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Getreide mit Potenzial

Hype um den Hafer

Hafer hat sich in den vergangenen Jahren zum Trendgetreide gemausert. Auf Social Media wird ein Haferdrink als Wunderwaffe zum Abnehmen gefeiert und Porridge ist aktuell das Trendfrühstück. Aber was kann das Süßgras wirklich?
Katrin Faßnacht-Lee
18.09.2024  08:30 Uhr

Wenn man an Getreide denkt, ist es in der Regel nicht der Hafer, der den meisten als Erstes einfällt. Lange Jahre spielte er hierzulande keine allzu große Rolle. Doch das war einmal anders: Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Hafer nach Roggen das am weitesten verbreitete Getreide in Deutschland. Das mag daran gelegen haben, dass er auch auf ungünstigen Böden wächst und recht robust gegenüber Schädlingen und Krankheiten ist.

Nun befindet sich Hafer wieder auf dem Vormarsch: Nach Zahlen des Verbandes der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS) hat sich die Anbaufläche in Deutschland seit 2014 um etwa 40 Prozent vergrößert. In Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein steht er am häufigsten auf den Feldern. Hafer dient in erster Linie als Futtermittel. Doch die Verwendung für die Lebensmittelproduktion steigt stetig. Mit 675.000 Tonnen landete im Jahr 2023 nahezu doppelt so viel Hafer in den Mühlen wie noch zehn Jahre zuvor.

Am beliebtesten sind weiterhin neben Müslis und Cerealienprodukten die klassischen Haferflocken. Aktuellen Schätzungen zufolge liegt das Verhältnis etwa bei einem Drittel kernig und zwei Drittel zarten Flocken. Aber Verbraucher greifen nach Einschätzung des VGMS auch vermehrt zu weiteren Haferprodukten wie Haferkleie oder Porridge.

Was steckt drin?

Der Hype um den Hafer kommt nicht von ungefähr. Auch Experten wie Dr. Winfried Keuthage betonen die Sonderstellung des Getreides: »Es ist ja schon einzigartig für ein Getreide, dass Hafer 2017 als Arzneipflanze des Jahres ausgezeichnet wurde«, sagt der Ernährungsmediziner und Diabetologe aus Münster gegenüber PTA-Forum. »Und es gibt tatsächlich auch Gründe, die den Hafer bei den Getreidesorten als Lebensmittel hervorheben.«

Ein Blick ins Korn zeigt: Hafer enthält rund 60 Prozent komplexe Kohlenhydrate, die langsam ins Blut übergehen. So liegt der glykämische Index lediglich bei 40. Hafer enthält selbst kein Gluten und wird daher von Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit gut vertragen. Bei Zöliakie, wo auch kleinste Spuren von Gluten zu Beschwerden führen können, sollten Betroffene unbedingt zu als »glutenfrei« gekennzeichneten Hafererzeugnissen greifen. Bei allen anderen könnten durch Erzeugung oder Verarbeitung Spuren von anderen Getreiden enthalten sein.

Mit etwa 13 Prozent gehört Hafer zu den besten Eiweißlieferanten unter den Getreiden. Durch die gute Aminosäurezusammensetzung handelt es sich außerdem um sehr hochwertiges Protein. Im Vergleich zu anderen Getreidesorten liegt der Fettanteil mit rund 7 Prozent sehr hoch. Die wertvollen ungesättigten Fettsäuren dürften unter anderem dazu beitragen, dass Hafer so gut sättigt. Auch in Sachen Mikronährstoffe braucht sich Hafer nicht verstecken. Er trumpft mit einem besonders hohen Vitamin-B1-Gehalt auf, liefert aber auch reichlich Magnesium, Eisen, Zink und andere Vitamine und Spurenelemente. Und sein besonderer Trumpf: Ein hoher Ballaststoffgehalt um die 10 Prozent mit der »Wunderwaffe« Beta-Glucan. Hafer enthält 4,5 g Beta-Glucan pro 100 g. In Haferkleie steckt doppelt so viel davon.

