Insulinresistenz vorbeugen |
Isabel Weinert |
13.07.2023 15:00 Uhr |
Ein ungesüßter Porridge am Morgen ist ein guter Start für die dringend notwendige Insulinempfindlichkeit der Körperzellen. / Foto: Getty Images/Arx0nt
Eine Insulinresistenz mündet in vielen Fällen in einen Prä- und schließlich in einen manifesten Typ-2-Diabetes. Sie entwickelt sich unter Umständen über Jahrzehnte hinweg und schädigt in diesem Zeitraum bereits Blutgefäße, Nerven und Nieren. Betroffene merken nichts von dem Übel in ihrem Körper. Nicht immer, aber in der überwiegenden Zahl der Fälle ist es ein Zuviel an Bauchfett, das die Zellen weniger sensibel für das Insulin aus der Bauchspeicheldrüse macht.
Es ist speziell dieses viszerale Fettgewebe, das infolge von Über- und Fehlernährung entsteht und eine Reihe von Botenstoffen produziert. Darunter schaden vor allem die proinflammatorischen Zytokine, aber auch freie Fettsäuren wirken schädlich und fördern die Insulinresistenz. Kann Insulin aus der Bauchspeicheldrüse deshalb nicht mehr umfassend wirken, dann kann es die Gluconeogenese nicht mehr hemmen und Zucker und Fett aus Speichern nicht mehr mobilisieren. Es entsteht zudem vermehrt LDL-Cholesterol auf Kosten der HDL-Konzentration.
Sehr lange steigt trotzdem nicht der Blutzuckerspiegel, wie man es annehmen könnte, wenn nicht mehr ausreichend Glucose in die Zellen gelangen kann. Das liegt an der Bauchspeicheldrüse, die immer mehr Insulin ausschüttet. Diese große Menge kann dann immer noch dafür sorgen, dass Glucose in ausreichender Menge in die Zellen gelangt. Irgendwann schafft die Bauchspeicheldrüse die stets erhöhte Insulinproduktion nicht mehr. Erst dann steigt der Blutzuckerspiegel an.
Die Zelle muss körpereigenes oder von außen gespritztes Insulin (wie immer bei Typ-1-Diabetes und in einigen Fällen bei Typ-2-Diabetes) erkennen. Das gelingt mithilfe des Insulinrezeptors. Er sitzt auf der Zelloberfläche und Insulin kann daran binden. Diese Bindung löst ein Signal an der Zelloberfläche aus. Dieser Impuls gelangt in die Zelle und stößt den Glucosetransporter an, zur Zelloberfläche zu gelangen, wo er Glucose in die Zelle befördert. Einige Mechanismen in diesem komplexen Geschehen sind bei einer Insulinresistenz gestört.
Doch auch, wenn der Mensch von diesen Vorgängen sehr lange nichts merkt, schädigen sie bereits den Organismus. Das mündet darin, dass bei Diagnosestellung eines Typ-2-Diabetes schon 20 bis 40 Prozent der Betroffenen Schäden an Nerven, Nieren und/oder Blutgefäßen aufweisen. Der Blutdruck kann steigen, weil die Insulinresistenz Gefäßwände verdickt. Deshalb ist es so wichtig, ihr vorzubeugen oder ihr Fortschreiten zu verhindern. Das kann auch bei denjenigen gelingen, deren Insulinresistenz auf eine genetische Veranlagung zurückzuführen ist. Sie sind dem Erbe nicht hilflos ausgeliefert.
Was hilft nun allen Menschen mit zu viel Bauchfett und damit einem erhöhten Risiko für eine Insulinresistenz, letztere möglichst nicht zu entwickeln oder deren Fortschreiten zumindest zu bremsen? An allererster Stelle gilt es, Gewicht zu verlieren, und zwar nicht die Muskel-, sondern die Fettmasse, die ja die Insulinresistenz triggert. Eine Stellschraube ist die Reduktion von Süßigkeiten, Backwaren und Softdrinks. Das bedeutet nicht, nie naschen zu dürfen, aber im Alltag sollten Süßes und Fettes eine Ausnahme bleiben. Denn was geschieht, wenn man sie isst? Der Zucker daraus fordert der Bauchspeicheldrüse akut eine große Menge Insulin ab und fördert weiter die Entstehung von Fettgewebe. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob es sich um vermeintlich »gesunde« Süße handelt, wie die aus Honig, Datteln oder Dicksäften. Zucker ist und bleibt Zucker und der Organismus kommt auch ohne diese direkte Süße sehr gut zurecht.
Ein weiterer Tipp: Wenn schon mal Süßes, dann bitte nur direkt nach einer vollwertigen und ballaststoffreichen Mahlzeit. Der Zucker aus den Süßigkeiten steigert den Blutzucker dann nicht derart, wie es der Fall ist, wenn man ihn auf nüchternen Magen zu sich nimmt.
