Insekten auf dem Teller |
Während der Verzehr von Insekten hierzulande eher mit Ekel assoziiert wird, sind Insekten in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Südamerikas traditioneller Bestandteil des Speiseplans. / Foto: Adobe Stock/nicemyphoto
Verschiedene Untersuchungen und Konsumentenbefragungen zeigen, dass die Bereitschaft, Insekten als Fleischersatz zu essen in Europa sehr gering ist. In westlichen Kulturen werden die Krabbeltiere eher mit Gesundheitsrisiken und Kontamination assoziiert. Auch der Gedanke an eine primitive Ernährungsweise drängt sich bei vielen Menschen auf. »Was der Bauer nicht kennt, dass (fr)isst er nicht«– dieses Sprichwort trifft es wohl sehr passend. Unser Essverhalten ist meist geprägt von Skepsis, wenn das Lebensmittel auf dem Teller nicht als essbar bekannt ist und von der kulturellen Norm abweicht. Diese Tendenz der Ablehnung wird auch als Lebensmittelneophobie bezeichnet. Ekel ist die logische Folge und soll evolutionsbedingt vor gesundheitsschädlichen Substanzen schützen.
Wer frittierte Seidenraupen mit dickem, hartem Panzer auf dem Teller sieht, wird wahrscheinlich nicht erwarten, dass diese gut schmecken und ein angenehmes Mundgefühl auslösen. Anders verhält es sich, wenn die Insekten zu Produkten weiterverarbeitet werden, die optisch keinen Ekel mehr auslösen: wie Insektenchips oder Nudeln aus Insektenmehl. Positive Geschmackserlebnisse mit solchen Lebensmitteln kann auch die Ablehnung gegenüber unverarbeiteten Insekten reduzieren.
Das Image der einzelnen Insektenarten spielt natürlich auch eine Rolle. So trauen sich hierzulande Ess-Abenteurer eher an eine gegrillte Heuschrecke als an wurmähnliche Insekten, die schnell mit Verwesung gleichgesetzt werden. Das Vertilgen eines Regenwurmes scheint hier nach wie vor einzig als Mutprobe unter Kindern zu gelten, aber nicht als hochwertige Eiweißbeilage. Für die indigene Bevölkerung am Amazonasbecken gelten geräucherte Regenwürmer hingegen als gesunde Delikatesse.
Das »Insekten-Marketing« hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Insektenimage aufzupolieren und positive Assoziationen herzustellen. Nachhaltigkeit und gesunde Alternativen zu konventionell erzeugten tierischen Proteinen sind die Hauptargumente.
Wer sich in Deutschland kulinarisch ins Insekten-Abenteuer stürzen möchte, der wurde bis vor Kurzem im klassischen Supermarkt nur selten fündig. Seit Anfang 2018 fallen Insekten als potenzielle Lebensmittel unter die Novel Food Verordnung (EU). Dies haben zahlreiche Start-ups genutzt und Anträge für die Zulassung verschiedener Insektenarten und Produkte bei der EU-Kommission eingereicht und es den Einzug in deutsche (gut sortierte) Supermärkte geschafft. Wenn die Insekten in einem Drittstaat schon seit mindestens 25 Jahren verzehrt werden und keine Sicherheitsbedenken bestehen, kann auch ein schnelleres und einfaches Anzeigeverfahren für traditionelle Lebensmittel genutzt werden.
Die Metro AG kooperiert mit dem Unternehmen Plumento Foods und bietet beispielsweise Nudeln mit Insektenmehl an und vom Osnabrücker Start-up Bugfoundation sind in vielen Rewe-Filialen Burgerpattys auf Insektenbasis zu finden – der Bux-Burger. Die bestehen aus gemahlenen Buffalowürmern, Biosoja und Gewürzen und sollen bezüglich Geschmack und Konsistenz den Burgerpattys aus Fleisch sehr ähnlich sein. Bugfoundation beliefert auch Restaurants. Die Firma Snack Insects ist bereits seit 2013 auf dem Markt und bietet Insektenmehl, Insektensnacks zum Ausprobieren, Insektenlutscher und -Schokolade sowie das Snack-Insects-Kochbuch an.
Speziell junge Sportler sind im Fokus der Insektenindustrie, denn High-Protein-Lebensmittel sind der aktuelle Trend schlechthin – dies zeigte auch die letzte internationale Leitmesse für Fitness, Wellness & Gesundheit (FIBO) 2019. Insektenriegel auf Grillen-Basis (wie von Swarm) als Proteinsnack waren unter Kraftsportlern der Hit.
