Kindern mehr zutrauen |
»Wir leben nicht mehr in Zeiten, wo Eltern ihre Kinder nebenbei erzogen haben, fünf, sechs gleichzeitig«, erläutert Claudia Neumann vom Deutschen Kinderhilfswerk. »Jetzt ist es oft das einzige Kind, auf das man ganz besonders aufpasst und bei dem man alles richtig machen will.« Diese Entwicklung habe auch etwas Positives. Dadurch habe Kindheit heute einen ganz anderen Stellenwert. »Es artet an mancher Stelle aber aus.«
So trifft man auf Spielplätzen auf Eltern, die ihre Kinder nicht im Gebüsch spielen lassen aus Angst vor Zeckenstichen oder die panisch angerannt kommen, sobald sich das Kind etwas höher aufs Klettergerüst wagt. Neumann hält das für falsch: »Das, was sich Kinder allein zutrauen, sollte man zulassen – natürlich anfangs mit den Augen dabei, aber nicht mit einer gefühlten Sicherheitsmatte darunter.« Und wenn doch etwas passiert? Beulen, blutige Lippen oder aufgeschürfte Knie – auch das gehöre zu einer Kindheit dazu, meint die Expertin. »Fallen lernt man nur durch Fallen.« Der Körper müsse selbst erfahren, wie hoch er klettern und wie schnell er laufen könne oder wie er sich bei einem Sturz am besten abrolle.
»Natürlich passieren Unfälle auf Spielplätzen«, sagt der Kinderarzt Maske. »Aber die schwersten Unfälle passieren im häuslichen Umfeld.« Also dort, wo Kinder vermeintlich in Sicherheit sind. Sie stürzten zum Beispiel vom Hochbett oder einer versehentlich stehengelassenen Leiter, sagt Maske. Dazu kämen Verbrennungen oder Vergiftungen mit Putzmitteln.
Laut der Langzeitstudie KIGGS zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (Erhebungswelle 2009 bis 2012) passieren 34,8 Prozent der Unfälle zuhause oder im privaten Umfeld, 24,2 Prozent in der Schule oder in anderen Betreuungseinrichtungen und 17,4 Prozent auf dem Spielplatz oder beim Sport.
Manchmal können sogar die Eltern selbst eine Gefahrenquelle auf dem Spielplatz sein. Zum Beispiel dann, wenn sie kleine Kinder auf ein Klettergerüst heben, dass diese aufgrund ihres Alters sonst nicht hätten erklimmen können. Oder wenn sie ihre Kinder beim Rutschen auf den Schoß nehmen. Das könne das Risiko von Beinbrüchen erhöhen, schrieben Forscher der Universität von Iowa 2018 nach Auswertung von knapp 12 700 dokumentierten Rutsch-Unfällen. Zu den Brüchen kommt es demnach, wenn die Kinder mit ihrem Bein an der Rutsche hängen bleiben, der Schwung des Erwachsenen sie aber weiterschiebt.