerötete, mäßig geschwollene Haut rund um die Stiche sowie eine beginnende Entzündung. Charakteristisch ist, dass die verletzte Körperregion kalt ist, aber Kälte auch die Schmerzen lindert. Bei Tierbissen muss immer ein Arzt die Wunde und den Tetanus-Impfschutz überprüfen.
Ein neueres Mittel in der Homöopathie ist Cardiospermum (Ballonrebe, Herzsame), das als »Cortison der Homöopathie« bezeichnet wird. Es hat sich als typisches Akutmittel bewährt bei entzündlichen allergischen Haut- und Schleimhauterkrankungen mit Juckreiz und stark entzündeter Haut. Eine bewährte Anwendung, auch topisch, sind stark juckende Insektenstiche und leichte Verbrennungen.
Ein Hauptmittel bei grippalen Infekten im schwül-warmen Sommerwetter und nach Wetterwechsel von kühl zu heiß – der sogenannten Sommergrippe – ist Gelsemium sempervirens D 6 (Gelber Jasmin), unser fünfter Sommer-Klassiker. Charakteristisch ist die Schwäche und Benommenheit des Patienten, der sich »wie gelähmt« fühlt. Der Krankheitsverlauf ist schleppend mit eher gemächlichem Fieberanstieg und kann sich als »Kopfgrippe« mit Kopfschmerzen zeigen, die sich vom Nacken nach vorne über die Augen ziehen.
Gelsemium hilft auch Personen, die auf Föhn oder feucht-warmes Wetter mit Kopfschmerzen reagieren und sich sehr erschöpft fühlen. Zudem ist es ein bewährtes Mittel bei Frühjahrsmüdigkeit und nach einem überstandenen Infekt, wenn sich der Patient schlapp und müde fühlt.
Bei allen Beschwerden, die durch Nässe und Kälte oder Wetterwechsel von warm zu kalt hervorgerufen werden, ist Dulcamara D 6 (Solanum dulcamara, Bittersüßer Nachtschatten) das Mittel der Wahl. Wer beim Wandern in den Regen kommt, lange in nasser Badekleidung oder auf feucht-kaltem Boden sitzt und dann rheumatische Schmerzen, eine Blasenentzündung, Erkältung mit Fließschnupfen und Husten oder auch Durchfall (schleimige Diarrhö) bekommt, weiß Dulcamara zu schätzen. Typisch für den Harnwegsinfekt ist sehr starker Harndrang, Schmerzen beim Wasserlassen, trüb-schleimiger Urin und eine empfindliche Nierenregion. Wärme, zum Beispiel eine Wärmflasche oder warme Wickel, lindert alle Beschwerden.