Beta-Glucan wirkt nachweislich

Bereits seit einigen Jahren weiß man um die positive Wirkung von Beta-Glucan auf Cholesterolwerte und Blutzucker. Die European Food Safety Authority (EFSA) hat derzeit drei gesundheitsbezogene Health Claims zugelassen (siehe Kasten). In Bezug auf Cholesterol sind Beta-Glucane danach in der Lage, den Blutspiegel sowohl zu senken als auch für eine Aufrechterhaltung eines normalen Wertes zu sorgen. Der cholesterolsenkende Effekt ist dabei vor allem darauf zurückzuführen, dass Beta-Glucan Gallensäuren aus dem Nahrungsbrei bindet und diese vom Körper ausgeschieden werden. Dadurch wird die Neubildung von Gallensäuren aus Cholesterol angeregt, was wiederum zur Reduktion des LDL-Spiegels führt.

Auch die positive Wirkung auf den Blutzucker ist wissenschaftlich bestätigt. Studien konnten nach regelmäßigem Haferkonsum eine signifikante Senkung des Nüchtern-Glucose- und des Langzeitblutzucker-Wertes HbA1C nachweisen. Als Wirkmechanismen diskutieren Experten die verbesserte Insulinsensitivität sowie auch einen positiven Einfluss auf die Gewichtsreduktion.

»Beta-Glucan gibt es in ähnlicher Form und Menge auch in Gerste, aber in sonst keinem Getreide. Andere Formen von Beta-Glucan kommen auch in manchen Pilzen und Gemüse vor, aber nicht in dieser Menge«, betont Keuthage. Und: »Hafer ist in Bezug auf Beta-Glucan mit Abstand am besten untersucht.« Der Ballaststoff zeichne sich durch eine besondere Löslichkeit und biologische Aktivität aus, die nicht ohne Weiteres auf andere Getreide übertragbar sei.

Die Sache mit den Hafertagen

Doch ganz erklären können sich selbst Hafer-Experten wie Keuthage die teils beeindruckende Wirkung von Hafer auf den Blutzuckerspiegel kaum. Hafertage gehen auf den Pionier der Diabetes-Therapie, Carl von Norden, zurück. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als es noch kein Insulin oder andere Medikamente gegen Diabetes gab, erzielte der Arzt durch diese besondere Ernährungsweise große Erfolge.

Seit etwa 20 Jahren finden Hafertage in der Therapie wieder zunehmend Beachtung. »Studien zeigen, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes durch den Einsatz von Hafertagen ihre Insulinmenge um durchschnittlich die Hälfte reduzieren können und dennoch bessere Zuckerwerte aufweisen. Das ist erstaunlich und man weiß nicht, ob sich dieser Effekt durch die bisher bekannten Mechanismen erklären lässt.«

So könnte Hafer laut einer In-vitro-Studie die Expression von Glucosetransportern und damit die Aufnahme von Zucker im Darm hemmen. Weiterhin könnte Beta-Glucan das Enzym α-Glucosidase hemmen und dadurch ebenfalls für eine geringere Glucoseaufnahme im Darm sorgen sowie die Gluconeogenese in der Leber reduzieren.

»Ich sehe in der Praxis, dass einige Patienten und Patientinnen sehr stark auf die Hafertage reagieren. Dabei handelt es sich in erster Linie um Menschen mit Typ-2-Diabetes, aber auch manche mit Typ 1. Aber die Methode funktioniert auch nicht bei allen. Warum das so ist, konnte man auch in Studien bisher nicht herausfinden«, so Keuthage.

