Keine Benachteiligung für Krebsüberlebende |
Caroline Wendt |
16.05.2025 08:30 Uhr |
Kinder und Jugendliche, die eine Krebserkrankung überstanden haben, haben ein geringes Rückfallrisiko. Als Erwachsene werden sie trotzdem in vielen Bereichen benachteiligt. / © Getty Images/FatCamera
»Insgesamt sind wir ganz schön viele«, sagte Eva Wild, Vorstandsmitglied von Survivor Deutschland, bei einer Pressekonferenz. Mit »wir« meint sie Menschen, die eine Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter überlebt haben, auch Survivor genannt. Jährlich erkranken etwa 2200 Kinder und Jugendliche in Deutschland. Dank der Fortschritte in Diagnostik und Therapie überstehen inzwischen circa 82 Prozent die Krankheit, sodass etwa 40.000 Survivor in Deutschland leben.
Doch neben den medizinischen und psychologischen Herausforderungen, die die Erkrankung mit sich bringt, müssen viele Überlebende auch mit Diskriminierungen in sozialen und finanziellen Bereichen klarkommen, berichtete Wild, die selbst eine Krebserkrankung überstanden hat. In einer von Survivor Deutschland durchgeführten Umfrage gaben 77 Prozent der Teilnehmer an, schon einmal Benachteiligungen erfahren zu haben. »Die meisten davon im Bereich der Versicherungen«, so Wild. Denn die Gesundheitsfragen vor Abschluss muss jeder wahrheitsgemäß beantworten, sonst zahlt die Versicherung im Ernstfall nicht.
Vielen ehemaligen Krebspatienten würde beispielsweise der Zugang zu privaten Versicherungen verwehrt, auch der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung sei mitunter nicht möglich. Andere Bereiche, in denen es Probleme gibt, seien zum Beispiel die Verbeamtung oder die Adoption von Kindern. »Krebs, beziehungsweise die Therapie, kann unfruchtbar machen. Deswegen bleibt einigen Betroffenen bei Kinderwunsch nur die Möglichkeit der Adoption«, berichtete Felix Pawlowski von der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Doch diese kann bei der Gesundheitsprüfung durch das entsprechende Jugendamt verwehrt werden.
»Die verschiedenen Diskriminierungen entbehren jeder medizinischen Grundlage und sollten kritisch hinterfragt werden«, erklärte die Kinderhämatoonkologin Dr. med. Ulrike Hennewig vom Universitätsklinikum Gießen. Das Rückfallrisiko von Menschen, die als Kind an Krebs erkrankten, sei viel geringer als bei späteren Krebsformen. Die Überlebensraten in Bezug auf Rückfälle glichen dem der Allgemeinbevölkerung.
Daher fordert der Verein Survivor Deutschland zusammen mit der Deutschen Kinderkrebsstiftung in einem Positionspapier das »Recht auf Vergessenwerden«. Doch was genau heißt das? Es bedeutet, dass nach einer gewissen Zeit, beispielsweise nach fünf Jahren Heilungsbewährung, frühe Krebserkrankungen bei Versicherungen, Finanzgeschäften, Verbeamtung und Adoption nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.
In vielen europäischen Ländern gilt dieses Recht bereits; in Deutschland bestehe jedoch dringender Nachholbedarf. Und das, obwohl die Voraussetzungen im Grundgesetz vorhanden seien. Zum einen bestehe der allgemeine Persönlichkeitsschutz und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, und zum anderen dürfe niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt oder diskriminiert werden. Unterstützt werde dies vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz.
Hinzu kommt, dass die EU-Richtlinie über Verbraucherkreditverträge ein Recht auf Vergessenwerden (auf Englisch: Right to be forgotten) beinhaltet. Die Mitgliedsländer haben bis November 2025 Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen; in Deutschland sei diesbezüglich jedoch noch nichts passiert. Die Umsetzung dieser Richtlinie könnte der erste Schritt für eine umfassende Reform sein.