Impfen, heilen, therapieren |
Seit der Coronapandemie ist die mRNA-Impfstofftechnologie im Aufwind und gibt auch für andere Erkrankungen Hoffnung. / © Getty Images/libre de droit
Sechs Impfstofftechnologien – man spricht auch von Plattformen – stehen heute zur Verfügung und die mRNA-Impfstoffe zählen zu den vielversprechendsten. Sie werden seit den 1960er-Jahren erforscht und der erste Anwendungsversuch war gegen Ebola gerichtet. 2020 feierten sie ihren Durchbruch im Zuge der Coronapandemie.
Inzwischen sind weltweit zahlreiche mRNA-basierte Covid-19-Impfstoffe zugelassen und mit mResvia® steht sogar ein mRNA-Impfstoff gegen RSV zur Verfügung. Die Technologie birgt aber weit mehr Potenzial als nur Schutzimpfungen gegen Viruserkrankungen. So arbeiten Pharmafirmen und Forschungsinstitute an Anwendungen für zwei weitere Bereiche, nämlich an therapeutischen Impfungen in der Onkologie und mRNA-Therapien bei genetischen Defekten.
Die mRNA-Technologie verblüfft dabei weiterhin, weil sie so simpel ist. Der Trick ist, dass die Impfstoffe das körpereigene Proteinsynthesesystem nutzen. Die mRNA enthält als Boten-RNA (Messenger-RNA) den Bauplan für ein ausgewähltes Antigen, zum Beispiel ein Virusoberflächenprotein. Nach intramuskulärer Verabreichung wird die mRNA in Lipidnanopartikeln verpackt in Zellen transportiert.
Dort dient das Genmaterial den Zellen als Bauplan, um das fremde Protein, nämlich das des Virus, zu produzieren. Dieses Protein erkennt das Immunsystem als Antigen und löst die gewünschte Immunantwort aus (Antikörper- und T‑Zell-Antwort). Danach wird die mRNA enzymatisch abgebaut. Entscheidend ist, dass sie in den Zellen weder rückwärts transkribiert noch ins Genom eingebaut werden kann, wie manche Kritiker befürchten.
In der Pandemie wurde die mRNA-Technologie weltweit millionenfach erprobt. Die aus dieser Zeit gewonnene Erfahrung hat gezeigt, dass mRNA-Impfstoffe wirksam gegen die Zielviren schützen und gleichzeitig (trotz häufiger lokaler und systemischer Impfreaktionen) ein gutes Sicherheitsprofil haben. Mittlerweile stehen weitere Infektionskrankheiten im Fokus.
mRNA-Impfstoffe erlauben eine schnelle Anpassung an neue Virusstämme und eine parallele Entwicklung vieler Vakzinen. So laufen bereits klinische Studien zu mRNA-Impfstoffen gegen Influenza, Norovirus-Infektion, Pfeiffersches Drüsenfieber und latenter Epstein-Barr-Virus-Infektion. HIV ist ein weiteres wichtiges mögliches Einsatzgebiet.
Eine weitere schwer bekämpfbare Infektionskrankheit, gegen die möglicherweise irgendwann Vakzinen zur Verfügung stehen, ist die Malaria. Und auch Zoonose- und Tropenkrankheiten stehen auf der Liste: Experimente laufen zu Zika, Dengue oder West-Nil-Virus-Infektionen. Geforscht wird auch im Bereich bakterielle Infektionen etwa an Vakzinen gegen Escherichia-coli- und Salmonellen-Infektionen oder Tuberkulose.
Auch an der Darreichungsform wird gearbeitet. Eine sprühgetrocknete und bei Raumtemperatur stabile Impfstoff-Formulierung könnte in Zukunft den nasalen Verabreichungsweg ermöglichen.
Ein weiteres vielversprechendes Anwendungsfeld, das allerdings noch keine marktreifen Arzneistoffe zutage gebracht hat, sind therapeutische Krebsimpfstoffe. Im Gegensatz zu den oben genannten Schutzimpfungen sollen diese Impfstoffe nicht primär vor einer Infektion schützen, sondern das Immunsystem gezielt auf vorhandene Tumorzellen ansetzen. Das Prinzip beruht dann auf Neoantigenen – also Tumor-spezifischen Oberflächenproteinen.
Krebszellen entstehen bekanntlich durch genetische Veränderungen, die dazu führen, dass sie sich unkontrolliert teilen und vom Immunsystem oft erst spät entdeckt werden. mRNA wird nun gezielt so konstruiert, dass sie dem Körper die Bauanleitung für bestimmte, nur auf Krebszellen vorkommende Merkmale – eben jene Neoantigene – liefert. Das Immunsystem kann diese Merkmale als fremd erkennen und daraufhin lernen, die Tumorzellen gezielt anzugreifen.
