Jedes Immunsystem reagiert anders |
Isabel Weinert |
13.02.2024 08:00 Uhr |
Die einen spüren so gut wie nichts nach einer Impfung, andere werden vorübergehend außer Gefecht gesetzt. / Foto: Adobe Stock/Jacob Lund
Im Hinblick auf Impfnebenwirkungen zunächst die beruhigende Nachricht: Sie können zwar unangenehm sein, treten aber nur vorübergehend auf und klingen nach wenigen Stunden bis Tagen wieder ab. Bekommt ein Mensch zum Beispiel eine Coronaimpfung verabreicht, so reagiert als erstes das angeborene Immunsystem darauf. Makrophagen und Neutrophile eilen an die Einstichstelle und produzieren Zytokine, die die betroffene Stelle anschwellen lassen, aber auch Fieber, Müdigkeit und Schüttelfrost verursachen können. Die Symptome prägten sich nach der zweiten Impfung oft noch deutlicher aus.
Doch was ist mit denjenigen, die von der Impfung gar nichts spüren? Schlägt sie bei ihnen nicht an? Nein, das ist die beruhigende Nachricht. Auch sie entwickeln einen Schutz vor einem schweren Covid-19-Verlauf. Denn die eigentliche Antwort des Immunsystems auf die Impfstoffe findet in der zweiten Phase der Immunantwort statt. Sie nimmt Tage bis Wochen in Anspruch. Der dadurch entstandene Schutz erklärt, warum viele Menschen auf die zweite Impfung heftiger reagieren als auf die erste.
Warum manche Menschen Nebenwirkungen symptomatisch entwickeln und andere nicht, wissen Forscher allerdings noch nicht genau. Es könnte zum einen Geschlechterunterschiede geben, begründet durch die je nach Geschlecht dominierenden Hormone, also Estrogen oder Testosteron. Bekannt ist etwa, dass Frauen stärkere Immunreaktionen zeigen als Männer. Vielleicht erleiden sie deshalb auch häufiger Impfnebenwirkungen. So gab das »Centers of Disease Control and Prevention« (CDC) an, dass in einer Studie, in der Daten der ersten 13,7 Millionen gegen Covid-19 Geimpften untersucht wurden, fast 80 Prozent der Menschen, die Nebenwirkungen nannten, Frauen waren. Auch von den 47 anaphylaktischen Reaktionen auf den Moderna-Impfstoff traf es in 44 Fällen Frauen. Das gilt auch für den größten Teil derjenigen, die auf die J&J-Impfung beziehungsweise auf den AstraZeneca-Impfstoff eine schwere Komplikation in der Blutgerinnung entwickelten.
Die stärkere Immunantwort von Frauen macht das weibliche Geschlecht allerdings auch anfälliger, und zwar für Autoimmunerkrankungen. Sie könnte aber auch dazu führen, dass für Frauen Impfstoffe mit geringeren Dosierungen hergestellt werden könnten. Denn Studien zeigen, dass die Immunantwort von Frauen schon ebenso erfolgreich anspringt, wenn die halbe Dosis Grippeimpfstoff verabreicht wird anstelle der vollen. Ein weiterer Grund dafür, dass bei Frauen häufiger Impfnebenwirkungen erfasst werden, könnte darin liegen, dass Frauen bei Symptomen öfter einen Arzt aufsuchen als Männer.
Neben dem Geschlecht hängt die individuelle Reaktionsweise des Immunsystems noch von weiteren Faktoren ab. Sie wird geprägt auch durch die Ernährung, die Umwelt und die eigene Lebens- und Krankheitsgeschichte.
Deshalb ist es möglich, dass es den einen Menschen nach einer Impfung außer Gefecht setzt, der andere hingegen überhaupt nichts von der Arbeit seines Immunsystems merkt.
Unterschiede in den individuellen Reaktionen des Immunsystems erkennt man auch bei der Erkrankung Long Covid. Mittlerweile ist bekannt, dass auch das Komplementsystem durch Coronaviren bei denjenigen geschädigt wurde, die an Long Covid erkranken. Einem internationalen Team unter Leitung von Forschenden der Universität Zürich ist in diesem Zusammenhang jüngst ein Durchbruch gelungen: Sie haben Proteinmuster als Biomarker für Long Covid identifiziert. Das ist deshalb so wichtig, um unterscheiden zu können, ob Symptome wie Erschöpfung, Kurzatmigkeit und eine verringerte Kognition tatsächlich von einer Infektion mit Coronaviren herrühren oder zufällig im zeitlichen Zusammenhang mit anderen Ursachen zusammenhängen.
Die Forscher fanden heraus, dass das Komplementsystem bei den Menschen mit Long Covid auch nach der Coronainfektion weiter aktiv bleibt und auf diese Weise dem eigenen Organismus schadet. Normalerweise hilft dieser Teil des angeborenen Immunsystems, Infektionen direkt am Anfang abzuwehren. Professor Onur Boyman, Universität Zürich (UZH) folgert aus den neuen Erkenntnissen, sie ermöglichten bessere Diagnosen und unterstützten die klinische Forschung dabei, Medikamente zu finden, die das Komplementsystem beeinflussen können. Derartige Mittel könnten Menschen mit Long Covid helfen. Die Frage, warum genau dieser oder jener Mensch an Long Covid erkrankt, ist noch zu klären.
Auch wenn noch niemand sicher weiß, warum das Immunsystem von Menschen zwar grundlegend gleich reagiert, aber zusätzlich stark individuell geprägt ist, so gibt es doch Verhaltensweisen, die der körpereigenen Abwehr ganz allgemein nutzen. Die folgenden zählen dazu.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.