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Reportage

»Ich war fast taub – jetzt höre ich stereo«

Die 52-jährige Bankkauffrau Rosemarie Weinhardt aus Düsseldorf ist seit frühester Kindheit fast taub. Mit Hilfe zweier sogenannter Cochlea-Implantate hat sie heute ihr Gehör zurück.
Narimaan Nikbakht
28.05.2021  08:30 Uhr

»Wieder richtig gut hören zu können, war eine erstaunliche Erfahrung. Besonders das Telefonieren finde ich wieder wunderbar.« Begeistert erzählt Rosemarie Weinhardt, welche Töne sie jetzt wahrnimmt. »Wir haben eine Zeder im Garten stehen. Selbst bei wenig Wind höre ich ihr feines Rauschen. Ich mag es, wenn ich unseren Collie Caruso mit seinen Pfoten übers Parkett laufen höre. Ich freue mich über das Piepsen der Spülmaschine, wenn sie fertig ist. Und selbst den klingelnden Radfahrer schon vorher zu bemerken und nicht erst, wenn er vorbeigedüst ist, macht mir gute Laune.«

Noch bis vor drei Jahren bewältigte Weinhardt ihren Alltag und Beruf mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Ganze 35 Jahre arbeitet die zweifache Mutter bereits bei der Deutschen Bundesbank in Düsseldorf – dank Hörgeräten war das machbar.

Sie ist nicht von Geburt an gehörlos. Sie hat wie jedes Kind sprechen gelernt. Als sie fünf Jahre alt war, stellten die Ärzte eine Art Pfropfen hinter ihrem Trommelfell fest und entfernten es operativ. »Sie vermuteten, dass das Fruchtwasser bei meiner Geburt nicht vollständig aus dem Ohr abgelaufen sei. Da sich das Trommelfell erst im Laufe der Zeit schließt, bildete sich dahinter der Pfropfen.«

Aus diesem Grund konnte das Trommelfell im Laufe der späteren Jahre nicht mehr schwingen. Das hatte zur Folge, dass die kleine Rosemarie Zischlaute wie »s, ß und z« nicht deutlich artikulieren konnte. Ohren-ärzte nennen diese Aussprache »verwaschen«.

»Im Krankenhaus steckte ich mich unglücklicherweise mit Mumps an. Das Virus schädigte mein Gehör-vermögen dauerhaft, und als ich zur Schule kam, trug ich links und rechts starke Hörgeräte.« Doch damit kam sie klar. »Alle sechs Jahre erhielt ich neue Hörgeräte. Und solange ich das Gefühl hatte, ich höre bes-ser damit, kam eine Operation und ein Implantat nicht für mich infrage.«

Ihre letzten Hörgeräte konnten die Schwächen aber nicht mehr ausgleichen: »Hohe Töne hörte ich gar nicht mehr.« Ihr natürliches Hörvermögen lag zu dieser Zeit nur noch bei fünf bis zehn Prozent, mit Hör-gerät vielleicht noch bei 30 bis 40 Prozent. »Beim Telefonieren mit den Hörgeräten musste ich die Fest-netz-Telefone unserer Bank auf die lauteste Stufe stellen. Dennoch verstanden die Kolleginnen meist mehr als ich.« Ihre Gesprächspartner bat Weinhardt darum häufig, den Inhalt stichwortartig zu protokollieren und ihr per Mail zu senden. »Auf Dauer natürlich keine Lösung«, wie sie sagt.

Ersatzteil im Kopf

Schon öfter hatte sie von Hörprothesen für Gehörlose gelesen, deren Hörnerv noch funktioniert – sogenannte Cochlea-Implantate. Verschiedene Firmen stellen sie her. Dabei wird das Implantat mit den Elektroden ins Innenohr, in die Hörschnecke (Cochlea) eingeführt. Dort nimmt es Impulse von außen auf, wandelt die Schallwellen in elektronische Signale um und gibt diese an den Hörnerv und das Gehirn weiter.

Cochlea-Implantate, wie sie heute verwendet werden, gibt es seit etwa 40 Jahren, und in den vergangenen Jahren sind sie immer besser geworden. In der Regel übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten, wenn die medizinischen Indikationen dafür gegeben sind. Mittlerweile tragen etwa 50.000 Menschen in Deutschland diese Technik im Kopf, Tendenz steigend.

Lange mochte Weinhardt davon nichts wissen. »Meine Bedenken waren, dass bei dem Eingriff etwas passiert -der Chirurg mir etwa wichtige Gesichtsnerven verletzt, das verbleibende Hörvermögen zerstört oder sich der Erfolg durch das Implantat einfach nicht einstellt.«

2018 steht sie aber an einem Punkt, an dem ein Hörgerät für ihr linkes Ohr nicht mehr ausreicht. »Mein Hörgeräte-Akustiker riet mir, mich gezielt zu einem Cochela-Implantat von einem Facharzt beraten zu lassen.« Weinhardt sucht darauf die St. Anna-Klink in Wuppertal auf. Sie durchläuft mehrere Voruntersuchungen und führt ein intensives Gespräch mit der Logopädin und dem Akustiker vor Ort.

