Kräuterhexen und Erbschleicher |
Angela Kalisch |
29.03.2021 16:00 Uhr |
Agatha Christie kannte sie alle: Durch ihre Arbeit in der Apotheke wusste sie , dass der missbräuchliche Einsatz so mancher Substanz zur tödlichen Gefahr werden kann. / Foto: Photocase/complize
Wer mit der Märchensammlung der Brüder Grimm aufgewachsen ist, konnte schon als Kind einschlägige literarische Erfahrungen auf dem Gebiet des spektakulären Giftmords sammeln. Die Rede ist natürlich von Schneewittchen – in der Hauptrolle ein Mädchen von unbeschreiblicher Schönheit, dem die böse Stiefmutter nach dem Leben trachtet. Nach einem gescheiterten Auftragsmord – der Jäger, der Schneewittchen im Wald erschießen soll, bringt die Tat nicht übers Herz – wird die Stiefmutter selbst aktiv und fertigt in einer geheimen Kammer mithilfe von Hexenkünsten zuerst einen vergifteten Kamm und schließlich den zur Hälfte vergifteten Apfel an. Schneewittchen sinkt nach dem ersten Bissen »wie tot« zu Boden, erwacht aber wieder zum Leben, nachdem ihr das Apfelstückchen aus dem Mund gefallen ist.
In diesem Märchen sind mehrere Motive angelegt, die beim Thema Giftmord in der Literaturgeschichte immer wieder eine Rolle spielen. So gilt Gift als die bevorzugte Mordmethode von Frauen. Das wird einerseits dadurch begründet, dass ihnen die körperliche Kraft fehlt, um ein Opfer im direkten Kontakt anzugreifen und zu überwältigen. Andererseits standen Frauen im Verdacht, über Hexenkünste zu verfügen und Gegenstände und Nahrungsmittel verzaubern zu können. Hier spiegelt sich eine archaische Rollenverteilung der Geschlechter wider, in der Männer mit Muskelkraft kämpfen, jagen und töten, während Frauen Beeren und Kräuter sammeln und über das Wissen verfügen, welche Pflanzen genießbar oder tödlich sind oder gar heilende Kräfte haben. Dass man den sogenannten Kräuterhexen mit gemischten Gefühlen begegnete, verwundert kaum, war doch ihre undurchschaubare Heilkunst geschätzt und gefürchtet zugleich – was nicht zuletzt zahlreiche medizinisch kundige Frauen auf den Scheiterhaufen gebracht hat.
Ein weiteres interessantes Detail aus Schneewittchen ist die Tatsache, dass das Gift aus Kamm und Apfel das Mordopfer zunächst eindeutig tot erscheinen lässt, es aber auf wundersame Weise wieder quicklebendig wird. Ähnliches widerfährt dem berühmtesten Liebespaar der Weltliteratur: Romeo und Julia. Um der Ehe mit dem ungeliebten Grafen Paris zu entgehen, trinkt Julia ein nicht näher benanntes Destillat, das sie in einen todesähnlichen Schlaf versetzt. Der Plan, nach dem Aufwachen mit ihrem Geliebten Romeo zu fliehen, geht gründlich schief, denn Romeo erfährt nichts von diesem Täuschungsmanöver, ihn erreicht nur die Nachricht von Julias Tod. Aus Kummer kauft er sich bei einem Apotheker ein schnell wirkendes Gift, welches er in der Gruft an der Seite der vermeintlich leblosen Julia zu sich nimmt. Denkbar schlechtes Timing, denn kurz darauf erwacht Julia, sieht den toten Romeo neben sich liegen, greift zum Dolch und setzt ihrem Leben ein Ende.
In einem weiteren Drama Shakespeares wird Gift für einen ausgesprochen heimtückischen Mord eingesetzt: Hamlets Vater, König von Dänemark, wird im Schlaf von seinem eigenen Bruder getötet, indem dieser ihm eine Flüssigkeit mit Schierlingskraut ins Ohr tröpfelt. Der Mörder ehelicht kurze Zeit später die Witwe und sichert sich so den Thron. Der Verblichene sucht fortan Hamlet des Nachts als Geist auf und beauftragt ihn, den ehrlosen Mord zu rächen. Auch dieser Geschichte ist kein Happy End vergönnt: Wenn der Vorhang fällt sind fast alle tot, gestorben durch präparierte Schwerter oder vergiftete Trinkbecher.
Ohne die sachdienlichen Hinweise des Geists wäre der Tod von Hamlets Vater auf einen Schlangenbiss zurückgeführt worden und der Mörder unentdeckt geblieben. Ein Giftmord bot also immer auch die Chance, die Tat zu vertuschen, die Todesursache zu verschleiern und ungestraft davonzukommen. Die Herausforderung bestand lediglich darin, das Gift entsprechend zu platzieren und abzuwarten.
