Können Bacteriocine eine Antibiotika-Alternative werden? |
Juliane Brüggen |
08.11.2021 14:00 Uhr |
Die im Forschungsprojekt verwendeten Bodenbakterien produzierten ein Bacteriocin, das gegen den hier dargestellten Erreger Listeria monocytogenes wirkt. / Foto: Getty Images/KATERYNA KON/SCIENCE PHOTO LIBRARY
Schimmelpilze wie Penicillium notatum produzieren Substanzen, die Bakterien abtöten – das ist dank dem schottischen Mediziner Alexander Fleming bekannt. Er entdeckte das Penicillin infolge eines Zufalls: Einer vergessenen Petrischale, in der sich der Pilz gegen eine Bakterienkultur durchsetzen konnte. Die Entdeckung war ein Meilenstein der Medizingeschichte, seither haben Antibiotika zahlreiche Menschenleben gerettet.
Mittlerweile werden Antibiotikaresistenzen jedoch mehr und mehr zu einem Problem und eine alternative Option zur Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten wäre wünschenswert. Noch gibt es keine, doch Bacteriocine – antimikrobiell wirksame Peptide oder Proteine, die von Bakterien zur Abwehr anderer Bakterien produziert werden – könnten zu einer werden.
In der Natur produzieren Bakterienstämme die Bacteriocine, um Nahrungskonkurrenten fernzuhalten, heißt es in der Pressemitteilung der Universität Ulm anlässlich eines Forschungsprojekts, das sich mit der Bacteriocin-Produktion beschäftigt hat. Die Wirkstoffe hätten das Potenzial, bakterielle Krankheitserreger zu bekämpfen und damit eine Alternative zu Antibiotika darzustellen. Außerdem könnten sie der Konservierung von Lebensmitten dienen – hier werden sie schon eingesetzt.
Warum sind Bacteriocine aber noch nicht im medizinischen Einsatz? Ein Hindernis ist offenbar ihre umständliche und kostenintensive Produktion mit natürlichen, also nicht gentechnisch veränderten Bakterien. Es bedürfe aufwändiger Fermentationsverfahren, bei denen komplexe und teure Nährmedien zum Einsatz kommen, so die Universität Ulm. Für medizinische Zwecke müssten die so erhaltenen Bacteriocine noch weiter aufgereinigt werden, was teuer und daher wirtschaftlich uninteressant sei.
»Für die klinische Anwendung solcher Bacteriocine braucht es neuartige, großtechnische Verfahren, die es möglich machen, die Effizienz der Produktion und die Reinheit des Stoffes massiv zu verbessern«, verdeutlicht Professor Christian Riedel vom Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie an der Universität Ulm. Der Mikrobiologe hat in einer Studie für die Fachzeitschrift »Metabolic Engineering« dargelegt, wie dies mit biotechnologischen Methoden bewerkstelligt werden könnte.
Dem Team der Universität Ulm ist es gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Norwegen, Dänemark und Österreich gelungen, ein Bodenbakterium (Corynebacterium glutamicum) gentechnisch so zu verändern, dass es Bacteriocine in Reinform produziert. Genauer gesagt wurde es dazu gebracht, Pediocin PA-1 herzustellen – ein Bacteriocin, das gegen den bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes wirkt. Bei Menschen kann dieser Keim, der über kontaminierte Nahrungsmittel wie Rohkäse in den Organismus gelangt, eine schwerwiegende Listeriose auslösen.
Damit das Bodenbakterium das Bacteriocin produziert, haben die Forscherinnen und Forscher es mit synthetischen, zielgenau funktionalisierten Genen ausgestattet. Eine Herausforderung bestand darin, zu gewährleisten, dass das produzierte Bacteriocin nicht gegen den »Produzenten« selbst wirkt und diesen abtötet. Das ausgesuchte Bakterium brachte aber einen entscheidenden Vorteil mit. »Corynebacterium glutamicum hat keine Rezeptoren, an denen das Bacteriocin andocken kann. Es ist daher resistent gegen dessen antibakterielle Wirkung«, erklärt Dr. Oliver Goldbeck, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie und Erstautor der Studie.
Nachdem die synthetische Bacteriocin-Produktion geglückt war, gelang es dem Forscherteam außerdem, die Produktion vom Labormaßstab auf einen großtechnischen Pilotmaßstab zu skalieren, was zeigt, dass eine industrielle Produktion realisierbar wäre.
Pediocine wie das in der Studie hergestellte Pediocin PA-1 gehören zu den Klasse-IIa-Bacteriocinen, die normalerweise von Milchsäurebakterien (Pediococcus sp. und Lactobacillus sp.) produziert werden. Diese Bacteriocine töten empfindliche Bakterien dadurch ab, dass sie Poren in der zytoplasmatischen Membran bilden. Das Bakterium Corynebacterium glutamicum eignet sich als Produzent von Klasse-IIa-Bacteriocinen, da es selbst keine Rezeptoren für diese besitzt und somit unempfindlich gegen sie ist. Der Ansatz des Ulmer Forscherteams, Pediocin PA-1 im gentechnisch veränderten Corynebacterium glutamicum zu produzieren, könnte laut Studienfazit auf die Produktion anderer Klasse-IIa-Bacteriocine übertragen werden – und auch auf andere Bacteriocin-Klassen, wenn die produzierenden Bakterien mit speziellen Resistenzmechanismen ausgestattet werden.
Eine Frage blieb noch zu klären: Wie kann die Bacteriocin-Produktion kostengünstiger und umweltfreundlicher gelingen? Auch dafür fanden die Forschenden eine Lösung: »Anstatt teurer Nährmedien verwenden wir Abfallstoffe aus der Holzindustrie als Substrate für die Produktion«, so Riedel. Um dies möglich zu machen, hatte eine kooperierende Arbeitsgruppe der Universität des Saarlandes um Professor Christoph Wittmann weitere genetische Veränderungen am bakteriellen Produktionswirt vorgenommen. »Dies macht es für unsere Bakterien möglich, Zucker und organische Säuren aus den Holzabfällen zu verwerten, um daraus schließlich die antimikrobiellen Peptide zu bilden«, sagt der Forscher.
Das Projekt gehört zum internationalen Forschungsverbund »iFermenter«, der von der Norwegian University of Science and Technology koordiniert wird. Die EU fördert den Verbund im Rahmen von Horizon2020 mit rund 5,25 Millionen Euro. Mit Hilfe intelligenter Bioprozesstechnologien sollen Möglichkeiten geschaffen werden, antimikrobielle Proteine aus Abfällen der Holzindustrie herzustellen. Ziel ist es, zuckerhaltige Reststoffe wertschöpfend zu nutzen und biotechnologische Produktionsprozesse günstiger und ressourcenschonender zu machen. Die Universität Ulm ist mit Teilprojekten in der Höhe von 452.000 Euro an »iFermenter« beteiligt.