»Ich wünsche mir, dass kein Mädchen mehr beschnitten wird« |
FGM sei eine tief verankerte kulturelle Tradition, die auf der Ungleichheit von Frauen und Männern basiere, so die Expertin. / Foto: Getty Images/Jadwiga Figula
Millionen Mädchen in Kenia und anderen afrikanischen Ländern, aber auch in Indonesien oder im Jemen werden an ihren Genitalien beschnitten. Bei dieser unvorstellbar grausamen Praxis wird den Mädchen und jungen Frauen ihre Klitoris entfernt, teilweise auch die kleinen und großen Schamlippen. Bei der pharaonischen Beschneidung wird die vaginale Öffnung zugenäht – und meistens erst in der Hochzeitsnacht wieder geöffnet. Die auch als Female Genital Mutilation/Cutting (FGM/C) bezeichnete Beschneidung der weiblichen Genitalien ist eine schwere Menschenrechtsverletzung und in den meisten Ländern verboten – wird aber trotzdem weiter praktiziert. Um auf diese schwere Menschenrechtsverletzung aufmerksam zu machen, hat die UN-Menschenrechtskommission den 6. Februar zum Internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung erklärt.
»Frauen, die nicht beschnitten sind, gelten in den praktizierenden Gemeinden als unrein«, erklärt Edell Otieno-Okoth, die sich seit vielen Jahren gegen FGM engagiert – seit 2020 als Expertin bei der Kinderrechtsorganisation Plan International mit Sitz in Hamburg. FGM sei eine tief verankerte kulturelle Tradition, die auf der Ungleichheit von Frauen und Männern basiere. »Das ist eine extreme Form der Benachteiligung von Mädchen und Frauen. Es geht darum, die Sexualität von Frauen zu kontrollieren. Am Ende sind die Frauen nur da, um die Männer zu befriedigen und Kinder zu gebären«, erklärt die Mutter von zwei Kindern, die mit 23 Jahren nach Deutschland kam und hier Jura studiert hat – auch, um sich für Frauen einzusetzen.
Durch die Migration ist FGM mittlerweile weltweit verbreitet. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit rund 200 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien beschnitten – und jedes Jahr sind drei Millionen Mädchen gefährdet, beschnitten zu werden. In Deutschland leben nach Angaben der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes mittlerweile mehr als 100.000 Mädchen und Frauen, deren Genitalien beschnitten wurden, mehr als 17.000 Mädchen in Deutschland seien derzeit potenziell gefährdet.
Seit vielen Jahren ist die Kinderrechtsorganisation Plan International in Ägypten, Äthiopien, Burkina Faso, Guinea, Guinea-Bissau, Mali und Sierra Leone gegen FGM aktiv. »In Zusammenarbeit mit lokalen Partnern führen wir dort Projekte durch, die die Abkehr von dieser Praktik zum Ziel haben«, sagt Edell Otieno-Okoth. Wichtig sei es dabei, die Menschen zu überzeugen und ihnen Alternativen anzubieten, auch wirtschaftliche. Zum Beispiel durch alternative Initiationsriten, bei denen die Mädchen nicht beschnitten werden. »Auch sorgen wir dafür, dass Beschneiderinnen auf andere Weise ein eigenes Einkommen erwerben können«, sagt die 43-Jährige. In Kenia seien so die Zahlen merkbar zurückgegangen.
In Deutschland arbeitet Plan mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, um die verschiedenen Communities zu erreichen. Ein Handbuch für Betroffene bietet Hilfe auch auf Englisch, Französisch und Arabisch. Auch wenn sie schon viele Menschen zu einem Umdenken bewegen konnte, wünscht sich Edell Otieno-Okoth nur eines: »Dass kein Mädchen mehr beschnitten wird.«
Rund 50 Beratungs- und Anlaufstellen in den einzelnen Bundesländern bieten Unterstützung für betroffene Familien. Ebenso wichtig sei es, Fachkräfte aus dem Gesundheits- und Sozialbereich – wie beispielsweise Hebammen, Kinderärztinnen oder Sozialarbeiterinnen – zu informieren und sie für den Umgang mit Gefährdeten und Betroffenen zu sensibilisieren. »Das Thema weibliche Genitalverstümmelung muss darum schon in der Ausbildung aller Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialbereich auf den Lehrplan«, fordert Otieno-Okoth.