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Gewichtige Nebenwirkung

Keine Furcht vor Dickmachern

Nicht nur psychisch belastet eine durch Medikamente induzierte Gewichtszunahme. Bei Übergewicht steigen auch Gesundheitsrisiken. Mit einer einfühlsamen Beratung lassen sich Lösungen finden und Ängste abbauen.
AutorKontaktNicole Schuster
Datum 04.04.2022  11:30 Uhr

Einige Medikamente haben einen schlechten Ruf. So fürchten viele Patienten, unter Einnahme von Psychopharmaka »dick(er)« zu werden. Die Angst ist leider oft berechtigt. Außer Antipsychotika können unter anderem auch einige Antidepressiva, Antiepileptika, Hormonpräparate, Antidiabetika, Antihypertonika und Antihistaminika zu unerwünschten Gewichtszunahmen führen. Viele Patienten fragen sich, warum sie zunehmen, wenn sie doch bewusst nichts an ihrem Ernährungsverhalten geändert haben. Im Falle von Antidepressiva kann es dann heißen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen einer seelischen Verbesserung und einem gesteigerten Appetit gebe. Das mag zum Teil zutreffen, erklärt aber nicht, warum auch zahlreiche andere Arzneimittel zu mitunter erheblichen Zunahmen führen können. Veränderungen des Appetits oder Geschmacksinns können dann eine Ursache sein, Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit können indirekt zu einer Gewichtszunahme führen, wenn Patienten deswegen mehr zuckerhaltige Getränke trinken oder mehr Bonbons lutschen.

Bei Antipsychotika nimmt man an, dass einige der Substanzen über Neurotransmittersysteme das Appetitzentrum aktivieren und sich negativ auf den Energieumsatz auswirken. Ursächlich steht vermutlich die Blockade von Dopamin (D2)-, 5-HT2c- und Histamin (H1)-Rezeptoren dahinter. Eine dämpfende Wirkung bei Antipsychotika ist erwünscht, da dadurch Wahnvorstellungen und Halluzinationen gelindert werden können. Nachteilig ist dann aber, dass sich die Betroffenen auch antriebslos fühlen und sich weniger bewegen. Dadurch verbrauchen sie weniger Energie, essen aber oft gleich viel oder infolge eines gesteigerten Appetits sogar mehr als zuvor. Als Resultat steigt das Gewicht.

Alternativen vorhanden

Doch es führen nicht alle Antipsychotika zu einer Gewichtszunahme. Bei modernen Substanzen der zweiten beziehungsweise dritten Generation wie Aripiprazol, Paliperidon (in niedriger Dosierung) oder Ziprasidon ist das Risiko geringer als bei den klassischen Vertretern.

Auch zahlreiche tri- und tetracyclische Antidepressiva können zu einer Gewichtszunahme führen. Ursächlich könnte ein gesteigerter Appetit eine Rolle spielen, der darauf zurückgeht, dass die Arzneistoffe die Wiederaufnahme von Noradrenalin hemmen, postsynaptische Serotoninrezeptoren herunterregulieren und H1-Rezeptoren blockieren. Bei den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) Fluoxetin und Fluvoxamin wird gelegentlich eine Gewichtsabnahme infolge eines verminderten Appetits beobachtet. Je länger die Einnahme andauert, desto größer ist jedoch auch bei SSRI das Risiko für ungewollte Gewichtszunahmen. Für das Phasenprophylaktikum Lithium ist ebenfalls eine Gewichtszunahme unter Therapie bekannt.

Über eine Blockade von Histamin-Rezeptoren wirken auch Antihistaminika. Die Allergiemittel bringen dadurch als eine mögliche Nebenwirkung einen gesteigerten Appetit mit, was zur Gewichtszunahme führen kann. Auch Mundtrockenheit kann eine Nebenwirkung der Antiallergika sein, die einige Patienten mit kalorienreichen Getränken bekämpfen.

Beta-Rezeptorblocker senken nicht nur den Blutdruck, sondern fahren auch die Thermogenese und damit den Grundumsatz herunter. Außerdem fühlen sich einige Patienten unter der Einnahme müde und bewegen sich weniger. Der Wechsel auf einen anderen Blutdrucksenker kann helfen. ACE-Hemmer oder Diuretika gelten beispielsweise als gewichtsneutral.

