Können Heilpilze wirklich heilen? |
Verena Schmidt |
23.07.2024 10:00 Uhr |
Shiitake sind beliebte Speisepilze, in der TCM werden sie auch als Heilpilze eingesetzt. Bei der Anwendung sollten Verbraucher jedoch vorsichtig sein. / Foto: Getty Images/Arif Rizki
In Asien werden mehr als 100 verschiedene Pilzspezies medizinisch verwendet. Darunter tummeln sich viele eigentlich ungenießbare Exemplare, zum Beispiel der Glänzende Lackporling (Reishi), die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor, auch Coriolus versicolor) und der vor allem in der russischen Volksmedizin eingesetzte Schiefe Schillerporling (Chaga). Andere wiederum, etwa der Chinesische Raupenpilz (Cordyceps), Shiitake oder der Klapperschwamm (Maitake), sind auch als Speisepilze bekannt. Die arzneilich verwendeten Pilze werden in der Regel nicht gesammelt, sondern meist in Pilzfarmen gezüchtet – inzwischen zum Teil auch in Deutschland.
Heil- oder Vitalpilze haben in den vergangenen Jahren zunehmend auch in Europa Beliebtheit erlangt, sie werden alternativmedizinisch eingesetzt; verkauft werden sie frisch oder getrocknet im Ganzen, zerkleinert als Pulver in Kapseln oder in Form von Extrakten als Nahrungsergänzungsmittel. Die Liste der vermeintlichen »Indikationen« ist lang, sie sollen zur Prävention, als Unterstützung oder alleinigen Therapie etwa bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Rheuma, Depressionen, Impotenz, Allergien und vor allem bei Krebs zum Einsatz kommen. Im Unterschied zur TCM und zum Ayurveda bekommen alle Patienten über die Nahrungsergänzungsmittel dieselben Pilzbestandteile, Extrakte oder Pilzpulver. In der asiatischen Medizin dagegen werden Pilzmischungen individuell für den jeweiligen Patienten zusammengestellt.
Neben Terpenoiden und kurzkettigen Proteinen enthalten Vitalpilze wie alle Pilze unverdauliche komplexe Polysaccharide (Beta-, Xylo- und Heteroglykane) als Bestandteile ihrer Zellwände. Bekanntes Beispiel ist die Substanz Lentinan, ein Beta-Glucan aus Shiitake-Pilzen, dem eine immunmodulierende Wirkung zugeschrieben wird. Auch andere sekundäre Pflanzenstoffe aus den Pilzen wie Lektine, Ergosterol oder Arginin sollen bestimmte positive Wirkungen auslösen. In Zellversuchen und Tierexperimenten zeigten sich etwa antiproliferative, antibakterielle, immunstimulierende und zytotoxische Effekte.
Durch Lentinan beispielsweise konnte bei Mäusen, denen ein Impfstoff gegen Hepatitis B injiziert worden war, die Produktion von Antikörpern angekurbelt werden. In Zellversuchen konnte Lentinan Immunzellen dazu anregen, Krebszellen und mit Viren infizierte Zellen anzugreifen. In Japan haben Wissenschaftler auch schon Lentinan-haltige Zubereitungen zur adjuvanten Krebstherapie untersucht. Alles in allem ist die wissenschaftliche Evidenz aber noch nicht überzeugend.
Das ist das Problem: Die Hinweise auf therapeutische Effekte der Vitalpilze stammen überwiegend aus Zellversuchen und Tierexperimenten. Es gibt Einzelfallberichte, aber nur wenige randomisiert-kontrollierte klinische Studien mit Menschen. Dazu kommt, dass sich die Pilzarten, die Art der Aufbereitung, die pharmazeutische Qualität und die Art der Verwendung (frisch oder als Trockenextrakt, oral oder intravenös) von Untersuchung zu Untersuchung stark unterscheiden. Generelle Aussagen zu Dosierung, Anwendungsdauer, Wirkung und Nebenwirkungen sind damit nicht möglich.
