Kopfschmerzen nach Covid-19 |
Verena Schmidt |
10.11.2021 09:00 Uhr |
Kopfschmerzen sind häufig ein initiales Symptom einer Covid-19-Infektion. Bei einigen Patienten bleiben sie auch nach der akuten Erkrankung bestehen. / Foto: Getty Images/Jamie Grill
Bei etwa 40 Prozent der Patienten sei der Kopfschmerz ein initiales Symptom einer akuten Covid-19-Infektion, berichtete Professor Dr. Andreas Straube bei einer Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses im Oktober. Betroffen seien dabei oft Personen, die schon zuvor unter primären Kopfschmerzen litten, ergänzte der Oberarzt an der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. »Migräne-Patienten etwa entwickeln bei einer Covid-19-Infektion häufiger und auch stärkere Kopfschmerzen als Gesunde«, so Straube. Frauen seien prinzipiell häufiger betroffen als Männer, und auch Myalgien und der Verlust von Geruchs- und Geschmacksempfinden begünstigen das Auftreten von Kopfschmerzen.
»Das Interessante: Patienten, die zu Beginn der Infektion Kopfschmerzen entwickeln, haben anscheinend eine bessere Prognose für den Krankheitsverlauf als Personen ohne Kopfschmerzen«, so Straube. Patienten mit dem Symptom hätten eine zweifach niedrigere Mortalität und um sieben Tage kürzere Krankenhausaufenthalte als solche ohne Kopfschmerzen.
Allerdings bleiben die Kopfschmerzen bei etwa 10 Prozent der Betroffenen noch Wochen oder gar Monate nach dem Abklingen der akuten Infektion bestehen. Verschiedene Studien fanden drei Monate beziehungsweise sechs Wochen nach der Erkrankung noch bei rund 38 Prozent der Patienten persistierende Kopfschmerzen, so Straube. Unterscheiden müsse man dabei diejenigen, die schon zuvor an einem primären Kopfschmerz wie Migräne erkrankt waren und jetzt über eine Verstärkung dieser Kopfschmerzen berichten, von Personen, bei denen sich infolge der Infektion ein neuer anhaltender Kopfschmerz entwickelt hat.
Neu auftretende, anhaltende Kopfschmerzen nach viralen Infektionen sind laut Straube schon längere Zeit bekannt. Zwar etwas seltener als nach Covid-19, wurden sie früher nach Infektionen zum Beispiel mit dem Epstein-Barr-Virus beobachtet. Wie genau diese chronischen Schmerzen entstehen, ist bisher unklar. Forschungsansätze legen einen Zusammenhang mit dem sogenannten Inflammasom nahe, das eine zentrale Funktion im angeborenen Immunsystems innehat. »Dabei handelt es sich um einen Eiweißkomplex, der sich innerhalb von Zellen befindet und als Reaktion auf Krankheitserreger oder zellulären Stress aktiviert wird«, erläuterte Straube.
Das Inflammasom ist in der Lage, die Freisetzung von Entzündungsbotenstoffen zu veranlassen – ein Mechanismus, der möglicherweise nicht nur bei der Entstehung von langanhaltenden Kopfschmerzen nach Covid-19 eine Rolle spielt, sondern auch bei der Chronifizierung von primären Kopfschmerzen wie der Migräne. »Es spricht einiges dafür, dass diese Kopfschmerzformen auf dieselben Mechanismen zurückzuführen sind«, sagte Straube. Möglicherweise könne die Erforschung der Covid-19-bedingten Kopfschmerzen neue Behandlungsansätze liefern, die auch Menschen mit bisher nur schlecht therapierbaren primären Kopfschmerzen helfen könnten, so seine Hoffnung.
Neben anhaltenden Kopfschmerzen klagen einige, vor allem schwer an Covid-19 Erkrankte über langanhaltende Schmerzen im ganzen Körper und Muskelschwäche. Diese können durch die Krankheit selbst, also im Rahmen von Post- oder Long-Covid, aber auch durch die intensivmedizinische Behandlung verursacht werden, wie Professor Dr. Winfried Meißner, Leiter der Sektion Schmerztherapie in der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena, bei der Pressekonferenz erklärte.
Critical illness neuropathy/myopathy (CINM) lautet der Fachbegriff für dieses Phänomen, welches auf die Schädigung und Fehlfunktion einzelner Nerven zurückgeht. »Die CINM ist in der Intensivmedizin lange bekannt«, sagte Meißner, der auch Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft ist. Die Beschwerden treten dem Experten zufolge jedoch bei an Covid-19 Erkrankten deutlich häufiger als bei anderen Patientengruppen auf. In einer schwedischen Studie sei mindestens jeder sechste Covid-19-Patient, der auf der Intensivstation behandelt werden musste, von einer CINM betroffen gewesen.
Fast jeder der Betroffenen berichte über ausgeprägte Schwäche, ein Großteil über Muskel- und Gelenkschmerzen und ein kleinerer Teil über Polyneuropathie-artige Schmerzen, so Meißner. »Das Ausmaß der Beschwerden scheint dabei mit der Schwere der Erkrankung und der Behandlung sowie auch der Dauer der Beatmung zusammenzuhängen.« Oft seien jüngere Patienten betroffen, die noch im Berufsleben stehen, berichtete Meißner aus seiner Erfahrung. Durch die hohe Zahl an intensivmedizinisch behandelten Patienten mit Covid-19 deute sich hier für die Zukunft ein erheblicher Behandlungsbedarf an, so der Schmerzmediziner.
Wie Patienten mit chronischen Schmerzen die Lockdown-Phasen in der Pandemie erlebt haben, hängt dem Schmerzmediziner Professor Dr. Winfried Meißner zufolge vor allem mit psychosozialen Faktoren zusammen. Bei vielen Patienten habe man keine Veränderung des Schmerzempfindens gesehen. Aber: »Manche Patienten berichteten über eine Zunahme der Schmerzbelastung. Das war insbesondere der Fall, wenn Faktoren wie Angst, Depression und/oder Einsamkeit dazukamen«, berichtete Meißner aus seiner Erfahrung. Andere Patienten wiederum hätten in den Lockdown-Zeiten eine Entlastung und Schmerzminderung erlebt, da sie weniger Druck und Stress erfahren hätten. »Die pandemiebedingten Einschränkungen sind der verminderten Mobilität und Aktivität dieser Patienten entgegengekommen.«
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.