Ketamin: Narkosemittel, Partydroge, Antidepressivum |
Verena Schmidt |
05.12.2019 10:00 Uhr |
Als Rauschdroge konsumiert, kann Ketamin unter anderem zu einer Ich-Auflösung führen: Konsumenten beschreiben ein Gefühl, den eigenen Körper zu verlassen. / Foto: Getty Images/Emilie Barbier / EyeEm
Bereits seit Anfang der 1970er Jahre wird Ketamin in der Human- und Tiermedizin als Injektionsanästhetikum eingesetzt. Die Substanz hat einige Eigenschaften, die bei einer Narkose durchaus vorteilhaft sind: Ketamin wirkt nicht nur narkotisierend, sondern auch stark analgetisch und kreislaufstabilisierend, und die Atemfunktion beeinträchtigt es nur wenig. Dazu kommt, dass Ketamin eine Amnesie auslöst, die Patienten können sich also nach der Narkose an nichts mehr erinnern. Mediziner sprechen bei Ketamin von einer »dissoziative Anästhesie« – eine Besonderheit, die es von anderen Anästhetika unterscheidet. Der Patient ist während der Narkose geistig abwesend, seine Reflexe, besonders die Schutzreflexe, bleiben aber erhalten.
Doch so gut die Eigenschaften auch klingen mögen, Ketamin hat auch einige schwerwiegende Nachteile, die den Einsatz als Narkosemittel stark limitieren. So treten in der Aufwachphase häufig belastenden Nebenwirkungen auf: Die Patienten berichten von lebhaften, unangenehmen Träumen, Halluzinationen und Desorientierung. Ketamin wird daher zur Narkose heute vor allem in der Tiermedizin eingesetzt, beim Menschen überwiegend in der Notfallmedizin, dann in Kombination mit einem Benzodiazepin.
Als Narkosemittel kommt Ketamin heute vor allem in der Notfallmedizin zum Einsatz. / Foto: Your Photo Today
Die dissoziative Wirkung ist es, die Ketamin auch als Rauschdroge interessant macht. Die Substanz wird in der Szene unter anderem »K« oder »Special K« genannt und kann geschluckt, geschnupft, geraucht oder gespritzt werden. Je nach Einnahmeform und Dosierung setzt die Wirkung unterschiedlich schnell und intensiv ein. In niedriger Dosierung treten nach der Einnahme visuelle Halluzinationen auf, Raum und Zeit werden verzerrt wahrgenommen. Wird eine höhere Dosis verabreicht, kann es zu stärkeren Halluzinationen, außerkörperlichen Erfahrungen und Nahtoderlebnissen kommen. Konsumenten beschreiben ein Gefühl, den eigenen Körper zu verlassen oder mit der Umwelt zu verschmelzen (»Ich-Auflösung«).
Nicht selten werden diese Rauschzustände als Horrortrips empfunden. Besonders beängstigend ist das sogenannte K-Hole (»Ketamin-Loch«), das bei einer Überdosierung auftreten kann: ein etwa 30 Minuten anhaltender Dämmerzustand mit kompletter Lösung von der Realität, Ich-Auflösung, visuellen und akustischen Halluzinationen und »Reisen durch einen dunklen Tunnel«. Äußerlich wirkt der Konsument apathisch, er ist nicht ansprechbar. Mitunter können Muskelzuckungen, Krämpfe, Lähmungserscheinungen und Bewusstlosigkeit auftreten. Das K-Hole tritt vor allem bei Mischkonsum von Ketamin mit Alkohol oder Amphetaminen auf. Es kann zu Herz-Kreislaufproblemen, Atemnot oder Atemstillstand führen und so lebensbedrohlich werden.
Ob Ketamin körperlich abhängig machen kann, ist noch nicht abschließend geklärt. Es besteht jedoch die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit. Wer häufig Ketamin konsumiert, erfährt recht schnell eine Toleranzentwicklung, das heißt, er muss die Dosis immer wieder erhöhen, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen.
Langfristig kommt es bei regelmäßigem Ketamin-Konsum außerdem zu Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, vor allem des Gedächtnisses. Auch leichte psychotische Symptome, wie bei einer schizophrenen Erkrankung, wurden beschrieben. Ketamin schädigt aber nicht nur das Gehirn: Der häufige Konsum führt unter anderem auch zu Erkrankungen der Blase und Niere und irreparablen Schäden am Harntrakt bis hin zur Inkontinenz.
So riskant der illegale Konsum von Ketamin ist, so hilfreich und erfolgreich scheint sein Einsatz bei einer vergleichsweise neuen Indikation zu sein. Ketamin, genauer sein S-Enantiomer Esketamin, wird bereits seit einiger Zeit off Label bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt. Vor kurzem wurde in den USA ein Esketamin-haltiges Nasenspray zugelassen. Im Oktober hat Spravato® zudem eine Zulassungsempfehlung von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) erhalten, die Zulassung in Europa dürfte also kurz bevorstehen.
Der genaue Wirkmechanismus von Esketamin bei Depressionen ist noch nicht aufgeklärt. Vermutlich wirkt es antidepressiv über einen Antagonismus am NMDA-Rezeptor, wodurch die Freisetzung von Glutamat erhöht wird. Der große Vorteil bei der antidepressiven Therapie ist, dass die Wirkung vergleichsweise schnell, meist innerhalb weniger Tage, eintritt. Bei anderen Antidepressiva dauert es meist einige Wochen, bis der Arzt beurteilen kann, ob der Patient auf den Wirkstoff anspricht.
Aufgrund des hohen Missbrauchspotenzials gibt es in den USA einige Auflagen für die Anwendung, die es vermutlich auch in Europa geben wird. So darf Esketamin nur unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden, und der Patient muss danach mindestens zwei Stunden lang beobachtet werden
Auf dem Schwarzmarkt kursieren die verschiedensten bunten Pillen. Was genau sie enthalten, wird beim Drug-Checking untersucht. / Foto: Adobe Stock/Tibor13
Ketamin wird in der Drogenszene meist als kristallines Pulver konsumiert. Es ist, wie bei anderen Drogen auch, in der Regel unklar, wie viel Wirkstoff enthalten ist. Eine genaue Dosierung ist also kaum möglich und die Gefahr einer versehentlichen Überdosis groß.
In vielen Ländern gibt es daher Drug-Checking-Angebote, bei denen Konsumenten auf Partys oder Veranstaltungen illegale Drogen mit mobilen Schnelltests auf Reinheit und Gehalt testen lassen können. Konsumenten können dabei auch direkt vor Ort beraten und etwa vor besonders gefährlichen Pillen gewarnt werden.
In Deutschland ist Drug-Checking aktuell verboten. Das Land Berlin hat nun allerdings ein Modellprojekt gestartet: Ab dem kommenden Jahr sollen Konsumenten dort in drei Beratungsstellen ihre Drogen testen lassen können.