Ein Versuch mit Hafertagen lohne sich jedoch unbedingt, auch bei Menschen mit Prädiabetes, Fettleber und Fettstoffwechselstörungen. In seinem Buch »Die Haferkur« empfiehlt der Ernährungsmediziner dabei die sogenannten gemäßigten Hafertage. Sie erstrecken sich über zwei bis drei Tage und beinhalten drei Hafermahlzeiten mit je 60 bis 80 g Haferflocken, die sich je nach Rezept mit Gemüse, Nüssen, Beeren, Kräutern sowie Gemüsebrühe oder Süßungsmittel verfeinern lassen. Hafertage können alternativ auch an zwei bis vier Einzeltagen im Monat erfolgen. Menschen mit Diabetes sollten, insbesondere wenn sie Insulin spritzen, die Haferkur nur nach Rücksprache mit dem Arzt durchführen.

Abnehmen mit Hafer

Bleibt die Frage, ob Hafer auch beim Abnehmen für Wunder sorgen kann. Laut Social-Media-Trend soll etwa eine Art Smoothie aus Haferflocken, Wasser und Limettensaft die Kilos nur so purzeln lassen. In Anlehnung an die bekannte Abnehmspritze bekam der Shake den einprägsamen Namen »Oatzempic« (oats = engl. Hafer). Keuthage sieht den Hype kritisch, setzt sich aber dennoch für den Hafer als Hilfe beim Abnehmen ein: »Es gibt keinen Health Claim zum Abnehmen, obwohl auch dieser von der EFSA geprüft wurde. Dennoch habe ich in meiner Praxis vornehmlich bei Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes gesehen, dass Hafertage auch beim Abnehmen helfen.«

Laut Keuthage bringt Hafer zwei wichtige Eigenschaften mit: Er macht aufgrund seiner Zusammensetzung sehr gut und langanhaltend satt. Außerdem verbessert er die Insulinwirksamkeit. Bei Menschen mit Insulinresistenz führt dies zu weniger Insulin im Blut, was wiederum das Abnehmen erleichtert. »Es ist definitiv so, dass Hafer beim Abnehmen unterstützen kann«, so der Ernährungsmediziner. »Aber es spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Einer ist ein hoher Eiweißgehalt in der Nahrung, der eine gute Sättigung unterstützt. Aber auch die körperliche Bewegung und psychische Einflussfaktoren darf man nicht vernachlässigen.«

Einfluss auf Mikrobiom und Entzündungen

Neben den bereits erwähnten guten Eigenschaften zeigt Hafer noch einige weitere mit Gesundheitspotenzial: Schon seit jeher hat Haferbrei beispielsweise den Ruf, bei Magen-Darm-Beschwerden lindernd zu wirken. Dies lässt sich zum einen mit der besonderen Konsistenz des Getreides nach der Zubereitung erklären. Keuthage: »Die Schleimbildung macht Hafer besonders magenverträglich. Zusätzlich wirken die enthaltenen Ballaststoffe, allen voran das Beta-Glucan, präbiotisch.« Das heißt, es fördert das Wachstum der positiven Lactobazillen und Bifidobakterien und hemmt das von ungünstigen Darmbakterien. Dieser positive Einfluss auf das Mikrobiom kommt sowohl einer gesunden Verdauung als auch dem Immunsystem zugute.

Bisher noch weniger bekannte Inhaltsstoffe des Getreides, die Avenanthramide, könnten darüber hinaus einen positiven Einfluss auf entzündliche Prozesse im Körper haben. Die Antioxidanzien wurden bislang allerdings vornehmlich in Laborstudien untersucht. »Es gibt Hinweise, dass die Verbindungen bei entzündlichen Erkrankungen günstig wirken könnten. Daher kann ein Therapieversuch durchaus sinnvoll sein, da ja keine Nebenwirkungen zu befürchten sind. Wissenschaftliche Nachweise für die Wirksamkeit gibt es bislang allerdings nicht.«

Egal, aus welchem Grund man sich für mehr Hafer in der Ernährung entscheidet: Damit es schmeckt, sind Abwechslung und gute Rezepte entscheidend. Keuthage empfiehlt beispielsweise neben Speisen und Gebäck mit Haferflocken und -kleie auch das ganze Haferkorn: »Die haben richtig schön Biss und man kann alles damit machen, was man auch mit Reis zubereitet.«

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