Krank nach der Impfung |
Verena Schmidt |
28.07.2023 11:00 Uhr |
Unter dem Post-Vac-Syndrom werden ähnlich wie bei Long-Covid viele unterschiedliche Beschwerden zusammengefasst. Symptome sind etwa chronische Müdigkeit und Herz-Kreislauf-Beschwerden. / Foto: Getty Images/Catherine Falls Commercial
Junge Menschen, die seit der Impfung gegen Covid-19 unter Herzproblemen und lähmender Müdigkeit leiden oder ehemalige Leistungssportler, die nun kaum mehr einen normalen Alltag bewältigen können: Solche Schicksale sind in den Medien immer wieder präsent. Die Betroffenen berichten meist von einer Ärzte-Odyssee und zahlreichen Therapieversuchen – oft mit mäßigen oder gar keinen Erfolgen.
Zunächst: Insgesamt sind Nebenwirkungen nach der Coronaimpfung sehr selten aufgetreten. Laut einem im Juni 2023 veröffentlichten Bulletin für Arzneimittelsicherheit hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das die Sicherheit der Impfstoffe in Deutschland überwacht, bis 31. März 2023 insgesamt 340.282 Meldungen zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen beziehungsweise Impfkomplikationen erhalten. In 56.432 Fällen wurde der Verdacht einer schwerwiegenden Impfnebenwirkung gemeldet.
Die eingangs beschriebenen Fälle, bei denen Personen unter lang anhaltenden Beeinträchtigungen leiden, werden unter dem Begriff »Post-Vac-Syndrom« zusammengefasst. Ähnlich wie bei Long oder Post Covid beziehungsweise beim Chronischen Erschöpfungssyndrom/Myalgischer Enzephalomyelitis (CFS/ME) berichten Betroffene über viele unterschiedliche Symptome, unter anderem Kopfschmerzen, starke chronische Müdigkeit, Bewegungsstörungen und Herzbeschwerden. 1547 entsprechende Verdachtsmeldungen, die als Post-Vac-Syndrom eingestuft wurden, hat das PEI nach eigenen Angaben bis zum 19. Mai 2023 bekommen, wie es in einer Stellungnahme schreibt. Dem Institut zufolge ist auffällig, dass rund die Hälfte aller weltweit registrierten 2817 Post-Vac-Verdachtsfälle aus Deutschland berichtet wurden. Dabei sind hierzulande aber keineswegs die Hälfte aller Impfdosen weltweit verabreicht worden (192 Millionen Impfungen in Deutschland, weltweit etwa 11 Milliarden Impfungen).
Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Eine Verdachtsmeldung an das PEI bedeutet nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung und den berichteten Symptomen gibt. Die Anzahl der Meldungen sage auch nicht direkt etwas über die tatsächliche Häufigkeit einer Reaktion aus. »Die Spontanmeldungen sind ein wichtiges Instrument in der Pharmakovigilanz, um neue Risikosignale zu detektieren, die dann in weiteren Untersuchungen und Studien untersucht werden sollten«, beschreibt das PEI in seinem Bericht.
Aus den vorliegenden Meldungen hatte sich in der Vergangenheit allerdings kein Risikosignal für das Auftreten von Post-Vac-Beschwerden nach einer Coronaimpfung ergeben, so das PEI. Auch gebe es keinen medizinisch plausiblen Hinweis auf einen direkten, ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Beschwerden und einer Covid-19-Impfung.
Das Phänomen Post-Vac-Syndrom ist noch wenig erforscht, die Ursachen sind unbekannt. Es gibt verschiedene Theorien, welche Vorgänge im Körper ablaufen könnten. Wie bei Long Covid könnte es auch beim Post-Vac-Syndrom zu einer Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-(EBV-)Infektion kommen. Auch Autoantikörper, die durch eine übermäßig starke Aktivierung des Immunsystems durch die Impfung entstehen, könnten körpereigenes Gewebe angreifen und Autoimmunkrankheiten auslösen. Beim Post-Vac-Syndrom sollen unter anderem Autoantikörper gegen das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2), an das auch das Spike-Protein des Coronavirus andockt, sowie gegen das Beta-2-Glykoprotein, dessen Funktionen im Körper noch nicht komplett bekannt sind, eine Rolle spielen.
Leitlinien zur Behandlung von Post-Vac-Patienten gibt es aktuell nicht. Die Therapie richtet sich nach den jeweiligen Symptomen. Wie bei Long Covid probieren einige Patienten etwa eine Immunapherese, eine Art Blutwäsche, aus. Das Blut wird dabei außerhalb des Körpers »gereinigt« und anschließend dem Patienten wieder zugeführt. Medizinische Fachgesellschaften raten davon jedoch ab, denn wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise gibt es für diese Therapie bei diesem Syndrom nicht. Die teils hohen Kosten müssen die Patienten selbst tragen.
Kaum erforscht, keine Therapien, große Belastungen: Für Betroffene gibt es aktuell wenig Hilfe. Deutschlandweit gibt es lediglich zwei Anlaufstellen: eine Spezialambulanz am Universitätsklinikum Marburg sowie die Post-Covid-Fatigue-Sprechstunde an der Charité in Berlin. Wichtig sind daher wie auch bei Long und Post Covid weitere klinische Studien, um die Ursachen zu klären und womöglich zielgerichtete Therapien entwickeln zu können.
Eine (länger anhaltende) Impfnebenwirkung kann als Impfschaden anerkannt werden, wenn Betroffene durch eine öffentlich empfohlene Impfung eine gesundheitliche und wirtschaftliche Schädigung erlitten haben, die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgeht. So ist es im Infektionsschutzgesetz (IfSG) definiert. Hält die Erkrankung länger als sechs Monate an beziehungsweise bestehen die Schäden länger als sechs Monate, haben die Geschädigten Anspruch auf staatliche Leistungen, etwa auf Rentenzahlungen oder die Übernahme von Behandlungskosten.
Dazu muss der Staat allerdings einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung anerkennen. Personen, bei denen der Verdacht auf einen Impfschaden besteht, können einen Antrag auf Anerkennung beim Versorgungsamt in dem Bundesland stellen, in dem sie wohnen. Bundesweit haben nach Informationen von »Zeit online« bis heute etwa 9000 Menschen einen Antrag auf Anerkennung eines Corona-Impfschadens gestellt.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.