Um einen patientenindividuellen mRNA-Impfstoff herzustellen, werden nach Entfernung von Tumorproben im Labor die genetischen Unterschiede zu Normalzellen analysiert. Der mRNA-Impfstoff kodiert dann mehrere dieser Neoantigene. Nach Verabreichung der mRNA stellt der Körper die Neoantigene her und die neu produzierten Tumorproteine gelangen in die Lymphknoten. Dort aktivieren sie T‑Zellen, die lernen, genau diese Krebszellen zu erkennen und zu zerstören. Das Immunsystem wird so gezielt auf die bösartigen Zellen trainiert.
Erste klinische Studien sind vielversprechend. Besonders beim oft tödlich verlaufenden Pankreaskarzinom zeigten Probanden, die auf eine mRNA-Impfung ansprachen, in einer kleinen Studie keine Krankheitsrückfälle. Auch beim Melanom und anderen Tumoren liegen erste erfreuliche Daten vor. Allerdings wirkt die Impfung nicht bei allen Patienten gleich stark und mRNA-Impfstoffe sind bisher auch keine neue Wunderwaffe gegen Krebs. Zunächst einmal müssen größere Phase-3-Studien Wirksamkeit und Dauer der Immunantwort belegen.
Selbst wenn die ersten mRNA-Krebsimpfstoffe in wenigen Jahren auf den Markt kommen werden: Herausforderungen bleiben die individualisierte Produktion (zeit- und ressourcenintensiv) und die hohen Kosten. Man stelle sich vor: Einzelne patientenindividuelle Impfkuren könnten weit über 100.000 Euro pro Jahr kosten. Denkbar sind auch vorgefertigte mRNA-Impfstoffe, die auf Neoantigene abzielen, die bei vielen Patienten mit einer bestimmten Krebsart auftreten. Solche Impfstoffe könnten industriell produziert und bei Bedarf unmittelbar eingesetzt werden, also als eine Art »Impfstoff von der Stange«.
Über Schutzimpfungen und Krebstherapie hinaus eröffnet die mRNA-Technologie weitere Anwendungen. So werden zum Beispiel auch mRNA-Arzneien entwickelt, um körpereigene Proteine zu produzieren und so genetische Defekte zu beheben. Bei seltenen Stoffwechsel- oder Hormonkrankheiten ließen sich so dauerhaft fehlende Enzyme oder regulatorische Proteine nachliefern. Experimentelle Therapien gegen Herzinfarkt oder Muskelschwund basieren auf demselben Prinzip. Ein Beispiel ist eine mRNA für Wachstumsfaktoren im Herzmuskel.
Die mRNA-Plattform profitiert stark von fortlaufender Forschung. Neue Lipidnanopartikel und Verpackungsformen erhöhen die Stabilität und Wirksamkeit. Forscher arbeiten auch an »selbstverstärkender« mRNA (self-amplifying, saRNA), die im Körper nach Injektion ständig vervielfältigt wird und so mit geringerer Dosis auskommt. Ein entsprechender Covid-Impfstoff (Zapomeran, selbstamplifizierend) wurde 2025 in der EU zugelassen.
Besonders für Krebstherapien ist die sich selbst vervielfältigende mRNA attraktiv, da sie starke CD8⁺-T-Zell-Antworten induzieren kann, die für die Bekämpfung von Tumoren wichtig sind. Auch zirkuläre RNA-Moleküle stehen im Fokus der Entwicklung. Sie sind stabiler als lineare Stränge und könnten die Wirksamkeit von Impfstoffen und Therapeutika weiter verbessern.
Ein oft betonter Vorteil der mRNA-Plattform ist ihre Flexibilität. Impfstoffe lassen sich in kurzer Zeit designen und vergleichsweise einfach skalieren. Um eine weltweite Produktion und Versorgung zu erreichen, entwickelte Biontech zum Beispiel mobile Produktionsanlagen, die sogenannten »BioNTainer«. Sie könnten eine dezentrale Herstellung vor Ort ermöglichen und damit die Impfstoffversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern nachhaltig verbessern.
Die schnell skalierbare Produktion kann im Falle einer neuen Pandemie einen Vorteil bedeuten. Jedoch: Es gibt noch technische Hürden. Die mRNA und Lipidnanopartikel sind bislang noch empfindlich gegenüber Hitze, weshalb Kühlketten in der Herstellung und Verteilung optimiert werden müssen. Dazu müssen Langzeitsicherheit und Immunogenität in weiteren Studien bestätigt werden.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.