Impftiter bestimmen |
Blutabnahme für die Impftiter-Bestimmung: Die Menge der Antikörper im Blut zu bestimmen, ist nur in speziellen Situationen ratsam. / Foto: Getty Images/Svitlana Hulko
Den Impftiter zu bestimmen, also die Konzentration der im Blut vorhandenen Antikörper gegen den jeweiligen Erreger, sei aufwendig, teuer und in den meisten Fällen unnötig, erklärt Professor Dr. Martina Prelog, Immunologin und Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Sie forscht zu Autoimmunerkrankungen und Infektionsimmunologie am Universitätsklinikum Würzburg. Aber es gibt Ausnahmen: »Wenn etwa bei einer Person eine schlechte Immunantwort zu erwarten ist, gibt der Titer wichtige Hinweise für die Entscheidung, ob und in welcher Intensität weitere Impfungen geboten sind«, erläutert die Expertin im Gespräch mit PTA-Forum.
Das ist beispielsweise bei Menschen der Fall, die regelmäßig immunsuppressive Arzneimittel einnehmen, etwa bei rheumatischen Erkrankungen, aber auch nach einer Chemotherapie oder einer Transplantation. Ebenso gehören Menschen mit Immundefekten dazu. Auch vor einer geplanten Schwangerschaft kann eine Titerbestimmung sinnvoll sein, um festzustellen, ob ein Schutz gegen impfpräventable Erkrankungen wie Röteln, Masern, Mumps oder Varizellen besteht. Gegebenenfalls kann dann noch vor der Schwangerschaft geimpft werden – denn Lebendimpfstoffe gegen diese Erreger dürfen nicht während der Schwangerschaft verabreicht werden. Ein ausreichender Impfschutz gegen diese Viren ist aber wichtig, weil insbesondere Infektionen mit Röteln oder Varizellen im ersten und zweiten Trimester der Schwangerschaft für das Ungeborene, aber auch für die Mutter sehr gefährlich sind.
Ebenso empfiehlt das Robert-Koch-Institut (RKI), vier bis acht Wochen nach abgeschlossener Grundimmunisierung gegen Hepatitis B routinemäßig bei Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko den Impftiter zu bestimmen. Denn hier liegt der Anteil der »Non-Responder« unter den Geimpften mit 5 bis 10 Prozent besonders hoch. Die Empfehlung, den Impftiter zu bestimmen, gelte jedoch nur für Menschen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko und nicht für Kinder, die im Rahmen einer Sechsfachimpfung gegen Hepatitis B immunisiert werden, erläutert Prelog, die auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) ist.
Schließlich ist die Bestimmung des Impftiters auch dann sinnvoll, wenn jemand nicht weiß, ob überhaupt oder wann er geimpft wurde. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Person ihren Impfpass verloren hat und nicht rekonstruierbar ist, ob und wann sie bestimmte Impfungen bekommen hat. Eine übliche Vorgehensweise ist es, dann eine Impfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Poliomyelitis durchzuführen und die Antikörpertiter vier bis acht Wochen später zu bestimmen. Antikörper gegen das Tetanustoxoid korrelieren mit dem Langzeitschutz und sind dabei ein guter Indikator für bestehende Grundimmunisierungen. Dennoch ist es bei unbekanntem Impfstatus die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), das Nachholimpfschema durchzuführen.
Die Bestimmung des Impftiters sei nur dann aussagekräftig und zuverlässig, wenn Grenzwerte bekannt sind, erläutert die Fachärztin. Im Fall von Hepatitis B beispielsweise gilt eine Immunisierung als erfolgreich, wenn die Anti-HB-Antikörper ≥ 100 IE/l liegen. Dann kann von einem Schutz gegen Hepatitis B ausgegangen werden. Bei einigen Impfungen, neben Hepatitis B etwa bei Tetanus, Diphtherie, Pneumokokken, Masern, Varizellen und Tollwut hat die Bestimmung des Impftiters eine relativ hohe Aussagekraft, weil nicht nur erkennbar ist, ob noch ein Schutz gegeben ist, sondern auch, ob von einem Langzeitschutz auszugehen ist.