Estrogene und Progesteron führen vor allem in höheren Dosen zu einer Gewichtszunahme. Ursache könnte ein verstärktes Hungergefühl sein. Ein Plus auf der Waage, das viele Frauen feststellen, die orale Kontrazeptiva anwenden, geht aber oft nur auf eine vermehrte Wasser- und Natriumretention und nicht auf eine Fettzunahme zurück.

Glucocorticoide in hoher Dosis über längere Zeit eingenommen, fördern eine Umverteilung des Körperfetts mit Stammfettsucht und Mondgesicht. Auch eine Gewichtszunahme fürchten viele Menschen. Cortisol reguliert den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel des Körpers, kann Hungergefühle auslösen und den Abbau von Muskulatur fördern. Außerdem bremst es die Salzausscheidung und kann den Appetit steigern.

Relevant ist die gewichtige Nebenwirkung auch bei einigen Antiepileptika. Ausgeprägt ist der Effekt bei Valproinsäure und auch unter Einnahme von Carbamazepin können Patienten zunehmen. Lamotrigin gilt als gewichtsneutral, bei Topiramat kann sogar ein Gewichtsverlust eintreten. Eine Wirkung auf den Hypothalamus und die Appetitregulierung wird diskutiert.

Für einen Dickmacher halten viele Menschen auch das Hormon Insulin. Tatsächlich kann bei Diabetikern die Behandlung mit Insulin, aber auch diejenige mit einigen oralen Antidiabetika zu einer Gewichtszunahme führen. Insulin hemmt die Lipolyse (Energiebereitstellung) und fördert die Lipogenese (Energiespeicherung) und führt zu einer Salz- und Wasserretention. Bekommt ein Diabetiker erstmals Insulin, dann hört die hohe Wasserausscheidung infolge hoher Blutzuckerwerte auf, das Gewicht steigt um zwei bis drei Kilogramm. Mehr muss es allerdings nicht sein. Es kann jedoch dann passieren, wenn Diabetiker sich tendenziell zu viel Insulin spitzen, um viel essen zu können. Wer nicht in diese Falle tappt, kann sein Körpergewicht im Normalbereich halten.

Einen ähnlichen Effekt haben Sulfonylharnstoffe wie Glibenclamid und Glimepirid, da sie die Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse steigern. Eher gewichtsneutrale Alternativen unter den oralen Antidiabetika sind DPP-4-Hemmer, während Metformin, SGLT2-Hemmer wie Dapagliflozin oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Exenatid sogar zu einem Gewichtsverlust führen können – im Fall eines durch Übergewicht mit bedingten Typ-2-Diabetes ein erwünschter Effekt.

Adhärenz sichern

Bringt ein Arzneimittel eine starke Gewichtszunahme mit sich, steigert das Risiken für die Gesundheit. Das Risiko für mit Übergewicht assoziierte Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen steigt. Auch psychisch wiegen überschüssige Kilos schwer. Wie mit dem Thema in der Apotheke umgegangen wird, kann entscheidend dazu beitragen, dass Patienten ihr Arzneimittel überhaupt oder mit einem besseren Gefühl einnehmen. Wichtig ist dabei, Medikamentenklassen nicht pauschal zu verunglimpfen, sondern jeden Wirkstoff und die entsprechende Studienlage für sich zu betrachten. Informationen dazu können in den Fachinformationen der Medikamente stehen.

Wichtig auch: Nicht bei allen Patienten zeigt sich die Nebenwirkung Gewichtszunahme. Bei Antidepressiva und Antipsychotika ist das Risiko grundsätzlich bei einem niedrigen Ausgangs-BMI besonders hoch. Antidepressiva führen darüber hinaus eher bei schwerer Depression und psychotischen Symptomen zu einer Zunahme. Patienten, die Antipsychotika einnehmen, haben wiederum ein höheres Risiko, wenn sie gleichzeitig auch Antidepressiva anwenden, Negativsymptome wie Affekt- und Antriebsreduktion aufweisen und die erste psychotische Episode durchmachen. Speziell bei Olanzapin kann eine Gewichtszunahme innerhalb der ersten Wochen prädiktiv für die weitere Gewichtszunahme sein, bei anderen Substanzen tritt sie dosisabhängig auf. Meistens kommt die Gewichtszunahme nach einiger Zeit zum Stillstand, bei Antipsychotika kann das bis zu einem Jahr dauern. Eine weitere gute Nachricht ist, dass nach Absetzen des Medikaments die meisten Patienten das zusätzliche Gewicht wieder verlieren.