Auch die moderne Gastronomie bietet einiges zum Ausprobieren: Insekten-Vorspeisenteller etwa mit Heuschrecken (zum Beispiel bei Mongo’s oder Australian Bar & Kitchen), Salate mit einem speziellen Topping (zum Beispiel bei Seidels Salatbar), Insekten-Burger (zum Beispiel bei Hans im Glück) oder ausgefallene Eissorten (zum Beispiel bei »Der verrückte Eismacher«) oder als süße Speise (zum Beispiel bei Sydney Sportsbar). In Europa werden derzeit überwiegend Heuschrecken, Grillen, Mehl- und Buffalowürmer für den Verzehr produziert.
Bis zum Jahre 2050 werden laut Vereinten Nationen etwa 9,7 Milliarden Menschen den Globus bevölkern. Essbare Insekten scheinen vor dem Hintergrund der zunehmenden Lebensmittelknappheit eine sinnvolle und gesunde Alternative zu tierischen Proteinquellen zu sein. Der hohe und hochwertige Proteingehalt der Insekten liefert viele essenzielle Aminosäuren. Der Gehalt liegt durchschnittlich zwischen 35 und 60 Prozent Protein bezogen auf die Trockenmasse, was sie durchaus zu einer guten Fleisch-Alternative macht. Einige Krabbeltiere wie Grashüpfer, Grillen und Heuschrecken weisen sogar weit über 70 Prozent auf, so dass sie sich besonders zur Herstellung von High-Protein-Produkten eignen. Neben einigen Vitaminen und Mineralstoffen sind Insekten zudem eine gute Quelle für Omega-3-Fettsäuren, wodurch sie sogar mit Fisch konkurrieren können. Die Nährstoffgehalte variieren je nach Insektenart, Fütterung und Lebenszyklus.
Insekten sind zudem klimafreundlicher. Mehlwürmer produzieren pro Kilogramm Körpermasse 10- bis 100-mal weniger schädliche Gase als klassische Nutztiere wie Schweine. Ihre Futterverwertungseffizienz ist höher, denn sie sind Kaltblüter und müssen keine Energie zur Körpererwärmung aufbringen – und sie brauchen zudem weniger Platz und Wasser. Sie sind genügsam und benötigen kein Hochleistungsfutter, Bioabfall reicht ihnen. In punkto Nachhaltigkeit darf nicht unerwähnt bleiben, dass der essbare Anteil bei Insekten mit etwa 80 Prozent höher liegt als vergleichsweise Rinder (etwa 40 Prozent).
Die Krabbeltiere könnten tatsächlich die Proteinquelle der Zukunft werden, vor allem vor dem Hintergrund der globalen Nahrungssicherung. Ob sie überzeugte deutsche Fleischliebhaber zum Umdenken bringen, sei dahingestellt. Aber vielleicht schaffen es einige Unternehmen, dass Menschen mal über den Tellerrand schauen und dabei den Konsum konventioneller Fleischprodukte reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es sinnvoll, zuerst mit verarbeiteten Insektenprodukten wie Nudeln auf Basis von Insektenmehl zu starten und dann die Akzeptanz – auch durch gesundheitliche Aufklärung – in der Bevölkerung langsam zu steigern.
Die Proteinversorgung über die Ernährung ist hierzulande sehr gut und der Bedarf wird von vielen überschätzt. Auch pflanzliche Proteinalternativen wie Hülsenfrüchte stehen zudem in einem breiten Angebot zur Verfügung. Vor allem durch clevere Kombination bestimmter Proteinlieferanten kann getrost auf Fleischberge verzichtet werden und die biologische Wertigkeit gesteigert werden. Das bieten etwa Kartoffeln mit Quark und Ei, Bohnen mit Mais oder Soja und Hirse. Es geht also auch ohne Insekten.
Gesundheitlich müssen noch einige Fragen geklärt werden, beispielsweise bezüglich des allergenen Potenzials verschiedener Insektenarten. Das gilt für eine primäre Allergie genauso wie für eine potenzielle Kreuzallergien etwa mit Hausstaubmilben und Krustentieren. Lebensmittel mit Insekten müssen deshalb zum Schutz von Allergikern klar gekennzeichnet sein.
Auch zum Tierschutz bei der Insektenzucht, der Tötung sowie der anschließenden Behandlung etwa durch Hitze oder Hochdruck und Verarbeitung ist der Forschungsbedarf noch hoch. Eine einheitliche und konkrete Regelung ist zur toxikologischen, mikrobiellen und hygienischen Sicherheit der Verbraucher wünschenswert.
Was sich für uns befremdlich anhört und aussieht, ist für große Teile der Welt natürlich und Teil ihrer Esskultur: der Verzehr von Insekten, der auch als Entomophagie bezeichnet wird.