Körperbau und Sporterfolg |
Ruderer sind schwerer, größer und muskulöser als Nicht-Sportler der gleichen Altersgruppe. / Foto: All rights reserved Corepics VOF 2010
Schon im Altertum erkannten die Gelehrten, dass es einen Zusammenhang zwischen Körperbau und sportlicher Leistung gibt. Die alten Inder unterteilten die Körperformen in »Gazellen«, »Hirschkühe« und »Elefantenkühe«, was nicht ganz schmeichelhaft ist, aber relativ nah an moderneren Definitionen liegt. Eine davon ist die Typisierung der US-amerikanischen Antrophologin Barbara Honeyman Heath und ihrem neuseeländischen Kollegen J.E. Lindsay Carter, die nach 30-jähriger Forschung 1990 unter dem Titel »Somatotyping: development and applications« veröffentlicht wurde. In Heath und Carters System gibt es drei Grundtypen: Endomorph, Mesomorph und Ektomorph. Endomorphe Typen haben einen erhöhten Körperfettgehalt, wirken rundlich und gedrungen. Die Ektomorphen zeigen ein geringes Breiten-, aber ausgeprägtes Höhenwachstum. Die Mesomorphen zeichnen sich wiederum durch eine starke Entwicklung der Muskulatur und des Skeletts aus.
Um einen Menschen in dieses System einzuordnen, muss der Körper an vielen Punkten genauestens vermessen werden. Sportanthropologen haben dies im Verlauf des 20. Jahrhunderts bei den Teilnehmern der Olympischen Spiele sehr ausführlich gemacht. Dabei zeigte sich, dass Spitzensportler der gleichen Disziplin in der Regel alle in einem sehr engen Bereich innerhalb der Systeme liegen, während es zu anderen Disziplinen deutliche Unterschiede gibt. So wiesen in einer Studie von Peter Bale Mittel- und Langstreckenläufer niedrigere Mesomorphiewerte auf, waren also weniger muskulös als andere Athleten. Gleichzeitig zeigten sie aber höhere Ektomorphiewerte, waren also größer als Sprinter oder Schwimmer. Ein hoher Mesomorphiewert ist vor allem für Sportarten von Bedeutung, die eine hohe Kraftkomponente wie beim Turnen oder Gewichtheben erfordern. Ausdauersportler wie Langstreckenläufer hingegen profitieren von einem eher schlanken, langen Körperbau. Unterschiede gibt es aber auch innerhalb einzelner Disziplinen. So konnten Wissenschaftler der University of Western Australia zeigen, dass Wasserspringerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen mehr endomorph als mesomorph sind.
Sportanthropologen kennen heute eine Vielzahl von Merkmalen, die für den Körperbau vieler Spitzensportler einzelner Sportarten typisch, vielleicht sogar entscheidend sind. Turner etwa profitieren von einer eher kleinen Körpergröße, mit kurzen, aber muskulösen Oberarmen. Während ihre Schultern breit sind, bewegt sich die Hüftbreite im Mittelfeld. Beim Geräteturnen ermöglicht diese Körperform eine effektive Nutzung des Kraftpotentials und begünstigt die richtige Ausführung der Technik bei Sprüngen und Schwüngen. Skilangläufer sind ebenfalls eher klein, haben aber große Hände und lange Beine. Ihr Körper wirkt insgesamt muskulös, mit relativ breiten Schultern und Hüften. Lange Beine in Kombination mit einer geringen relativen Sitzhöhe sind für Gymnastinnen ein Vorteil, während Radsportler von kurzen Beinen in Kombination mit einem langen Rumpf und tiefer Brust bei insgesamt mittlerer Größe profitieren.
Gute Schwimmer haben typischerweise einen langen Oberkörper mit breiten Schultern und kurze Beine, die den Wasserwiderstand auf ein Minimum reduzieren. / Foto: Adobe Stock/yanlev
Die meisten Menschen haben eine Armspannweite, die in etwa ihrer Körpergröße entspricht. Ist sie größer als die Körpergröße, hat man gute Voraussetzungen, um als Werfer oder Stoßer erfolgreich zu sein. Beim Kugelstoßen ist zudem eine große Körperhöhe mit langen Gliedmaßen von Vorteil, da sie einen längeren Beschleunigungsweg sowie einen höheren Anfangspunkt der Flugbahn ermöglichen. Bei Boulderern ist es die Kombination von geringem Gewicht mit einer großen Armspannweite, die sie erfolgreich macht.
Auch bei Profischwimmern übersteigt die Armspannweite oft die Körperlänge. Dazu haben gute Schwimmer typischerweise einen langen Oberkörper mit breiten Schultern und kurze Beine, die den Wasserwiderstand auf ein Minimum reduzieren. Große Handflächen und Füße tun ihr übriges.
