Krankhafte Muskelschwäche |
Barbara Döring |
08.11.2024 08:00 Uhr |
Typisch für eine Myopathie ist ein muskelkaterähnlicher Schmerz im Inneren der großen Extremitäten-Muskulatur. / © Adobe Stock/SHOTPRIME STUDIO
Mehr oder weniger starke Muskelschmerzen sind ein normales Phänomen, wenn die körperliche Anstrengung am Vortag ungewohnt groß war, der Garten vielleicht besonders viel Arbeit gemacht hat oder im Fitnessstudio ein paar Pfunde mehr als sonst gestemmt wurden. Doch während sich beim Muskelkater das Gewebe schnell wieder regeneriert, die entstandenen kleinen Risse abheilen und die Schmerzen bald wieder verschwinden, entstehen Muskelschmerzen bei einer Myopathie aufgrund von strukturellen oder funktionellen Veränderungen der Muskulatur, die zum dauerhaftem Muskelschwund führen können. Eine Myopathie betrifft ausschließlich die quergestreifte Skelettmuskulatur, eine Ausnahme bildet die Kardiomyopathie des Herzmuskels, etwa als Folge einer Herzmuskelentzündung.
Die Ursachen einer Myopathie sind vielfältig, ebenso die möglichen Symptome. Gemeinsam ist allen Formen eine Schwäche der betroffenen Muskeln und ein in der Regel erhöhter Kreatinkinase-Wert (CK) im Serum. Das Enzym kommt in der Herz- und Skelettmuskulatur vor und gelangt vermehrt ins Blut, wenn Muskelfasern geschädigt werden. Oft bestehen Muskelschmerzen, manchmal auch Krämpfe. Mal treten die Beschwerden schubweise auf, in anderen Fällen vor allem nach Belastung, andere Patienten wiederum leiden unter dauerhaften Einschränkungen.
Auch bei der Sarkopenie wird die Muskulatur schwächer und die Kraft lässt nach. Der Muskelschwund ist hier jedoch auf Alterungsprozesse zurückzuführen und besteht unabhängig von Begleiterkrankungen. Die fortschreitende, eingeschränkte Muskelkraft ist das Hauptmerkmal. Ab etwa dem 40. Lebensjahr baut der Körper nach und nach Muskelmasse ab, wenn nicht durch regelmäßige sportliche Betätigung und eiweißreiche Ernährung dagegengehalten wird. Hormonelle und metabolische Veränderungen gelten als Ursache. Findet ein übermäßiger Abbau statt, ist von Sarkopenie die Rede. Nach Schätzungen sind in Deutschland 10 Prozent der Über-60-Jährigen davon betroffen, wobei die Prävalenz mit dem Alter zunimmt.
Myopathien sind insgesamt selten und verlaufen in den meisten Fällen milde. Nur wenige haben einen schweren Verlauf wie die primären Formen, etwa die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne. Diese beginnt aufgrund eines erblich bedingten Mangels des Muskelproteins Dystrophin bereits im frühen Kindesalter mit einer Schwäche der Hüftmuskulatur und weitet sich auf andere Muskelgruppen aus. Als primär werden Myopathien bezeichnet, die auf eine genetisch bedingte Erkrankung der Muskulatur zurückzuführen sind. Neben den Muskeldystrophien zählen dazu auch die kongenitalen Myopathien, bei der sich die Muskeln nicht richtig entwickeln, oder die Myotonie mit einer Versteifung der Muskulatur.
Primäre Myopathien sind nicht heilbar, die Behandlung zielt vor allem darauf ab, die Funktion und Kraft der Muskeln mithilfe von Physiotherapie und Hilfsmitteln bestmöglich zu erhalten. In den letzten Jahren wurden immer mehr Gendefekte entdeckt, die bei erblichen Muskelerkrankungen eine Rolle spielen. Die Erkenntnisse bieten die Möglichkeit, neue Therapieansätze zu entwickeln, wie den Wirkstoff Ataluren, der bei der Duchenne-Muskeldystrophie bereits eine bedingte Marktzulassung erhalten hatte. Er deckt den mutierten Bereich der DNA ab, sodass der Gendefekt bei der Proteinbiosynthese »überlesen« wird und das intakte Eiweiß Dystrophin wieder vermehrt gebildet werden kann. Auch bei anderen primären Myopathie-Formen sind zunehmend gentherapeutische Ansätze in der Erforschung.