Anders ist das etwa bei Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) oder Keuchhusten (Pertussis). Hier kann lediglich bestimmt werden, ob ein Schutz vorhanden ist oder nicht, aber nicht für wie lange. Deshalb müsste der Titer zum Beispiel in jährlichen Abständen neu bestimmt werden. Da Titer-Bestimmungen aber kaum günstiger als die Impfungen selbst sind und außerdem nicht für alle Erkrankungen »schützende« Antikörperwerte bekannt sind, hält auch das RKI es für praktikabler, einfach entsprechend den empfohlenen Auffrischungsintervallen zu impfen. Das ist gefahrlos machbar.
Bei Krankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln kann die Titerbestimmung zeigen, ob ein – in diesem Fall meist lebenslanger – Schutz vorhanden ist oder nicht. Den Antikörpertiter bei diesen Erregern zu bestimmen, macht vor allem dann Sinn, wenn es zum Ausbruch von Epidemien kommt und nicht klar ist, ob derjenige selbst die Erkrankung in der Kindheit durchgemacht hat oder ausreichend geimpft wurde.
Es gibt auch Impfungen, nach denen sich grundsätzlich zwar ein Titer bestimmen lässt, aber der Grenzwert, ab dem von einem guten Schutz auszugehen ist, nicht bekannt ist. Dazu gehören jene gegen Pertussis, Poliomyelitis, Mumps, Influenza, humane Papillomaviren (HPV), Meningokokken und Gelbfieber. Natürlich führt jeder Kontakt mit der natürlichen Erkrankung bei geimpften Personen auch zu einer Boosterung der Antikörperantwort. Meist kann die Antikörperantwort, die in Routinetests gemessen wird, aber nicht unterscheiden, ob der Antikörperwert durch Impfung oder Exposition erfolgte.
Schließlich weist Expertin Prelog auf die Rolle hin, die die Titerbestimmung zuweilen in der Diagnostik spielt: »Bei Verdacht auf einen Immundefekt kann die Antikörperbestimmung – etwa nach einer Pneumokokken- oder Tetanusimpfung – wichtige Hinweise auf den Zustand des Immunsystems geben und somit diagnostisch genutzt werden.«
Viele Menschen denken, dass bei hohem Antikörperspiegel nach der Grundimmunisierung gegen Covid-19 oder einer SARS-CoV-2-Infektion keine (Auffrisch-) Impfung verabreicht werden sollte. Das sei jedoch nicht korrekt, betont das RKI. Denn es sei ohnehin nicht bekannt, ab welchem Wert von einem ausreichenden Schutz ausgegangen werden könne. Da es keine Sicherheitsbedenken für eine (Auffrisch-)Impfung bei noch bestehender Immunität gebe, empfiehlt die STIKO auch keine Antikörpertestprüfung vor der Verabreichung einer (Auffrisch-) Impfung.
Eine Ausnahme bilden allerdings schwer immundefiziente Patienten mit erwartbar verminderter Impfantwort. Ihnen empfiehlt das RKI, frühestens vier Wochen nach der zweiten Impfstoffdosis und frühestens vier Wochen nach der dritten Impfstoffdosis jeweils eine serologische Untersuchung auf spezifische Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Spike-Protein durchzuführen.
Sollten nach der dritten Impfstoffdosis unverändert sehr niedrige oder keine spezifischen Antikörper messbar sein, stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen kann die Dosis des mRNA-Impfstoffs gesteigert werden (zum Beispiel Verimpfen der doppelten Dosis von Comirnaty® als Off-Label-Anwendung oder eine Impfung mit Spikevax® (100µg), welcher eine etwa dreifach höhere mRNA-Menge enthält als Comirnaty). Zum anderen kann ein Impfstoff einer anderen Technologie zur Anwendung kommen (etwa ein Vektorimpfstoff oder ein adjuvantierter Protein-Impfstoff wie Nuvaxovid®). Je nach Immunantwort können weitere Impfstoffdosen im Abstand von vier Wochen erwogen werden.