Ruderer sind schwerer, größer und muskulöser als Nichtsportler der gleichen Altersgruppe. Vor allem Bein- und Unterarmmuskulatur sind stark ausgeprägt. Typisch für viele Ruderer sind außerdem große Hände und Füße sowie relativ schmale Schultern bei gleichzeitig breiten Hüften. Im Gegensatz dazu haben Kanufahrer breite Schultern bei gleichzeitig schmalen Hüften. Eine kräftige Ausprägung der Muskulatur zeigt sich an Schultern und Armen sowie am Rumpf. Wie Ruderer haben viele Kanufahrer auffällig große Hände, dafür aber relativ kleine Füße.
Volleyball-, Basketball- und Wasserballspieler sind im Durchschnitt deutlich größer als andere Menschen. Während Basketballspieler dabei aber relativ leicht und schlank sind, schmale Schultern und Hüften haben und auch die Umfangsmaße relativ gering ausfallen, wirken Wasserballspieler deutlich massiver, was sich in den hohen Umfangsmaßen spiegelt. Volleyballspieler liegen bei den Umfängen im Mittelfeld, haben relativ schmale Schultern und breite Hüften. Ein weiteres Merkmal sind lange Arme und Beine sowie große Füße.
Große Unterschiede in der Körperform sind auch in der Leichtathletik zu beobachten. Hochspringern ermöglichen die auffällig langen Beine und eine relativ geringe Körpermasse einen höheren Körperschwerpunkt beim Absprung und damit eine höhere Flugkurve. Erfolgreiche 100-Meter-Läufer sind ebenfalls schlank, haben aber kurze Unterschenkel, einen langen Rumpf und breite, muskulöse Schultern. Bei 400-Meter-Läufern sind die Unterschenkel meist besonders lang, dafür ist der Rumpf kurz und die Schultern sind schmal.
Im Kinder- und Jugendsport galten körperbauliche Merkmale lange als wichtige Kriterien bei der Talentsuche von Sportverbänden. Heute weiß man, dass die unterschiedliche Geschwindigkeit in der Entwicklung von Kindern diesem System durchaus einen Strich durch die Rechnung machen kann. Verlässliche Aussagen über das Talent in einer bestimmten Sportart lassen sich häufig erst mit Abschluss der Pubertät treffen. Und selbst ein optimaler Körperbau ist noch lange keine Garantie für eine gute sportliche Entwicklung.
Die motorischen Fähig- und Fertigkeiten müssen ebenfalls den notwendigen Anforderungen entsprechen. Andersherum sind bei besonders gut ausgeprägten motorischen Fähigkeiten für eine Sportart auch sehr gute sportartspezifische Leistungen möglich, obwohl der Körperbau nicht den durchschnittlichen Anforderungen entspricht. So gibt es unter Basketballspielern immer wieder normalgroße Spieler, die ihren körperlichen Nachteil mit anderen Faktoren wie Geschwindigkeit oder Wendigkeit ausgleichen können. In diesem Zusammenhang spielen sportanthropometrische Daten eine große Rolle. Indem wichtige Körperbaumerkmale der Sportler erfasst und die Abweichung von der sportarttypischen Körperstruktur ermittelt werden kann, ist es möglich, das Training gezielt darauf auszurichten und vorhandene Nachteile auszugleichen.
Einen entscheidenden Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit haben zudem soziologische und psychologische Komponenten wie die Motivation und die Leistungsbereitschaft eines Kindes oder die Unterstützung durch das Elternhaus. Auch genetische Faktoren, die Leistung und Ausdauer beeinflussen, spielen eine Rolle. Mutationen am Erythropoetin-Gen zum Beispiel können die Erythrozyten-Produktion deutlich steigern, Varianten des ACE-Gens werden häufiger bei Ausdauerathleten nachgewiesen. Darüber hinaus bestimmen die Gene, ob man leicht oder schwer Muskulatur aufbaut, in welchem Verhältnis Schnellkraft- und Ausdauerfasern vorliegen oder wie gut die Muskulatur durchblutet und mit Energie versorgt wird. Für Sportanthropologen sind mitunter auch Fehlstellungen oder Abweichungen von typischen Formen von Interesse, die eventuell Vorteile gegenüber Verletzungen oder Überlastungen verschaffen können. Der Schwimmer Michael Phelps etwa hat hypermobile Fußgelenke, die ihm einen flossenartigen Beinschlag ermöglichen. Und zu guter Letzt darf man nicht vergessen, dass es auch Sportarten gibt, bei denen ein typischer Körperbau weniger stark vertreten ist. So gibt es zum Beispiel keinen idealen »Fußballer-Körper«. Die verschiedenen Positionen auf dem Feld stellen ganz unterschiedliche Anforderungen und verlangen andere Fähigkeiten von den Spielern, die erst am Ende ein Ganzes ergeben.
Als vergleichende Wissenschaft des sporttreibenden Menschen beschäftigt sich die Sportanthropologie in erster Linie mit den Körperformen und Proportionen von Sportlern, analysiert ihre Körperzusammensetzung oder stellt Fragen zur Evolution von sportrelevanten Systemen und Merkmalen im menschlichen Körper. Einige Forscher arbeiten aber auch ganz praxisnah. Sie untersuchen zum Beispiel die Auswirkungen der Chronobiologie, des Geschlechts oder von Essstörungen auf die Körper der Sportler.