Kranke Nieren leiden lautlos |
Isabel Weinert |
01.10.2025 15:01 Uhr |
Die Bestimmung von Kreatinin, Glomerulärer Filtrationsrate und Albumin im Urin lassen Aussagen über den Zustand der Nieren zu. / © Getty Images/Tero Vesalainen
Eine Volkskrankheit weltweit und hierzulande mit etwa zehn Millionen Betroffenen ist die Chronische Nierenkrankheit (CKD). Nur ein Drittel der Erkrankten weiß überhaupt, dass die eigenen Nieren immer schwächer werden. Das sei ein großes Problem, so Professorin Dr. Julia Weinmann-Menke, Medizinische Klinik und Poliklinik am Uniklinikum Mainz, bei der Kongresspressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) in Berlin.
Denn die Nieren spielen eine umfassend wichtige Rolle für den gesamten Organismus, darunter für die Gesundheit der Blutgefäße, der Knochen und des Stoffwechsels. Wer nicht wisse, dass die eigenen Nieren erkrankt seien und deshalb nicht behandelt werde und zudem eine oder mehrere andere Krankheiten habe, wie hohen Blutdruck, Diabetes oder Adipositas, der habe ein deutlich höheres Risiko für Krankenhausaufenthalte, weil die Nieren die anderen Krankheiten nachteilig beeinflussen – und leider auch ein höheres Sterberisiko. Das heißt, man kann chronische Nierenschwäche nicht isoliert betrachten, sondern es besteht eine enge Wechselwirkung: Wer kranke Nieren hat, erkrankt auch deutlich eher zum Beispiel an Herz und Kreislauf; Letzteres wiederum wirkt negativ auf die Nieren.
Warum erkennen Ärzte die Krankheit so oft nicht? Das liegt daran, dass es bis vor Kurzem noch keine spezifische Therapie bei CKD gab, erklärte Weinmann-Menke. Das heißt, noch immer gehen viele niedergelassene Mediziner davon aus, dass man nur Begleiterkrankungen wie hohen Blutdruck und Diabetes so behandeln könne, dass auch die Nieren weniger Schaden nehmen. Nun jedoch gäbe es spezifische Therapien bei CKD. »Deshalb muss man die CKD erkennnen. Man muss also danach gucken«, so die Expertin.
Noch immer werde bei Menschen mit Diabetes, hohem Blutdruck oder einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems nur bei der Hälfte der Betroffenen überhaupt auch nach den Nieren geschaut und hier dann auch nicht die Konzentration des kleinsten Eiweißes im Urin bestimmt, des sogenannten Albumins. Diese wichtige Untersuchung führten Mediziner lediglich bei weniger als einem Prozent der Risikopatienten durch.
»Deshalb erkennt man das zu selten und der Patient bekommt nicht die richtige Therapie. Das ist fatal, weil es mittlerweile Therapien gibt, die man auch kombiniert geben sollte, und mit denen man die Dialyse verhindern kann«, konstatierte Weinmann-Menke.
Um die Situation rasch zu verbessern, kann jeder Mensch beim Hausarzt um eine solche Untersuchung der Nieren bitten. Besonders ist dieses Vorgehen denjenigen anzuraten, die starkes Übergewicht haben und/oder in deren Familie es bereits Menschen mit Nierenerkrankung gibt sowie jenen, die einen hohen Blutdruck haben, an Diabetes und/oder am Herz-Kreislauf-System erkrankt sind. Ärzte sollten dann Kreatinin und Albumin checken. Weil diese Untersuchungen noch nicht flächendeckend erstattet werden, müssen Patienten dafür womöglich selbst dafür aufkommen, die Kosten liegen jedoch nicht hoch.
Weinmann-Menke sprach sich außerdem dafür aus, ein Nieren-Screening zu etablieren, das etwa in den Check-up 35 integriert werden könnte. Als wichtigen Schritt auf dem Weg dazu, die CKD früher zu erkennen, sieht die Medizinerin die Anerkennung der CKD als globale Volkskrankheit durch die Weltgesundheitsorganisation WHO im Juni dieses Jahres. »Das wird auch Vorsorgeprogramme und Programme zur Sensibilisierung der Bevölkerung fördern.«
Die DGfN fordert einen nationalen Nierenplan, damit auch die Forschung genug Spielraum und Möglichkeiten hat, um neue Therapieoptionen zu evaluieren. Nur dann stehe man der CKD nicht mehr als lebensbedrohlicher Krankheit gegenüber, sondern könne immer mehr Menschen vor der Dialyse und vor Transplantationen bewahren.
