Kokain lässt Gehirn schneller altern |
Juliane Brüggen |
23.06.2025 16:00 Uhr |
Auch wenn viele Menschen ihre Leistungsfähigkeit mit Kokain steigern möchten, ist der langfristige Effekt umgekehrt. / © Getty Images/Uma Shankar sharma
Kokain kann bei häufigerem Konsum in eine psychische Abhängigkeit führen. »Drogen machen uns zu Zombies, wir werden fremdgesteuert und verlieren uns als Mensch, das eigene Sein wird der Droge untergeordnet«, berichtet der Neurologe und Psychologe Professor Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung. »Erklären lässt sich das durch drogenkonsumbedingte Erhöhung von Botenstoffen im Gehirn – zum Beispiel Dopamin, wodurch das ›Belohnungszentrum‹ befeuert wird. Das gewöhnt sich an die hohen Konzentrationen und möchte immer mehr ›Stoff‹ – damit beginnt die Sucht.«
Der Kokain-Rausch verläuft meist phasenweise: Das zentrale Nervensystem wird zunächst massiv stimuliert, Konsumenten fühlen sich wach, hyperaktiv und euphorisch. Leistungsfähigkeit und Selbstbewusstsein steigen, Hemmungen fallen. Danach folgt jedoch oft ein Loch, was sich in Müdigkeit, Erschöpfung und Angstzuständen, Schuldgefühlen bis hin zu Suizidgedanken zeigt. »Der Nachhall stellt gewissermaßen ein Spiegelbild der Wirkung dar, wobei häufiges ›Nachlegen‹ die unangenehmen beziehungsweise gefährlichen Effekte verstärkt«, beschreibt es das Portal drugcom.de des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit (BIÖG).
Schon während des Rauschs können Komplikationen auftreten – immer dann, wenn der Körper mit der massiven Aktivierung überfordert ist. Das äußert sich beispielsweise in Krampfanfällen, Verwirrtheit, Aggressivität, paranoiden Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder auch Herzklopfen, Hypertonie, Schock bis hin zu Herzinfarkt und Kreislaufversagen. Doch der Konsum kann nicht nur akut gefährlich werden, sondern auch langfristige Folgen haben, wie die Deutsche Hirnstiftung und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) an zwei Beispielen erklären.
So verfünffache Kokain das Risiko für Schlaganfälle und Hirnblutungen. Das habe eine systematische Metaanalyse von 36 Studien gezeigt (doi: 10.3390/jcm12165207). Die Kokain-bedingten Schlaganfälle endeten zudem öfter tödlich oder waren von Komplikationen wie Gefäßspasmen und epileptischen Anfällen begleitet.
»Ein Schlaganfall tritt meistens erst in der zweiten Lebenshälfte auf. In aktuellen epidemiologischen Studien sehen wir aber, dass gerade die Schlaganfallrate von jüngeren Menschen unter 50 Jahren angestiegen ist, möglicherweise hängt das auch damit zusammen, dass deutlich mehr Kokain in Deutschland konsumiert wird«, erklärt Professor Dr. Peter Berlit, DGN-Generalsekretär. Als Grund vermuten die Experten die durch Kokain hervorgerufene Verengung und Entzündung von Blutgefäßen (Vasokonstriktion und Vaskulitis).
Eine weitere schwerwiegende Folge des regelmäßigen Kokainkonsums betrifft das Gehirn. So zeigte eine 2023 veröffentlichte Studie (doi: 10.3390/biology12050752), dass bei Suchtkranken eine ausgedehnte Atrophie der grauen Substanz in den Bereichen Temporallappen, Frontallappen, Insula und limbischer Lappen auftrat – ein typisches Zeichen für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. Kokain beschleunigt also offenbar den Alterungsprozess im Gehirn.
Bereits eine frühere Studie (2012) beschäftigte sich mit der Frage, warum Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit und Reaktionszeit bei Langzeit-Abhängigen abnehmen, und verzeichnete in Hirnscans ebenfalls eine Abnahme der grauen Substanz. »Die Hirnscans von 30- und 40-jährigen Kokain-Konsumenten zeigen die gleichen pathologischen Veränderungen wie die von über 60-Jährigen ohne Drogenproblem«, so Hirnstiftung und DGN.
»Das Perfide ist, dass Kokain oft von Menschen geschnupft wird, die ihre kognitive Leistungsfähigkeit steigern wollen. Die Droge hat hier zwar tatsächlich einen kurzfristigen Effekt, doch den zahlt man langfristig doppelt und dreifach in der gleichen Währung zurück«, warnt Erbguth. »Sogar gelegentlicher Kokain-Konsum könnte einer Erhebung zufolge bereits mit kognitiven Defiziten verbunden sein. Dieses Risiko kennen jedoch die wenigsten Konsumenten, hier gilt es aufzuklären.«