Eine weitere wichtige Rolle spielt der Ballaststoffanteil der Nahrung. Je höher, desto satter fühlt sich der Mensch, desto leichter fällt ihm der Verzicht auf zu viel Essen. Frühstückt er zum Beispiel morgens einen ungesüßten Haferporridge oder nimmt zwei- bis dreimal am Tag in Wasser gequollene Flohsamenschalen ein ‒ dazu immer reichlich Wasser trinken ‒, mischt sich Haferkleie unter den Joghurt oder nutzt Leinsamen für die Verdauung, dann bleibt der Blutzuckerspiegel über ein paar Stunden glatter und der Mensch satter. Ein Gleichmaß, das auch einen gesunden Glucosestoffwechsel fördert.
Das heißt: Ballaststoffe in jeder Form wirken einer starken Beanspruchung der Bauchspeicheldrüse entgegen. Zu den Nahrungsmitteln mit vielen Ballaststoffen zählen Gemüse – am besten nach Saison kaufen –, Hülsenfrüchte, die außerdem viel Eiweiß enthalten, und Obst – hier aber diejenigen Sorten bevorzugen, die nicht ganz so viel Süße bieten.
Apropos Eiweiß: Wer abnehmen möchte oder muss, sollte den Anteil an Eiweiß in der Ernährung erhöhen. Denn Eiweiß sättigt über einen längeren Zeitraum, wirkt dem Abbau von Muskulatur im Rahmen des Abnehmens entgegen und hilft beim Muskelaufbau durch Krafttraining. Gesunde Eiweißquellen sind allen voran Hülsenfrüchte, Getreide und Pseudogetreide sowie Nüsse wie Mandeln, Erdnüsse, Hasel- oder Walnüsse. Auch Fleisch bietet viel Eiweiß, sollte jedoch nicht häufiger als zweimal pro Woche das Essen bereichern.
Kohlenhydrate aus Kartoffeln, Nudeln oder Reis müssen auch dann nicht aus dem Speiseplan gestrichen werden, wenn man abnehmen muss und möchte. Es gibt aber dann eine Form, in der sie ganz besonders die Bauchspeicheldrüse schonen. Das ist der Fall, wenn die enthaltene Stärke als sogenannte resistente Stärke vorliegt. Diese Art der Stärke entsteht immer dann, wenn man diese Nahrungsmittel nach dem Garkochen abkühlen lässt, und zwar für 12 bis 24 Stunden. In dieser Zeit verändert die Stärke ihre chemische Struktur, sie wird nahezu unverdaulich und kann damit auch die Bauchspeicheldrüse kaum mehr belasten. Das gilt auch, wenn man die Nahrungsmittel wieder erwärmt.
Die resistente Stärke zeigt aber noch an anderer Stelle positive Effekte: Milchsäurebakterien bauen sie im Dickdarm ab, eine gute Nahrung für diese gesunden Bakterien. Bei diesem Abbau entsteht eine kurzkettige Fettsäure, das Butyrat. Es fördert die guten Darmbakterien, nährt die Darmschleimhaut und wirkt Entzündungen entgegen. Der Blutzuckerspiegel steigt weniger stark an, was die Insulinempfindlichkeit verbessert. Von Natur aus enthalten auch Hülsenfrüchte, Vollkornhaferflocken, Möhren und Vollkornbrot reichlich resistente Stärke.
Ebenfalls gegen die Insulinresistenz und gegen zu viel Bauchfett helfen regelmäßige Fasteneinheiten. Welche Form des Fastens sich individuell eignet, sollte man im Vorfeld am besten mit dem Arzt klären. Typ-1-Diabetiker müssen das sogar. Sie dürfen zwar nach neuesten Erkenntnissen auch fasten, müssen dabei aber vermehrt auf ihre Stoffwechsellage achten.
Um eine Insulinresistenz durch Gewichtsabnahme wirklich nachhaltig zu bremsen, bedarf es großer Geduld. Betroffene befinden sich auf der Langstrecke, das sollten sie sich immer wieder klarmachen. Um das durchzuhalten, sollten sie sich nicht auf schnelle Diätversprechen einlassen, sondern zunächst überlegen, welche ungesunden Gewohnheiten sie streichen wollen, und das dann Schritt für Schritt umsetzen. Das können scheinbare Kleinigkeiten sein, Rituale wie die zwei Rippen Schokolade am Abend auf eine Rippe reduzieren etwa. Schon 100 Kilokalorien weniger Energiezufuhr pro Tag bringen auf lange Sicht einen Erfolg.
Massiv wirkt auch regelmäßige Bewegung einer Insulinresistenz entgegen und hilft bei der Gewichtsabnahme. Dazu braucht man nicht zum Leistungssportler zu werden. Es genügt, sich bewusst zu machen, dass wirklich jede Bewegung zählt. Wer beispielsweise an einem Tag theoretisch keine Zeit hat für Sport am Stück, dem gelingt es dennoch, egal wo und wie, Bewegung einzubauen. Ein paar Hampelmannsprünge im Büro, Seilspringen auf dem Spielplatz oder im Garten, das Gartentrampolin der Kinder für 50 Sprünge nutzen, ein paar einfache Kräftigungsübungen für die Arme mit einem Band im Sitzen am Schreibtisch, Dehnungsübungen, die Treppe ein paar Mal hinauf- und hinuntergehen, ein wenig auf der Stelle traben – es gibt wirklich unzählige Möglichkeiten, den Körper zwischendurch zu bewegen, gerade wenn die Zeit für die halbe Stunde Joggen am Stück fehlt.