Wer sich umgekehrt von Feinden bedroht fühlte, konnte nie ganz sicher sein, ob Speisen oder Getränke möglicherweise vergiftet waren. Viele Herrscher und Päpste bedienten sich deshalb eines Vorkosters, um sich von der Unbedenklichkeit der aufgetragenen Gerichte zu überzeugen. Auch der Brauch, mit Trinkbechern anzustoßen, könnte auf diese Vorsichtsmaßnahme zurückzuführen sein: Beim zünftigen Aneinanderstoßen der Becher schwappte die Flüssigkeit von einem zum anderen Trinkgefäß, sodass sich verdächtig machte, wer in der Runde nicht gleich einen kräftigen Schluck zu sich nahm.
Voraussetzung für einen gelungenen Giftmord ist auch die Wahl des passenden Gifts. Um über die Nahrung verabreicht zu werden, sollte es geruchs- und geschmacksneutral sein und sich idealerweise chemisch nicht nachweisen lassen. Aufgrund dieser Eigenschaften erlebte Arsen eine unvergleichliche Karriere als König der Gifte. In den 1830er-Jahren gelang dem englischen Chemiker James Marsh der Nachweis von Arsen, wodurch es überhaupt erst möglich wurde, Giftmörder zu überführen. Der Verwendung von Arsen zum Morden tat dies jedoch keinen Abbruch.
Im Jahr 1831 wurde die Bremer Bürgerin Gesche Gottfried öffentlich hingerichtet, nachdem sie drei Jahre zuvor des mehrfachen Giftmordes überführt worden war. Regelmäßig hatte sie sich in einer Apotheke Arsen besorgt, das sie unter die Butter mischte. Insgesamt vergiftete sie 15 Menschen aus ihrer unmittelbaren Nähe, darunter ihre Ehemänner und Kinder. Durch die Gabe von kleinen Giftmengen erkrankten die Betroffenen zunächst schwer und wurden von Gesche Gottfried noch aufopferungsvoll gepflegt. Als die Wahrheit hinter den Todesfällen ans Licht kam, war das Entsetzen in der Bremer Gesellschaft groß. Eine Frau, die zu solchen Taten fähig war, galt als Monster. In der Literatur, die diesen Fall mehrfach aufgegriffen hat, begann man sich dagegen eher für die psychologischen Hintergründe der Tat zu interessieren. Die Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts werden dabei genauso hinterfragt wie der Umgang mit psychisch kranken Straftätern und ihre Schuldfähigkeit. Der Literatur kommt somit die wichtige Funktion zu, kritisch auf die Gesellschaft und auch die Rechtsprechung einzuwirken.
Während sich die forensische Toxikologie über die Jahrzehnte einen Wettlauf im Nachweis immer neuer Modegifte lieferte, entdeckte die Literatur den spannenden Unterhaltungswert der Giftmorde. Das beliebte Genre der Kriminalromane lebt davon, raffinierte Verbrechen zu ersinnen und sie von cleveren Ermittlern aufdecken zu lassen. Der Giftmord bietet dafür ein besonders breites Spektrum an Möglichkeiten, wobei die Kenntnis über toxische Substanzen oder eine ausgefallene Methode, ein Gift zu verabreichen, den Reiz der Geschichte ausmachen.
Zwei der bekanntesten Kriminalautoren waren mit Medizin und Pharmazie bestens vertraut. Sir Arthur Conan Doyle, der die Fälle rund um Sherlock Holmes und Dr. Watson schrieb, war selbst Arzt und ließ seine beiden Ermittler mit wissenschaftlichen Methoden Verbrechen aufklären, die der klassischen Polizeiarbeit weit voraus waren. Und Agatha Christie, die Meisterin der Kriminalromane schlechthin, hatte im Ersten Weltkrieg in einer Krankenhausapotheke als Assistentin gearbeitet – in der heutigen Zeit wäre sie vielleicht PTA geworden. Durch ihre Arbeit in der Apotheke wurde Agatha Christie bewusst, dass sie von lauter Substanzen umgeben war, die in der richtigen Dosis Krankheiten lindern und heilen, bei missbräuchlichem Einsatz aber zur tödlichen Gefahr werden konnten. Davon inspiriert, betritt gleich in ihrem Romandebüt »The Mysterious Affair at Styles« (»Das fehlende Glied in der Kette«) der geniale Detektiv Hercule Poirot die Bühne und muss einen Giftmord aufklären. Einen komplett anderen Ermittlertyp hat Agatha Christie mit der schrulligen Miss Marple geschaffen, die auf ihre ganz eigene unkonventionelle Weise Verbrechen aufklärt. Nicht eben wenige davon, man ahnt es schon, sind Giftmorde. Ob ungeliebte Ehepartner oder reiche Erbonkel, bei erfolgreichem Giftmord trug das frühzeitige Ticket ins Jenseits den Stempel »Herzversagen«.
Der Gedanke, dass auch die Literatur selbst lebensgefährlich sein kann, steht im Mittelpunkt von Umberto Ecos Meisterwerk »Der Name der Rose«. In diesem historischen Krimi ereignet sich eine Reihe von mysteriösen Todesfällen unter Mönchen, die ein Buch aus dem verbotenen Teil der Bibliothek gelesen haben. Ob die Lektüre eines Buches die Leser in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord treiben kann? Tatsächlich ist das Buch das Mordwerkzeug, weniger allerdings sein aufklärerischer Inhalt als die mit Gift versetzten Seiten.