In die Vaterrolle erst hineinwachsen |
Freude, überwältigende Liebe, aber auch Überfordertsein, Unsicherheit, vielleicht ein Hauch von Eifersucht, Schlafmangel: Auch für Väter ist das Wochenbett eine Zeit voller Emotionen. / Foto: Getty Images/Anchiy
Gesellschaftlich gilt die Geburt eines Kindes als ein freudiges Ereignis, das frischgebackene Eltern rund um die Uhr mit Glück erfüllt und in allen Zügen genossen wird. Mit der Realität hat das oft wenig zu tun. Studien zeigen, dass sowohl Frauen als auch Männer den Übergang ins Familienleben als belastend erleben können. In die Rolle als Mutter oder Vater, aber auch in die Rolle als Mehrfachmutter oder -vater hineinzuwachsen, ist eine der größten Lebensveränderungen, die Menschen erleben können, und erfordert individuelle Entwicklungsarbeit.
Die Paarbeziehung muss neu definiert werden. Für Geschwisterkinder verändern sich nicht nur der gewohnte Alltag, sondern auch die Familienstruktur. Nicht jedes Kind erlebt diese Phase der Neufindung unbeschwert, häufig wird besonders intensive elterliche Zuwendung benötigt. Gleichzeitig muss das Neugeborene rund um die Uhr versorgt werden. Schlafmangel ist vorprogrammiert, das erleben Erstlingseltern ebenso wie Mehrfacheltern. Letztere haben den Vorteil, auf bereits gemachte Erfahrungen zurückgreifen zu können, bei Erstlingseltern können ungewohnte Unsicherheiten und Ängste im Umgang mit dem neuen Familienmitglied den Stresspegel erhöhen. Bei Mehrfacheltern ist es meist die Belastung, nicht allen familiären Anforderungen gleichzeitig nachkommen zu können.
Diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Geburt eines Kindes in der Psychologie als kritisches Lebensereignis gilt, das zu einer erstmaligen psychischen Erkrankung beitragen oder eine neue Episode einer bereits vorhandenen psychischen Erkrankung auslösen kann. Schätzungsweise erkranken rund 15 Prozent der Mütter im ersten Lebensjahr des Babys an einer postpartalen Depression. Bei den Vätern sind Studien zufolge 10 Prozent betroffen. Vermutlich liegt die Dunkelziffer noch höher. In einigen Familien entwickeln beide Elternteile gleichzeitig eine postpartale Depression; Betroffen sollen etwa 3 Prozent aller Paare sein.
In ihrer Symptomatik unterscheiden sich postpartale Depressionen bei Vätern und Müttern kaum. Erschöpfung, das Gefühl innerer Leere, Wut oder Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen, die für mindestens zwei Wochen anhalten, zählen zu den Leitsymptomen. Allerdings neigen Männer dazu, die Beschwerden durch andere Verhaltensweisen zu lindern, die ihrerseits auffällig werden. Dazu zählen ein hoher Alkohol- oder Suchtmittelkonsum, Spielsucht oder exzessive Mediennutzung, aber auch die Flucht in die Arbeit, den Sport oder andere Freizeitaktivitäten sind Mittel, um mit einer Depression umzugehen. Nicht selten treten bei Männern auch psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen auf.
Am häufigsten macht sich eine postpartale Depression bei Vätern zwischen dem dritten und sechsten Lebensmonat des Kindes bemerkbar. Als Risikofaktoren gelten eine vorherige Depression, Schlafentzug und extreme Müdigkeit, bereits vorhandene Kinder, eine traumatische Geburt oder eine Erkrankung des Neugeborenen, belastende Lebensumstände wie finanzielle Sorgen, mangelnde Unterstützung des Umfelds, Paarprobleme, die soziale Stellung sowie unerfüllte Erwartungen an das Familienleben.
Diskutiert wird außerdem, ob hormonelle Veränderungen eine Rolle spielen könnten. Bekannt ist, dass bei Männern der Testosteronwert nach der Geburt im Durchschnitt um 30 Prozent absinkt, während der Oxytocinspiegel ansteigt. Dies kann die Bindung zwischen Vater und Kind erhöhen, geht aber vermutlich mit einem erhöhten Depressionsrisiko einher.
