Kann ein Hörgerät das Demenzrisiko senken? |
Hörgeräte sind nicht sehr beliebt – und dennoch ist ihr Gebrauch bei Hörverlust in vielen Bereichen von erheblichem Vorteil. Es sollte bei Hörproblemen so früh wie möglich eingesetzt werden. / © Getty Images/Johner Images
»Hörverlust und Demenz haben oft überlappende Symptome«, sagte Professor Dr. Jan Löhler, Präsident des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte, kürzlich bei einem Seminar von DigiDem, dem digitalen Demenzregister Bayern. Dazu gehören unter anderem der soziale Rückzug und die Fehleinschätzung sozialer Situationen, weil der Mensch meint, die anderen redeten über ihn und nicht mit ihm, oder weil er Ironie in der Stimme nicht mehr erkennt. Niedergeschlagenheit, Ängstlichkeit und Kommunikationsprobleme sind weitere Symptome, die sowohl Demenz als auch Schwerhörigkeit anzeigen können. Verändere sich die Persönlichkeit, können soziale Probleme heftiger werden.
Einem »The Lancet«-Bericht von 2024 zufolge könnten 45 Prozent der Demenzerkrankungen verhindert oder deutlich verzögert werden, wenn 14 modifizierbare Risikofaktoren vollständig ausgeschaltet würden. Dabei identifizierten die Forschenden die Schwerhörigkeit im mittleren Alter neben hohem LDL-Cholesterol als wichtigsten Risikofaktor. Gemäß der Forschungsgruppe könnten 7 Prozent der Demenzfälle verhindert werden, wenn ein Hörverlust im mittleren Alter behandelt wird.
Löhler sieht dies kritisch: »Diese 7 Prozent sind eine steile These; das wird wissenschaftlich stark diskutiert.« Er formuliert zurückhaltender: »Grundsätzlich kann das Demenzrisiko durch Hörhilfen vermutlich positiv beeinflusst werden.«
Eine dänische Studie, die Anfang 2024 im Fachjournal »JAMA Otolaryngology – Head & Neck Surgery« publiziert wurde, unterstreicht diese vorsichtigere Einschätzung. Menschen mit audiometrisch diagnostiziertem Hörverlust erkrankten laut der Studie häufiger an einer Demenz als Hörgesunde und das Risiko war geringer, wenn sie ein Hörgerät verwendeten. Allerdings unterstreicht die Gruppe um Manuella Lech Cantuaria von der Universität von Süddänemark, dass das Risiko deutlich geringer war als in früheren Studien, und fordert mehr qualitativ hochwertige Longitudinalstudien.
Schwerhörigkeit im Alter (Presbyakusis) ist weit verbreitet. Etwa ein Drittel aller Betroffenen ist mindestens 65 Jahre alt. Zuerst werden leise Geräusche und höhere Frequenzen nicht mehr gut gehört – typischerweise sind beide Ohren gleichermaßen betroffen. Allerdings gewöhnt sich der Mensch an die langsam fortschreitende Innenohr-Schwerhörigkeit, die auf altersbedingte Veränderungen des Innenohrs, des Hörnervs und zentraler Regionen zurückgeht.
Keine einfache Hörsituation, aber oft kann man in vertrauter Runde erahnen, was der andere sagt. / © Getty Images/Geber86
»Ältere Menschen überschätzen ihr Hörvermögen sehr«, berichtete der HNO-Arzt. Es gebe typische Kompensationsstrategien. Zum einen assoziiert der Mensch aus dem Kontext und bei bekannten Stimmen weitgehend das, was er nicht hört. »Man ahnt, was gesagt werden soll«, beschrieb Löhler. Zum anderen bestehe oft ein Vermeidungsverhalten. Kritische Situationen wie Feiern oder Treffen in lauter Umgebung würden vermieden; manche Betroffene reagierten in Gesellschaft mit Rückzug und (freundlicher) Schweigsamkeit, nur um nicht angesprochen zu werden; andere redeten pausenlos, um anderen nicht zuhören zu müssen.
Doch diese Verhaltensweisen belasten wiederum den Kontakt zu anderen Menschen und vermindern geistige Anregungen. Zudem erschwert der Hörverlust die Orientierung, zum Beispiel in Räumen oder im Straßenverkehr. Stürze, Depression und Krankenhausaufenthalte sind laut Löhler mit schlechtem Hören assoziiert.
Jede Hörschwäche müsse HNO-ärztlich abgeklärt werden, um überlappende Symptome und Erkrankungen zu erkennen. »Wir müssen Menschen schon bei mildem Hörverlust identifizieren und dafür sensibilisieren beziehungsweise mit Hörgeräten versorgen.« DerArzt empfahl einen ersten orientierenden Hörtest um das 50. Lebensjahr herum.