Kopfschmerzen durch Arzneimittel |
Wer zu häufig Schmerzmittel gegen Kopfschmerzen oder Migräne einnimmt, kann einen Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz entwickeln. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. / Foto: Getty Images/fizkes
Für viele Betroffene klingt es zunächst absurd: Wer häufig Schmerz- oder Migränemittel einnimmt, kann dadurch mehr Kopfschmerzen bekommen. Experten sprechen von »MOH«, einer Abkürzung für »Medication Overuse Headache«. Betroffen sind davon nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DNG) 0,7 bis 1 Prozent aller Kopfschmerzpatienten, oft Frauen mittleren Alters, die Migräne haben.
Ob der Gebrauch von Schmerzmitteln »übermäßig« ist, sei eine Frage der Einnahmehäufigkeit und der Wahl der Medikamente, erklärt DNG-Pressesprecher Professor Dr. Hans-Christoph Diener, der auch an der Leitlinie mitgearbeitet hat. »Bei Schmerzmitteln wie Paracetamol, Acetylsalicylsäure (ASS) oder Ibuprofen sprechen wir von übermäßigem Gebrauch, wenn sie an 15 oder mehr Tagen pro Monat eingenommen werden. Migränemittel wie Triptane und Ergotamine sollte man dagegen nur an maximal zehn Tagen pro Monat einnehmen.« Die Dosis spiele dabei nur eine untergeordnete Rolle, so der Neurologe. »Was wir aber festgestellt haben: Die meisten Menschen mit MOH-Kopfschmerz haben nicht nur ein, sondern verschiedene Schmerz- oder Migränemittel genommen – analgetische Monopräparate lösen die Schmerzen in der Regel nicht aus.«
Obwohl die Ursache der MOH-Kopfschmerzen noch nicht ausreichend geklärt ist, gilt es als wahrscheinlich, dass sich das Nervensystem durch den Übergebrauch an die Medikamente gewöhnt und in der Folge noch empfindlicher auf Schmerzreize und -auslöser reagiert. Arzneimittelbedingte Dauerkopfschmerzen sind meist dumpf und betreffen den gesamten Kopf. Und sie sind chronisch, das heißt, sie machen sich über drei Monate an mehr als 15 Tagen pro Monat bemerkbar. Begleitende Beschwerden, beispielsweise Übelkeit, kommen meist nur dann dazu, wenn zu dem Dauerkopfschmerz auch noch eine Attacke der primär bestehenden Kopfschmerzerkrankung dazukommt.
Ob Patienten Medikamente im Übermaß gebrauchen oder verschiedene Schmerzmittel gleichzeitig einnehmen, zeige sich oft als Erstes in der Apotheke, betont Diener. »Viele Betroffene lassen sich parallel von verschiedenen Ärzten Arzneien verschreiben, beispielsweise vom Hausarzt und vom Neurologen, und kaufen darüber hinaus noch rezeptfreie OTC-Präparate.« Sieht eine PTA Hinweise auf ein solches Verhalten, sollte sie auf jeden Fall das Thema Kopfschmerzen durch Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln ansprechen, berichtet der ehemalige Leiter des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums in der Neurologie des Universitätsklinikums Essen. Viele Menschen wüssten nichts von diesem Phänomen und seien dankbar für solch einen Hinweis. »Fast die Hälfte unserer Patienten im Kopfschmerzzentrum kam während meiner Zeit auf den Rat ihrer Apotheke dorthin.«
Aufklärung ist auch im Sinne der Leitlinie der erste wichtige Schritt, um gegen MOH-Kopfschmerzen vorzugehen. PTA seien dafür geradezu prädestiniert, betont Diener. Ein Einstieg könnte beispielsweise sein: »Mein Gefühl ist, Sie kommen immer häufiger wegen Ihrer Kopfschmerzen, und es wird nicht besser. Haben Sie schon einmal gehört, dass auch übermäßiger Gebrauch bestimmter Schmerzmittel eine Ursache sein kann?«
Oft glauben Menschen mit schmerzmittelbedingten Kopfschmerzen zunächst, dass sich ihre Migräne oder ihre Spannungskopfschmerzen verstärkt haben. Viele greifen dann noch häufiger zu Schmerz- oder Migränemitteln. Der erste Schritt aus diesem Teufelskreis ist deshalb, mittels eines Kopfschmerz-Tagebuchs und/oder eines Medikamentenkalenders herauszufinden, wie häufig man tatsächlich Medikamente nimmt. Wer feststellt, dass er regelmäßig an mehr als zehn Tagen im Monat Schmerz- oder Migränemittel schluckt, bespricht dies am besten mit seinem Arzt.
Um festzustellen, ob tatsächlich ein MOH-Kopfschmerz vorliegt, sollten die Schmerzmittel für mindestens eine Woche abgesetzt werden. Handelt es sich tatsächlich um MOH-Kopfschmerzen, bessern sich die Schmerzen nach wenigen Tagen und werden seltener. Bevor das passiert, können sich die Beschwerden zu Beginn der Schmerzmittelpause allerdings zunächst verstärken. Deshalb sollte der Zeitpunkt der Medikamentenpause gut gewählt und auch mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden.
Eine Medikamentenpause ist ambulant möglich, aber in einigen Fällen ist dazu auch ein (Tages-)Klinikaufenthalt sinnvoll - zum Beispiel, wenn die betroffene Person Opioide genommen oder schon einmal erfolglos versucht hat, mit weniger Schmerzmitteln zurechtzukommen. In einer Tagesklinik oder in einem Krankenhaus kann eine Medikamentenpause besser durch weitere Maßnahmen wie etwa verhaltenstherapeutische Behandlungen unterstützt werden. Zur Behandlung von Entzugssymptomen oder Kopfschmerzen während der Medikamentenpause werden trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika, Antiemetika und Corticosteroide empfohlen.
Nach der Medikamentenpause können Patienten bei akuten Kopfschmerzen wieder Schmerz- oder Migränemittel einnehmen. Sie sollten das aber maximal an zehn Tagen im Monat tun und auch nicht länger als an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Hierfür ist es wichtig, mit dem Arzt im Gespräch zu bleiben. Die größte Gefahr eines Rückfalls besteht im ersten Jahr nach einer Medikamentenpause oder einem Medikamentenentzug.
Als weitere Möglichkeit, MOH-Kopfschmerzen entgegenzuwirken, nennt die Leitlinie die Prophylaxe-Therapie. Dabei bekommen Betroffene zur Vorbeugung von Migräne die Wirkstoffe Topiramat (oral), Onabotulinumtoxin A oder monoklonale Antikörper gegen CGRP-Rezeptor wie Erenumab (Aimovig®) und Fremanezumab (Ajovy®) oder gegen CGRP selbst wie Galcanezumab (Emgality®) gespritzt. Sie sollen Schmerzattacken verhindern und so dafür sorgen, dass Schmerz- oder Migränemittel nicht häufiger als an zehn Tagen pro Monat benötigt werden. Bei Patienten mit Spannungskopfschmerz erfolgt die medikamentöse Prophylaxe mit Amitriptylin. In beiden Fällen soll die medikamentöse Prophylaxe durch nicht medikamentöse Maßnahmen wie Ausdauersport, Entspannungsverfahren und Stressbewältigung ergänzt werden.