Eine entscheidende Rolle bei Vätern mit postpartalen Depressionen spielt zudem der Gesundheitszustand der Partnerin. Laut einer Studie der Hochschule Luzern entwickeln 24 bis 50 Prozent der Männer, deren Partnerin an einer postpartalen Depression erkrankt ist, in der Folge selbst eine solche.
Psychische Erkrankungen sind nach wie vor stark stigmatisiert und werden gerne verschwiegen. Männer sind hiervon im Allgemeinen stärker betroffen als Frauen und nehmen seltener Hilfe in Anspruch. Darüber hinaus bringt eine postpartale Depression für Männer aber noch weitere Herausforderungen mit sich.
Väter haben ihr Kind nicht zur Welt gebracht. Gesundheitliche Beschwerden beim Vater erwartet das Umfeld dadurch in der Regel nicht. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Männer sich selbst zurücknehmen und ihre Partnerin unterstützen. In ein ähnliches Muster spielt das noch immer verbreitete Bild des starken Mannes. Eine Depression, die mit Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Entscheidungsschwäche einhergeht, passt nur wenig dazu. Einigen Betroffenen sind ihre Emotionen mitunter auch nur wenig bewusst und sie können ihre Gefühle erst recht nicht in Worte fassen.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der vor allem Väter betrifft, ist, dass sie meist kurz nach der Geburt wieder beruflich eingebunden sind. Sie haben weniger Kontakt zu medizinischer Unterstützung als Mütter, die anfangs noch durch die Hebamme betreut werden, zur gynäkologischen Nachsorge gehen und mit dem Baby regelmäßige Kinderarzttermine wahrnehmen. Auch über Mütter- oder Spielgruppen gibt es niederschwellige Beratungsmöglichkeiten. Entsprechende Angebote für Männer sind rar gesät. Sie müssen aktiv nach Hilfe suchen, was aufgrund von Schamgefühlen und fehlendem Wissen über die Häufigkeit postpartaler Depressionen bei Männern oft nicht gemacht wird.
Veränderte Geschlechterrollen und die Beteiligung von Vätern an der Kinderbetreuung machen die psychische Gesundheit von Männern für ihre Kinder immer wichtiger. Studien deuten darauf hin, dass eine postpartale Depression beim Vater emotionale, verhaltensbezogene und entwicklungsbezogene Auswirkungen auf die Neugeborenen hat.
So konnte eine Längsschnittstudie aus Großbritannien zeigen, dass Depressionssymptome beim Vater zwei Monate nach der Geburt mit einem höheren Risiko für Verhaltensprobleme bei Kindern im Alter von dreieinhalb Jahren und Verhaltensstörungen im Alter von sieben Jahren einhergehen. Bekannt ist zudem, dass Eltern mit einem erhöhten Stresslevel weniger sensibel auf ihre Kinder reagieren. Neben dem Baby bekommen das auch ältere Geschwister zu spüren. Darüber hinaus können unbehandelte psychische Erkrankungen langfristige Auswirkungen auf die Partnerschaft haben und die Gefahr erhöhen, dass weitere Familienmitglieder erkranken.
Eine stabile Persönlichkeit, Offenheit, Flexibilität, eine gute Kommunikationsfähigkeit sowie regelmäßige Bewegung und Entspannung helfen, Depressionen vorzubeugen. Ebenfalls als hilfreich werden unterstützende und kompetente Gesundheitssysteme, finanzielle Sicherheiten sowie hochwertige und bezahlbare Beratungsangebote angesehen. Experten sprechen sich dafür aus, in der Begleitung von werdenden und jungen Eltern die Väter stärker in den Fokus zu rücken. Bekannt ist, dass auch sie während einer Geburt Angst, Hilflosigkeit und Kontrollverlust erleben können.
Neben dem erhöhten Risiko für postpartale Depressionen entwickeln 8 Prozent der betroffenen Männer eine posttraumatische Belastungsstörung. Eine wohlwollende und unterstützende Begleitung wirkt als Präventionsfaktor. Flächendeckende Screenings können helfen, betroffene Väter besser zu erreichen. In England und Australien gehört es bereits zum Standard, dass werdende Eltern ab dem ersten Kontakt in der Schwangerschaft regelmäßig einen Fragebogen zum psychischen Befinden ausfüllen. In Deutschland stellt der Verein Schatten & Licht e.V. die Edinburgh-Postnatal-Depressions-Skale (EPDS) zur Verfügung, die jungen Eltern bei der Selbsteinschätzung hilft.