Zwar ließen die vorhandenen Daten durchaus Hinweise auf positive medizinische Wirkungen erkennen, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Mykologie (DGfM) in einer Stellungnahme. Doch das therapeutische Potenzial der Pilze könne erst genutzt werden, wenn belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse über Wirkungen und Nebenwirkungen vorliegen. Weitere Forschungen, vor allem prospektive klinische Doppelblindstudien, die einer evidenzbasierten Medizin genügen, seien erforderlich.
Wichtig ist auch, einen Blick auf die rechtliche Lage zu werfen. Die Heilpilze gelten als Nahrungsergänzungsmittel, sie zählen damit zu den Lebensmitteln. Das heißt, sie müssen keine Wirksamkeitsnachweise liefern, und es gibt auch keine Kontrolle auf Sicherheit und Unbedenklichkeit im Sinne einer staatlichen Zulassung. Verbraucher beziehen entsprechende Produkte auch häufig aus Asien über das Internet. Dabei ist die Gefahr durchaus gegeben, dass die Präparate nicht deklarierte Substanzen oder falsche Dosierungen enthalten.
Gesundheitsbezogene Werbeaussagen zu Lebensmitteln müssen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen werden. Für Vitalpilze gibt es eine solche Zulassung nicht – krankheitsbezogene Werbeaussagen zu den Pilzwirkungen sind damit also generell verboten. Entsprechende Pilzpräparate werden in der Regel auch nur unter ihrem Namen ohne direkten Krankheitsbezug und ohne nicht erlaubte Anwendungshinweise in neutraler Verpackung verkauft. Allerdings werden im Internet über Influencer in den sozialen Medien oder auch auf Gesundheitsmessen Behauptungen zu medizinischen Wirkungen verbreitet. Schon die Begriffe »Vitalpilze« oder »Heilpilze« legen für viele Verbraucher nahe, dass es sich um Naturarzneimittel mit Wirkung handelt. Doch es sind lediglich Marketingbezeichnungen, die weder rechtlich noch inhaltlich definiert sind.
Die Verbraucherzentrale schreibt: Nach Ansicht einer Expertenkommission, bestehend aus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), wiesen Heilpilze eine medizinische Zweckbestimmung aufgrund der ausschließlichen Verwendung und bestehenden Verkehrsauffassung als »Naturarzneimittel auf« – auch ohne eine explizite arzneiliche Auslobung. In einem Gutachten kommen die Experten zu dem Schluss, dass Vitalpilze als Präsentationsarzneimittel anzusehen sind – das würde bedeuten, sie fallen unter die Regelungen des Arzneimittelrechts, egal ob tatsächlich eine pharmakologische Wirkung vorliegt.
Die Verbraucherzentrale rät Verwendern auf ihrer Website dazu, keine Selbsttherapien mit Pilzextrakten vorzunehmen, insbesondere wenn sie Medikamente einnehmen beziehungsweise eine Chemotherapie bekommen. Gewünschte Wirkungen könnten ins Gegenteil umschlagen. Keinesfalls sollten wegen einer Pilztherapie notwendige schulmedizinische Behandlungen verzögert oder unterlassen werden.
Gerade bei aus Asien importierten Produkten sei nicht sicher, dass die angegebenen Substanzen oder Dosierungen auch wirklich enthalten sind. Durch unsachgemäße Trocknung und Lagerung (beim Hersteller oder Händler) können sie laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit anderen Pilzen kontaminiert sein. Verunreinigungen mit Aflatoxinen und anderen giftigen Stoffen sind möglich.
Beta-Glucan-Extrakte aus Pilzen sollten nicht zusammen mit entzündungshemmenden Medikamenten wie Glucocorticoiden oder nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) eingenommen werden. In Tierversuchen traten bei der Kombination starke Entzündungsreaktionen auf. Der Verzehr von Shiitake-Pilzen oder Produkten aus ihnen kann allergische Reaktionen, Lippenentzündungen und eine Dermatitis hervorrufen.
Laut BVL/BfArM kann man die Identität von Produkten mit dem Chinesischen Raupenpilz (Cordyceps sinensis), der bis zu 80.000 Euro pro Kilogramm kostet, prinzipiell anzweifeln. Andere günstigere Pilzarten würden oft fälschlich als Raupenpilz vermarktet beziehungsweise entsprechende Produkte damit gestreckt. Der Hersteller sollte ein Echtheitszertifikat vorlegen können.