Ist Altern nur ein Nebeneffekt? |
Dem Altern entkommen, dafür gibt es (noch) kein Rezept, ein anregendes Sozialleben hilft jedoch auf jeden Fall, munter zu bleiben. / Foto: Getty Images/Westend61/Uwe Umstätter
Der Startschuss für den Alterungsprozess fällt bei Menschen in dem Moment, in dem der Organismus voll ausgereift ist. Das ist etwa um das 20. Lebensjahr herum der Fall. Ab dann beginnt schleichend und über viele Jahre kaum merklich das Altern. Die Haut verliert Kollagen, Elastin und Hyaluronsäure. Die Produktion der Lungenbläschen geht zurück, wodurch sich das Atemvolumen verringert und weniger Sauerstoff im Blut zirkuliert. Beides nimmt Einfluss auf die Ausdauer, die kontinuierlich abnimmt. Auch die Anzahl der Haarzellen in der Cochlea fängt an zu sinken, wodurch hohe Töne zunehmend schlechter wahrgenommen werden. Kaum zu glauben, aber bereits ab dem 25. Lebensjahr beginnt bei Frauen die Fruchtbarkeit abzunehmen, bei Männern sinken über die Jahre zunächst der Testosteronspiegel und schließlich die Spermiendichte.
Etwa ab dem 30. Lebensjahr nimmt bei allen Menschen die Elastizität der Knorpelsubstanz ab, einige Bewegungen werden dadurch mit den Jahren schwieriger und die Bandscheiben verlieren an Substanz. Der Grundumsatz an Energie verringert sich, die Nervenbahnen leiten Reize langsamer weiter und das Gehirngewicht beginnt zu sinken.
Um das 40. Lebensjahr herum verdickt sich die Augenlinse, die Linsenflexibilität nimmt ab und das Lesen wird schwieriger. Ab etwa 55 Jahren steigt der Muskelabbau. Der Körper beginnt sein Verhältnis von Muskeln zu Fett in Richtung Fett zu verlagern. Blutgefäße beginnen zu verkalken, der Blutdruck kann ansteigen. Erste Organe wie Niere und Leber funktionieren weniger effizient, die Entgiftung des Körpers läuft langsamer ab. Mit weiter zunehmendem Alter treten altersbedingte Erkrankungen wie Demenz, Parkinson, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs immer häufiger auf und führen bei vielen Betroffenen schließlich zum Tod.
Im Durchschnitt ist dies heute um das 80. Lebensjahr herum der Fall. Doch es gibt auch Menschen, die wesentlich länger leben. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die 100 Jahre oder älter werden, verdreifacht. Schätzungen zufolge soll es zurzeit weltweit mehr als 500.000 Über-100-Jährige geben. Den höchsten, gesicherten Altersrekord hält die Französin Jeanne Louise Calment. Sie starb am 4. August 1997 im Alter von 122 Jahren, fünf Monaten und 14 Tagen. Damit hat Calment ein Alter erreicht, dass viele Alternsforscher derzeit als natürliche Obergrenze für den Menschen ansehen.
In Anbetracht dieser Zahlen stellt sich unweigerlich die Frage: Was läuft im Organismus extrem langlebiger Menschen anders als in der Durchschnittsbevölkerung? Zunächst einmal gilt: Alter und Altern sind nicht identisch. Während das Alter nur eine Zahl ist, ist das Altern der zunehmende Verlust physiologischer Unversehrtheit, der zu Funktionsstörungen und einer zunehmenden Anfälligkeit zu sterben führt. Ursache dafür sind Schäden am genetischen Material, den Zellen und Geweben, die sich mit der Zeit anhäufen und nicht mehr repariert werden können. Was genau diese Schäden verursacht und warum sie bei einigen Menschen früher und bei langlebigen Menschen scheinbar wesentlich später auftreten oder länger repariert werden können, ist bisher noch weitgehend unverstanden.
Um die zellulären und molekularen Abläufe des Alterns besser erforschen und verstehen zu können, haben sich Alternsforscher auf eine einheitliche Kategorisierung geeinigt. Sie wird als die »Neun Kennzeichen des Alterns« bezeichnet:
Aus biologischer Sicht bringt der Alterungsprozess keine Vorteile mit sich, die hochaltrigen Individuen einen Überlebensvorteil verschaffen würden. Warum altern Menschen und die meisten Tiere dann überhaupt? Diese wichtige Frage scheint weitestgehend geklärt zu sein. So gehen Alternsforscher heute davon aus, dass das Altern kein planmäßiger Prozess der Entwicklung ist. Es gibt keine Gene, die zu Schäden oder zum Tod führen. Altern scheint vielmehr ein Nebeneffekt anderer Prozesse zu sein. Dies könnte auch der Grund sein, weshalb der Alterungsprozess zwischen verschiedenen Menschen so variabel verläuft.
Die Evolutionsbiologen Peter Medawar und George Williams haben bereits in den 1950er und 1960er Jahren Alterungstheorien entwickelt, die bis heute Bestand haben. So besagt Peter Medawars »Mutationsakkumulationstheorie«, dass das wichtigste Ziel eines Organismus seine Fortpflanzung ist. Bis diese erfolgt, sorgt die natürliche Selektion für die Aufrechterhaltung aller lebenswichtigen zellulären Prozesse. Nach der Fortpflanzung fällt der evolutionäre Druck, das Überleben des Organismus zu sichern. Die zellulären Prozesse nehmen ab, der Organismus altert und stirbt.
George Williams Theorie der »antagonistischen Pleiotropie« zufolge kann die natürliche Selektion Genvarianten begünstigen, die früh im Leben positive und spät schädliche Effekte haben, wenn die negativen Auswirkungen erst nach der Fortpflanzungsphase auftreten. Darüber hinaus gehen Evolutionsbiologen davon aus, dass die Lebenserwartung mit dem Grad äußerer Gefährdungen einhergeht. So haben Tiere ohne Schutzstrategie gegen Fraßfeinde eine kürzere Lebenserwartung als Tiere, die Strategien zur Vermeidung dieser Gefahr entwickelt haben.