Im Mai 2018 dann lässt sie sich operieren, zunächst nur am linken Ohr. Bei dem einstündigen Eingriff pflanzt ihr der Chirurg ein winziges Gerät unter die Kopfhaut ein. Zu dem Implantat gehört ein äußerer Sprachprozessor, den sie fortan wie ein Hörgerät hinter dem Ohr trägt. Fünf Tage verbringt sie in der Klinik. Sie nimmt vorsorglich Antibiotika, und täglich kontrolliert ein Arzt den Heilungsprozess und ob ihr Gleichgewichtsorgan noch intakt ist. Am dritten Tag kommt der Verband ab.

Fulminantes Klangerlebnis

Vier Wochen später stellt der Akustiker zusammen mit der Logopädin das Implantat bei ihr ein. Diesem Moment hat Weinhardt lange entgegengefiebert. Denn wie wird es sein, das neue Hörerlebnis?

»Doch das Gehör funktioniert nach so einer OP nicht einfach per Knopfdruck«, weiß sie heute. So empfand sie die neuen Höreindrücke zunächst überraschend intensiv: »Ich geriet schlagartig aus der ruhigen in die akustische Welt und fand das zu Beginn etwas befremdlich.« Wenn etwa ihre Kolleginnen auf der Tastatur tippten, hörte sich das für sie an wie Hammerschläge. So starke Töne kannte Weinhardt bis dato nicht. »Und auch wenn Menschen mit mir sprachen, dann klang das nun metallisch und unnatürlich.« Aber bereits nach einigen Wochen nahm sie die gleichen Töne nicht mehr so extrem wahr, weil der Hörnerv diese inzwischen erkannte und einordnen konnte.

Hören ist ein Lernprozess

Geduld sowie Sprach- und Hörtraining, um wirklich gut mit dem Implantat hören zu können, sind der Schlüssel. »Das Ganze ist ein Prozess, der bei mir sieben Monate dauerte. Aber wenn man dran bleibt, wird es besser«, weiß Weinhardt heute.

Alle zwei bis vier Wochen geht sie anfangs zur Anpassung zu ihrem Akustiker. Dabei stellt der fest, ab wann seine Patientin unterschiedliche Töne hört und wann etwas zu laut beziehungsweise zu schmerzhaft wird. »Das schützte meinen Hörnerv davor, sich zu überfordern. Meist fingen wir mit den tiefen Tönen an und arbeiteten uns dann zu den hohen Tönen vor. Mein Hörnerv lernte dadurch, die Töne zu unterscheiden und zu erkennen.« Inzwischen braucht sie beim Akustiker nur noch halb- oder jährliche Termine.

Rosemarie Weinhardt fühlt sich erleichtert, dass das Implantat heute so gut bei ihr funktioniert. Es gibt auch Patienten, die können trotz Implantat nicht so gut verstehen wie sie. Mittlerweile hat sie sich auch das rechte Ohr operieren lassen und hört jetzt stereo. Ihr Hörvermögen liegt nun bei 75 Prozent.

Die Tatsache, wieder so gut zu hören, erleichtert vieles: Heute greift sie bei der Arbeit gern zum Telefon, um mit Kunden zu sprechen. »Ich schaffe es jetzt, meist beim ersten Melden, den Namen meines Gesprächspartners zu verstehen, selbst wenn dieser sich sehr schnell meldet – das finde ich toll!«

Bei Vorträgen muss sie nicht mehr von den Lippen ablesen, sondern kann sich ganz auf die Folien auf der Leinwand konzentrieren. »Und auch in Gesprächsrunden mit Kolleginnen bin ich mir jetzt sehr sicher, alles richtig zu verstehen und kann auch mal etwas von der Seite kommentieren.« Die größte Überraschung aber war, die Bemerkung einer Freundin, dass die Aussprache klarer geworden sei. »Das fiel auch meinem Ohrenarzt der Klinik bei der Kontrolluntersuchung nach einem Jahr sofort auf«, freut sich Weinhardt rückblickend.

Nur wenn morgens der Wecker klingelt, dann hört sie das nicht. Denn jeden Abend zieht sie den äußeren Teil ihres Cochlea Implantats aus. »Beim Schlafen trage ich die Geräte nicht. Also kann ich nachts nichts hören. Aber ich habe einen Wecker, der Lichtblitze durchs Zimmer jagt – dadurch werde ich wach. Nach dem Duschen lege ich dann wieder das Gerät an und tauche in die Welt der Klänge ein.«

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