Immuntherapie zu selten angeboten |
Juliane Brüggen |
24.04.2024 14:00 Uhr |
Für Allergiker gefährlich – besonders im Spätsommer tummeln sich Wespen auf Essen und an Getränken. / Foto: Getty Images/Josh Forwood
Die Limo kurz nicht im Blick, schon sticht es beim nächsten Schluck an der Lippe. Was für die meisten nur ärgerlich und schmerzhaft ist, kann bei Insektengiftallergikern tödlich enden. »Wenn Atemnot, Schwindelgefühl, Übelkeit, Herzrasen oder Bewusstlosigkeit auftreten, muss sofort der Notruf gewählt werden«, sagt Professor Dr. Thilo Jakob, Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Gießen.
Danach gilt es herauszufinden, welches Insekt für die Reaktion verantwortlich war. »Nicht immer können die Betroffenen das genau beantworten. Mit einem oder mehreren Hauttests und mit einem Bluttest können wir die Allergie aufspüren und mehr über den Auslöser erfahren«, erläutert Jakob, der auch Vorsitzender der Arbeitsgruppe Insektengiftallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinischer Immunologie ist.
Eine echte Bienen- oder Wespengiftallergie ist laut Jakob selten, bis zu 3,5 Prozent der Bevölkerung seien betroffen. Nicht zu verwechseln ist die systemische Reaktion mit einer übersteigerten Lokalreaktion. Jakob: »Wenn es nach dem Stich zu einer Hautschwellung mit deutlich mehr als 10 cm Durchmesser kommt, die länger als 24 Stunden anhält, nennt man das eine gesteigerte Lokalreaktion. Das ist dann immer noch keine systemische Allergie.«
Ist eine Insektengiftallergie mit hohem Anaphylaxie-Risiko festgestellt worden, sollten Betroffene immer ein Notfallset bei sich tragen. Dieses kann im Fall der Fälle das Leben retten.
Das Set enthält in der Regel
Betroffene sollten das Antihistaminikum und das Cortison-Präparat laut DDG bei den ersten Anzeichen einer allergischen Reaktion einnehmen – zum Beispiel Hautrötung, Kratzen im Hals oder Quaddeln. Der Adrenalin-Pen kommt zum Einsatz, wenn Symptome wie Atemnot, Herzrasen, Übelkeit oder Erbrechen hinzukommen oder unzweifelhaft klar ist, dass das Insekt gestochen hat, auf das eine schwere Allergie bekannt ist.
Wenn es um einen Bienenstich geht, ist außerdem das Entfernen des Stachels innerhalb von 20 bis 30 Sekunden hilfreich. Dabei darf der Stachel nicht zusammengedrückt werden, sondern kann beispielsweise mit dem Fingernagel weggekratzt werden.
Vor-Ort-Schulungen zum Thema Anaphylaxie bietet die Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie Training und Edukation (AGATE) an. Beim Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) gibt es kostenlose Online-Schulungen.
Ein langfristiger Schutz vor schweren allergischen Reaktionen ist nur durch die allergen-spezifische Immuntherapie (ASIT) möglich. Bei dieser wird das Insektengift über einen längeren Zeitraum in zunehmenden Mengen in das Unterhautfettgewebe gespritzt. So gewöhnt sich das Immunsystem allmählich an das Allergen.
Empfohlen wird die Therapie in Leitlinien ab einem Anaphylaxie-Grad II – besonders aber, wenn bereits eine allergische Reaktion mit lebensbedrohlichen Symptomen aufgetreten ist oder besondere Risikofaktoren vorliegen, wie eine Mastozytose. Die DDG weist darauf hin, dass die Immuntherapie auch bei einer Anaphylaxie des ersten Grades möglich ist, wenn beruflich ein hohes Stichrisiko besteht oder die Lebensqualität stark eingeschränkt ist.
Schweregrad | Mögliche Symptome |
---|---|
I | Juckreiz, Flush, Urtikaria, Angioödem |
II | Siehe Grad I, zusätzlich Übelkeit, Krämpfe Erbrechen, Rhinorrhö, Heiserkeit, Atemnot, Herzrasen, Blutdruckabfall, Arrhythmie |
III | Siehe Grad I, zusätzlich Erbrechen, Defäkation, Larynxödem, Bronchospasmus, Zyanose, Schock |
IV | Siehe Grad I, zusätzlich Erbrechen, Atemstillstand, Kreislaufstillstand |
Die ASIT gegen Insektengift hat eine hohe Wirksamkeit, in den ersten Jahren nach der Behandlung liegt sie bei über 90 Prozent. »Wenn man bedenkt, wie gut die Behandlung wirkt, ist es sehr verwunderlich, dass schätzungsweise nur 10 Prozent derjenigen, für die eine Indikation der Immuntherapie besteht, eine solche auch erhalten«, bemängelt Jakob.
Einen Nachteil hat die Immuntherapie allerdings: Sie erfordert Geduld. »Wer sich immunisieren lassen möchte, muss sich auf eine über mehrere Jahre erstreckende Behandlung einlassen«, sagt Jakob. Patienten erhalten die Spritze in der Regel zunächst wöchentlich, danach alle vier bis acht Wochen – insgesamt über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Eine schnellere Dosissteigerung ist möglich, wenn die Therapie im stationären Setting eingeleitet wird.
Häufige Nebenwirkungen sind Rötungen und Schwellungen an der Einstichstelle, bei denen cortisonhaltige Cremes helfen. Da grundsätzlich das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion besteht, bleiben Patienten eine halbe Stunde nach der Spritze in der Arztpraxis. Ein lebenslanger Schutz ist durch die ASIT vermutlich nicht gegeben, wie lange die Wirkung anhält ist individuell unterschiedlich.
Quelle: Empfehlungen der DDG