Ist das Baby gesund? |
Anna Carolin Antropov |
18.04.2019 09:53 Uhr |
Bei den Ultraschalluntersuchungen wird die zeitgerechte Entwicklung des ungeborenen Kindes kontrolliert. / Foto: Shutterstock/Monkey Business Images
Etwa 3 Prozent aller Kinder werden mit einer Fehlbildung geboren. Das kann eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, ein Herzfehler oder eine Chromosomenstörung sein. Ziel der Pränataldiagnostik ist es, sie frühestmöglich zu erkennen. Eine Reihe von Vorsorgeuntersuchungen sichert eine engmaschige Betreuung der Schwangeren. Je nach Alter, Risikofaktoren und persönlichem Wunsch werden sie – teils als Selbstzahlerleistung – um spezielle Diagnoseverfahren erweitert.
Die Möglichkeiten reichen von bestimmten Blutabnahmen über Feinultraschall bis hin zur Fruchtwasserpunktion. Die Vielzahl der Möglichkeiten hat auch Schattenseiten: Denn manche Tests erlauben nur eine Risikoabschätzung ohne klare Diagnose. Gewissheit schenken dann nur invasive Untersuchungen, die jedoch nicht ohne Risiko sind und schlimmstenfalls einen Abort auslösen können.
Nicht alle Störungen sind behandelbar, und eine Vorhersage über die genaue Krankheitsausprägung gelingt leider selten. Ein auffälliger Befund kann damit die Frage aufwerfen, ob die Schwangerschaft fortgesetzt oder abgebrochen wird. Deshalb ist eine gründliche, auch humangenetische Beratung vor Durchführung dieser Tests unentbehrlich. Im Folgenden werden die gängigsten Untersuchungen vorgestellt.
Die Mutterschaftsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) legen Art und Umfang der ärztlichen Betreuung in der Schwangerschaft fest. Grundsätzlich werden Schwangere regelmäßig körperlich untersucht und gewogen, ihr Blut und Urin wird kontrolliert und der Stand der Gebärmutter ertastet. Ausgeschlossen werden auch Erkrankungen wie Syphilis oder Chlamydien, die das Baby gefährden. Ein Screening auf Schwangerschaftsdiabetes gehört ebenfalls dazu. Üblich sind zehn bis zwölf Vorsorgeuntersuchungen. Alle Ergebnisse werden im Mutterpass eingetragen, den die Schwangere stets bei sich tragen sollte.
Zum Leidwesen vieler Frauen ist regulär nur eine Ultraschalluntersuchung pro Trimenon vorgesehen. Mit ihrer Hilfe wird einerseits der voraussichtliche Entbindungstermin genau bestimmt und die zeitgerechte Entwicklung kontrolliert. Andererseits können auch auffällige Merkmale (»Softmarker«) oder Fehlbildungen sowie Mehrlingsschwangerschaften frühzeitig erkannt werden. Beim zweiten Ultraschall-Screening wird in manchen Bundesländern auf Wunsch ein Feinultraschall oder ein sogenanntes Organscreening als Kassenleistung bezahlt. Hierbei untersucht ein speziell dafür qualifizierter Arzt den Fetus mit einem hochauflösenden Gerät gründlich. Das Hauptaugenmerk liegt auf der zeitgerechten Entwicklung und möglichen Fehlbildungen der Organe. Eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte oder ein Neuralrohrdefekt, aber auch zahlreiche Organ- oder Extremitätenfehlbildungen sowie Softmarker können dabei erkannt werden.
Als Softmarker bezeichnen Mediziner verschiedene Merkmale, die die Wahrscheinlichkeit für eine chromosomale Störung, körperliche Fehlbildung oder bestimmte Erkrankung beim Kind erhöhen. Es gibt sonografische Softmarker (unterentwickeltes Nasenbein, erhöhte Nackentransparenz) sowie serologische Softmarker, die durch Blutabnahme der Schwangeren festgestellt werden können. Als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) können diese auf eigene Kosten beim sogenannten Ersttrimester-Screening in der 12. bis 14. Schwangerschaftswoche (SSW) bestimmt werden.
Im Ultraschall wird die sogenannte Nackenfalte vermessen und im Blut PAPP-A und freies β-HCG bestimmt. In Kombination mit weiteren Daten wie dem Alter können Mediziner das individuelle Risiko für das Vorliegen einer Trisomie 21, 13 oder 18 berechnen. Softmarker erlauben keine Diagnose, sondern nur eine Risikoabschätzung.
Im mütterlichen Blutkreislauf befindet sich auch DNA des Feten, die als zellfreie fetale DNA (cffDNA) unvollständig vorliegt. Es ist möglich, diese Bruchstücke zu analysieren (zum Beispiel mit Harmony®-Test, PraenaTest®) und aus den vorliegenden Mengenverhältnissen zu schließen, ob die Chromosomenzahl beim Kind von der Norm abweicht. Auf diesem Weg lassen sich durch eine Blutabnahme mit relativ hoher Genauigkeit Trisomie 21, 18, 13 sowie X/Y-Chromosomenstörungen feststellen.
