Krank durch die Nebenschilddrüsen |
Isabel Weinert |
12.07.2024 08:00 Uhr |
Die winzigen Nebenschilddrüsen steuern über Parathormon den Calciumhaushalt im Körper maßgeblich. Zu viel Parathormon und dazu ein mitunter auch akut gefährlich hoher Calciumwert im Blut kann verschiedene Ursachen haben. / Foto: Adobe Stock/Dr_Microbe
Die Nebenschilddrüsen oder Epithelkörperchen, auch Glandulae parathyreoideae, liegen der Schilddrüse meist paarig einander gegenüber angeordnet im oberen sowie im unteren Schilddrüsenlappen auf. Das »Neben« besagt allerdings schon, dass sie kein Bestandteil der Schilddrüse sind, sondern dieser nur sehr nahe. In nicht wenigen Fällen sind es auch mehr als vier Drüsen, die auch an anderen Orten weiter entfernt von der Schilddrüse liegen können. Es handelt sich um völlig eigenständige Drüsen, die mit den Hormonen der Schilddrüse nichts zu tun haben.
Nebenschilddrüsen regulieren über Parathormon (PTH) maßgeblich den Calciumhaushalt eines Menschen und sind damit dafür verantwortlich, ob Knochen stabil bleiben oder aber krankhaft abgebaut werden. Sinkende Calciumblutspiegel veranlassen die Nebenschilddrüsen, Parathormon abzugeben. Dieses wirkt an mehreren Stellen: Aus Knochen und via Rückresorption aus dem Primärharn gelangt wieder mehr Calcium ins Blut, und auch aus dem Darm wird vermehrt Calcium resorbiert. In den Nieren wird vermehrt Vitamin D in seine Wirkform umgesetzt.
Parathormon fördert zudem die Ausscheidung von Phosphat über den Urin, denn Phosphat behindert die Calciumaufnahme. Mit all diesen Prozessen erreichen die Nebenschilddrüsen, dass ein zu niedriger Calciumspiegel im Blut wieder ansteigt.
Ein ausgeklügelter Mechanismus, der so lange einwandfrei funktioniert, wie die Nebenschilddrüsen gesund sind. Speziell ab dem 50. Lebensjahr und bei Frauen häufiger als bei Männern beginnen bei einigen Menschen (nach den Wechseljahren etwa 3 Prozent der Frauen) eine der kleinen Drüsen oder mehrere davon autonom zu viel Parathormon zu produzieren. Der Haupteffekt: Der Calciumwert im Blut steigt an. Weil Calcium nicht automatisch in einem Blutbild enthalten ist, bekommen viele Betroffene gar nicht mit, dass in ihrem Stoffwechsel etwas überhaupt nicht stimmt. Sie fühlen sich womöglich müder als früher, müssen vielleicht deutlich häufiger Wasser lassen und haben mehr Durst, leiden unter Verstopfung, Knochenschmerzen und mitunter Übelkeit.
Aber all diese Symptome lässt man auch als Zeichen des Alterns durchgehen. Leider, denn dauernd zu viel Parathormon führt dazu, dass die Knochen immer mehr Calcium verlieren. Es ist dann nicht mehr nur der Alterungsprozess, der an den Knochen nagt, sondern ein weiterer pathologischer Faktor, der sogenannte Hyperparathyreoidimus. Jahrelang kann das unbemerkt gut gehen. Allerdings besteht vermehrt die Gefahr für Knochenbrüche, ohne dass es dazu eines Traumas durch einen Sturz oder Ähnliches bedürfte.
Deshalb ist es so wichtig, den Calciumwert routinemäßig mitzubestimmen, wenn Menschen ihre Check-ups beim Arzt vornehmen lassen. Bislang ist das aber kein Standard. Darum wird ein Hyperparathyreoidismus bis dato häufig nur zufällig erkannt, dann, wenn der Arzt aus irgendeinem Grund den Calciumwert bestimmt. Dabei kann ein stark erhöhter Calciumwert sogar tödlich enden. Der Normbereich für Calcium im Blut liegt sehr eng zwischen 2,20 mmol/l und 2,65 mmol/l. Ab etwa 3,0 mmol/l wird es lebensgefährlich.
Abweichungen des Calciumwertes nach oben oder unten sollten Mediziner immer zu weiteren Fragen an den Patienten beziehungsweise Untersuchungen veranlassen. Einfach und unproblematisch lassen sich die zwei wichtigsten Werte in diesem Zusammenhang bestimmen: der Parathormon- und der Phosphatwert. Außerdem sollte der Arzt den Vitamin-D-Spiegel prüfen und die Nierenwerte. Aus den Ergebnissen kann er einiges ableiten. Ein hoher Parathormonwert und ein hoher Calciumwert gemeinsam mit einem niedrigen Phophatwert und normalen Nierenwerten spricht deutlich für einen sogenannten primären Hyperparatyreoidismus.
Primär, weil die Ursache in den Nebenschilddrüsen selbst liegt. In 85 Prozent der Fälle hat sich aus einer der Drüsen ein Adenom gebildet, ein autonomer, gutartiger Tumor. In beinahe 15 Prozent der Fälle sind mehrere Drüsen erkrankt, man spricht von einer Hyperplasie. In unter einem Prozent handelt es sich um einen bösartigen Tumor einer Nebenschilddrüse.
Im Falle eines Nebenschilddrüsenadenoms wird heute großzügig eine Operation empfohlen, in deren Rahmen das Adenom entfernt wird. Großzügig, weil die Risiken gering sind, der Patient aber perspektivisch einen großen gesundheitlichen Nutzen daraus hat, wenn sein Blutcalcium wieder dauerhaft im Normalbereich liegt. Bei asymptomatischen Patienten mit nur geringfügig erhöhten Calciumwerten kann es auch ausreichen zuzuwarten.
Bei einer Mehrdrüsenerkrankung als Ursache des hohen Parathormonwertes suchen Mediziner nach seltenen genetischen Erkrankungen, in deren Rahmen mehrere endokrine Drüsen im Organismus gut- oder bösartige Tumoren entwickeln. Auch hier werden die betroffenen Nebenschilddrüsen meist operativ entfernt. Mediziner belassen jedoch immer einen Teil davon im Körper, denn ganz ohne Parathormon würde es schwierig. Ob es sich bei einem Nebenschilddrüsenadenom doch um ein Karzinom handelt, das lässt sich erst nach der Operation bei der feingeweblichen Untersuchung der veränderten Nebenschilddrüse feststellen. In diesem Fall entfernen Chirurgen auch den gleichseitigen Schilddrüsenlappen und Lymphknoten.
Außer dem primären existieren auch ein sekundärer sowie ein tertiärer Hyperparathyreoidismus. Ein sekundärer Hyperparathyreoidismus ist meist Folge einer fortgeschrittenen chronischen Nierenerkrankung. Dann führen eine nicht mehr ausreichende Produktion von aktivem Vitamin D in den Nieren und weitere Pathomechanismen zu einem zu niedrigen Calciumspiegel. Das bringt die Nebenschilddrüsen dazu, dauernd Parathormon auszuschütten, in dem Bemühen, das Blutcalcium wieder zu erhöhen.
Beim tertiären Hyperparathyreoidismus reagieren die Nebenschilddrüsen nicht mehr auf den Calciumgehalt im Blut, sondern produzieren beständig zu viel Parathormon. Besonders Menschen mit einer jahrelang bestehenden sekundären Form erkranken daran, zumeist Menschen mit schwerer Nierenerkrankung.