Rechtzeitig gegensteuern

Wenn ein Arzneimittel verschrieben wird, dass möglicherweise zu einer Zunahme führt, heißt es erst einmal, Ruhe zu bewahren. Die PTA kann dem Patienten raten, sein Gewicht in den ersten Wochen zu kontrollieren. Sinnvoll ist es, sich täglich um die gleiche Uhrzeit, am besten morgens nach dem Toilettengang ohne Kleidung, zu wiegen und den Wochendurchschnittswert zu berechnen. Im Vergleich der Durchschnittswerte lässt sich eine Gewichtszunahme am besten festmachen, da tägliche Schwankungen etwa aufgrund von mehr Darminhalt oder Wassereinlagerungen ausgeglichen werden. Geht die Tendenz auf der Waage stetig nach oben, ist ein Eingreifen angesagt, bevor sich zu viele belastende Kilos ansammeln.

Machen Arzneimittel hungrig, kann es schon eine Lösung sein, diese abends anstelle morgens einzunehmen. Einigen Patienten können diätetische Maßnahmen helfen. Die PTA kann dazu an eine spezielle Ernährungsberatung verweisen. Den Energieverbrauch können Patienten erhöhen, indem sie Sport treiben, ohnehin schon sportliche Menschen können mehr Alltagsaktivität integrieren, etwa im Stehen oder Gehen telefonieren, Besorgungen zu Fuß erledigen oder Treppen anstelle des Aufzugs nehmen. Kalorienarme Lebensmittel mit viel Volumen wie Gemüse machen schneller satt, auch fettarme eiweißhaltige Lebensmittel sättigen gut. Sehr viel ist gewonnen, wenn sich Patienten abgewöhnen, flüssige Kalorien in Form von Milch, gesüßten Softdrinks, Säften oder Alkoholika zu sich zu nehmen und zwischendurch aufs Naschen verzichten. Gegen Mundtrockenheit helfen spezielle Gels, Sprays oder Spülungen mit Wirkstoffen wie Hyaluronsäure, Xylitol oder Glycerol aus der Apotheke (etwa Gum Hydral Mundspülung, Saliva natura Mundspray, aldiamed Mundgel – Speichelergänzung oder StadaProtect Mundspray). Auch Kaugummis mit Xylitol regen den Speichelfluss an. Wer dazu neigt, aus Langeweile zu essen, überlegt sich am besten bereits vorbeugend Alternativtätigkeiten, wie ein Vollbad nehmen, Spazierengehen oder mit einer vertrauten Person sprechen.

Wenn Gegenmaßnahmen nicht helfen und die Kilos Körper und Seele belasten, können Patienten ihren Arzt nach einem Wirkstoffwechsel zu einem Arzneistoff mit günstigerem Risikoprofil fragen. Gibt es keine geeignete Alternative, ist die Gewichtszunahme zumindest für die Zeit der Therapie zu akzeptieren.

Zwischenzeitlich ist es wichtig, die körperlichen Folgen möglichst gering zu halten. Die PTA kann Patienten daran erinnern, regelmäßige metabolische Monitoring-Untersuchungen beim Arzt in Anspruch zu nehmen, um erhöhte Blutzucker- oder Blutfettwerte sowie kardiovaskuläre Risiken frühzeitig zu erkennen. 

Nebenwirkung Gewichtszunahme hoch mäßig gering
Antidepressiva Amitriptylin
Doxepin
Maprotilin
Mirtazapin
Trimipramin
Clomipramin
Imipramin
Notriptylin
Citalopram
Fluoxetin
Fluvoxamin
Moclobemid
Sertralin
Tranylcypromin
Phasenprophylaktika Lithium
Valproat
Carbamazepin Gabapentin
Lamotrigin
Antipsychotika Clozapin
Olanzapin
Quetiapin
Risperidon
Amisulprid
Aripiprazol
Haloperidol
Ziprasidon
Quelle: 1. Kornhuber J. Psychopharmaka – Ein Ratgeber. Herausgeber: Universitätsklinikum Erlangen, Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik, 2010 BRENDLI LAYOUT, Grafik & Medienproduktion, Erlangen, https://www.uk-erlangen.de/fileadm
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