Ist mein Kind gesund? Diese Frage stellt sich jede werdende Mutter. / Foto: Fotolia/coffeemill
Die Kosten für den Bluttest muss die Patientin aktuell selbst tragen. Das könnte sich aber bald ändern: Der G-BA will die nicht-invasiven Tests zur Kassenleistung machen. Ende März hat der Ausschuss daher ein Stellungnahmeverfahren zur Bestimmung des Risikos von Trisomie 21, 18 und 13 durch eingeleitet. Fachgesellschaften, die Bundesärztekammer und der Deutsche Ethikrat sollen sich nun zu dem Vorhaben äußern.
Um eine Chromosomenstörung verlässlich zu diagnostizieren, müssen die fetalen Zellen selbst untersucht werden. Das gelingt nur durch eine Punktion des Mutterkuchens (Plazenta- beziehungsweise Chorionzottenbiopsie), des Fruchtwassers (Amniozentese) oder der Nabelschnur. Jede dieser Untersuchungen kann Komplikationen bis zu einem Abort auslösen. Das Risiko schwankt je nach Untersuchung stark; bei der Amniozentese und Chorionzottenbiopsie beträgt es etwa 0,2 bis 2 Prozent.
Da die Wahrscheinlichkeit für Chromosomenstörungen mit dem Alter der Mutter ansteigt, wird Schwangeren ab 35 Jahren eine invasive Diagnostik empfohlen, da der Nutzen das Eingriffsrisiko übersteigt. Auch familiäre Erbkrankheiten und vererbbare Stoffwechselstörungen können bei der Untersuchung aufgedeckt werden, wenn gezielt nach ihnen gesucht wird. Eine Punktion des Mutterkuchens ist bereits nach vollendeter elfter SSW und damit früher als eine Fruchtwasserpunktion möglich.
Die pränatale Diagnostik wird mit modernen Verfahren immer sicherer. Sie eröffnet durch die frühe Diagnose auch Chancen: Ein im Feinultraschall diagnostizierter offener Rücken (Spina bifida) kann beispielsweise schon intrauterin, also noch im Mutterleib, operiert werden. Andererseits bergen die Ergebnisse auch Risiken. Ist das Testergebnis auffällig, stehen die werdenden Eltern mitunter plötzlich vor der Frage, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen möchten. Die pränatale Diagnostik kann also bestimmte Antworten schenken, aber auch Entscheidungen abverlangen. Ein gesundes Kind kann sie nicht garantieren. Deshalb ist eine sorgfältige Abwägung jeder einzelnen Untersuchung nötig.
Tina Glaser (Name von der Redaktion geändert) erlebte nach einem auffälligen Ultraschall die Grenzen und Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik. Kurz nach der Diagnosestellung verstarb ihr Kind im Mutterleib. Sie hat mit PTA-Forum über ihre Gedanken und Gefühle während dieser schwierigen Zeit gesprochen:
»Mein Mann und ich wollten nie zusätzliche pränatale Diagnostik. Bis zum Basisultraschall, als es hieß: ›Oh, wir müssen reden.‹ Am nächsten Tag betrete ich den Flur einer großen Uniklinik. Eine Frau weint hier im Arm ihres Mannes, ein anderes Paar blickt zu Boden. Ratlosigkeit, Furcht und Unsicherheit sind greifbar.
Der Arzt begrüßt meinen Mann und mich, er strahlt Ruhe aus. Mit Smalltalk will er die Angst nehmen, während er unter einer Lupe die mitgebrachten Bilder studiert. Dann dürfen wir auf dem Ultraschallmonitor fast 20 Minuten zusehen, wie unsere Tochter munter strampelt. Es wird das letzte Mal sein, dass wir sie lebend sehen.
Der Arzt nimmt unter Bildkontrolle mit einer dünnen Nadel eine Chorionzottenbiopsie. Es schmerzt, ist aber gut auszuhalten. Der Arzt macht uns wenig Hoffnung. Dass unser Kind nicht gesund ist, scheint außer Frage zu stehen.
So traurig es ist, kehrt mit dieser klaren Prognose doch Ruhe ein. Das Schlimmste war die Unsicherheit. Am nächsten Tag erfrage ich das vorläufige Ergebnis telefonisch. Mein Herz rast. Eine Ärztin erklärt mir einfühlsam, dass sich die vermutete Chromosomenstörung bestätigt hat. Sie umreißt die Folgen und Optionen, die ich alle schon kenne. Ein ausführliches Gespräch soll folgen. Niemand nimmt das Wort Schwangerschaftsabbruch in den Mund, doch es steht immerzu im Raum. Auch bei meinem Mann und mir. Wir diskutieren, weinen, lachen. Bin ich ein Monster, wenn ich kein behindertes Kind will? Bin ich egoistisch, wenn ich meine Tochter dennoch will, obwohl sie selbst nie unbeschwert leben kann?
Noch vor dem Beratungstermin hat uns unsere Tochter die Entscheidung abgenommen – und wir sind dankbar dafür. Auch für die Diagnose sind wir dankbar. Wie wir jedoch in der nächsten Schwangerschaft zur pränatalen Diagnostik stehen werden, steht noch in den Sternen.«