Die zweite große Gruppe bedrohlicher Nierenerkrankungen, von denen häufig junge Menschen betroffen sind, ohne es zu ahnen, sind die Glomerulonephritiden (GN), erklärte Professor Dr. J. Menne, Chefarzt der Klinik für Nephrologie, Angiologie, Hypertensiologie und Rheumatologie, KRH Klinikum Siloah, Hannover.
»Hinter dem Begriff Glomerulonephritiden verbirgt sich »Glomerulus«, also Nierenkörperchen, und »Nephritis«, also Entzündung in der Niere«, erklärte der Tagungspräsident des DGfN-Kongresses. Glomeruli sind die kleinesten Einheiten in den Nieren. In ihnen befinden sich zahllose gewundene Kapillarnetzwerke. Hier wird der Urin produziert. Im Schnitt beherbergen die Nieren zwischen 1 und 1,6 Millionen Glomeruli. Die winzigen Einheiten erbringen Höchstleistungen: Sie produzieren 180 Liter Urin pro Tag. Pro Stunde macht das sechs Liter – die Menge, die ein Mensch im Schnitt an Blut besitzt. Laut Menne reinigen somit die Nieren ununterbrochen, 24-Mal am Tag, die komplette Blutmenge des Menschen.
Wie gut das System auch noch bei Funktionseinbuße arbeitet, zeigt, dass ein Mensch erst an die Dialyse muss, wenn die Niere nur noch eine Leistung von 10 Prozent erbringt. Diese 10 Prozent seien mit dem Leben noch vereinbar, so Menne. Leider äußert sich auch eine GN nicht in Symptomen. »Die Menschen merken wirklich gar nichts«, formuliert er.
Während Mediziner vor nicht allzulanger Zeit nicht wussten, was genau eine GN verursacht, können sie das heute bei vielen Ausprägungen detailliert bis zum Ursprung der Erkrankung sagen. Die dazugehörigen Blutmarker im Blut lassen sich bestimmen. Ein positiv folgenreiches Wissen, denn vor diesem Hintergrund lassen sich GN heute nicht nur viel besser erkennen, sondern auch erfolgreich therapieren. Das bewahrt Menschen vor der Dialyse.
Menne erklärte, dass man das medikamentöse Gießkannenprinzip vergangener Zeiten, mit dem Menschen mit Glucocorticoiden in Höchstdosen und später zudem mit Immunsuppressiva behandelt wurden – beides ohne echten Erfolg –, hinter sich gelassen habe. »Wir verwenden heute moderne Basistherapeutika, kombiniert mit gezielt an der GN ansetzenden Medikamenten«. Seien Betroffene früher meist im Alter von 30 bis 40 Jahren dialysepflichtig geworden, so werde man nun erleben, dass dank der neuen Therapie diese Menschen nicht mehr an die Dialyse müssten. Und das bei kaum Nebenwirkungen. Menne erwartet weitere wirksame Medikamente gegen GN in den nächsten Jahren. »Das ist ein Durchbruch in der Medizin, der zeigt, wie gut molekulare Medizin funktioniert.«
Noch seien die neuen Medikamente sehr teuer und die niedergelassenen Ärzte hätten deshalb eine gewisse Hemmung, sie einzusetzen. Darum sei eine Struktur nötig, die die Menschen frühzeitig in die Nephrologie brächte. Hätten dortige Ärzte die Diagnose der Niedergelassenen bestätigt, sei von deren Seite die Hürde, die teuren Mittel zu verordnen, deutlich niedriger.
Die zumeist jungen Menschen mit einer GN entwickeln eigentlich immer einen hohen Blutdruck. Bei diesem muss der Arzt prüfen, wie es um die Glomeruläre Filtrationsrate und die Albuminurie bestellt ist. Sind diese beiden Werte unauffällig, liegt laut Menne keine GN vor.
Eine wichtige Auffälligkeit: ein wenig Blut im Urin oder schaumiger Urin. Die Menschen gingen zwar oft zum Urologen und der stelle keine Ursache vonseiten der Harnwege fest. Damit sei das Thema für die Patienten erledigt. Leider können Blut im Urin und/oder schäumender Urin aber auf eine GN hinweisen. Die Betroffenen sollten sich dann zeitnah in einer Nephrologie vorstellen.
Wie sieht es mit einer nierengesunden Ernährung aus? Hier weisen Weinmann-Menke und Menne darauf hin, dass ein gesunder Lebensstil in puncto Ernährung und Bewegung auch die Nieren schützt. Und was ist vom Eiweiß-Boom zu halten? Was die Nieren angeht, ist das negativ, so Menne. Nur in Ausnahmefällen bräuchten Menschen wirklich Extraportionen an Eiweiß. Die überwiegende Mehrheit sei mit 0,8 bis 1,0 Gramm pro kg KG/Tag sehr gut bedient. Weniger Eiweiß und weniger Kochsalz seien den Nieren zuträglich.