Verschiedene Grunderkrankungen können sich ebenfalls schädlich auf die Muskulatur auswirken. Man spricht dann von den sekundären, also erworbenen Myopathien. Zu den möglichen Ursachen zählen endokrine Erkrankungen wie eine Hyperthyreose. Hier besteht das Risiko, dass die Energieversorgung des Muskels durch Schilddrüsenhormone gestört wird (thyreotoxische Myopathie). Auch Stoffwechselerkrankungen mit einer gestörten Energiegewinnung wie Glykogen- oder Fettspeicherkrankheiten sind mögliche Auslöser für Muskelschwäche, Schmerzen und Muskelschädigungen.
Darüber hinaus gibt es erblich bedingte mitochondriale Myopathien, die auf einer genetisch bedingten Fehlfunktion der Mitochondrien beruht. Da diese für die Energieversorgung der Zellen zuständig sind, macht sich die Muskelschwäche oft vor allem bei Belastung bemerkbar. Die Schmerzen können jedoch auch dauerhaft bestehen. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht, jedoch individuell abgestimmte symptomatische Behandlungen. Eine weitere Gruppe der Myopathien sind entzündliche Formen, sogenannte Myositiden, die zum Beispiel durch Erreger wie dem Eppstein-Barr-Virus oder Autoimmunprozesse ausgelöst sind. So richtet sich bei der autoimmunen Myositis das Immunsystem primär gegen das Muskelgewebe.
Die große Zahl der Myopathie-Formen erschwert es oft, eine richtige Diagnose zu finden. Im Jahr 2021 erschien die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie für die Diagnostik von Myopathien, die hilft, bei Patienten mit Muskelerkrankungen schneller die Ursache zu erkennen, die Erkrankung zum Beispiel von neurologischen Erkrankungen abzugrenzen, unwirksame Behandlungen zu vermeiden und Patienten möglichst frühzeitig einer adäquaten Therapie der entsprechenden Grunderkrankung zuzuführen.
Bei Verdacht auf eine Myopathie geben die Art und Lokalisation der Beschwerden wichtige Hinweise. Typisch ist, dass der Schmerz im Inneren der großen Extremitäten-Muskulatur einem Muskelkater ähnlich ist und weniger als schmerzhafte Muskelverspannung empfunden wird. Ein braun gefärbter Urin deutet auf eine akute Muskelschädigung hin, die Rhabdomyolyse. Bei der Anamnese wird der Arzt zudem mögliche endokrine Störungen prüfen und die Möglichkeit einer medikamentösen Myopathie abklären, etwa bei Einnahme von Statinen. Zahlreiche Muskelerkrankungen sind vererbt, sodass auch die Familienanamnese wichtige Hinweise für die Diagnose liefern kann.
Ein erhöhter CK-Wert trotz körperlicher Schonung ist charakteristisch für eine Myopathie. Er gibt Auskunft über das Ausmaß der Muskelfaserschädigung, nicht jedoch über die Ursache. Dabei gilt, dass bei einer mehr als 10-fachen Erhöhung des CK-Werts, die in einer zweiten Untersuchung bestätigt wird, die Beschwerden muskulär bedingt sind und keine neurologische Ursache haben. Wichtig ist, dass sich der Patient vor der Untersuchung körperlich schont, da bereits normale Muskelarbeit den CK-Wert stark erhöhen kann.
Weitere diagnostische Möglichkeiten sind eine Muskelfunktionstestung mithilfe der Elektromyographie (EMG) oder bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT). Die EMG zeigt, wie aktiv der Muskel in Ruhe sowie bei leichter und maximaler Anspannung ist. Im MRT lassen sich Veränderungen in Muskeln wie Nekrosen, Entzündungen oder Ödeme als Zeichen der Krankheitsaktivität erkennen. Um genetisch bedingte Formen einer Myopathie zu identifizieren, helfen zudem molekulargenetische Tests, mit denen Gendefekte erkannt werden. Diese von spezialisierten Laboren durchgeführten Untersuchungen werden künftig wichtiger, um erblich bedingte Myopathien mit genspezifischen Therapien gezielt zu behandeln. Lässt sich kein Gendefekt finden, kann schließlich eine Muskelbiopsie helfen, eine Myopathie genauer einzuordnen und autoimmunbedingte Muskelentzündungen zu identifizieren.
Nicht immer liegt einer Myopathie ein Gendefekt oder eine Erkrankung zugrunde. Auch bestimmte Substanzen sind in der Lage, die Muskulatur zu schädigen. Neben Alkohol und Drogen zählen dazu Medikamente wie Statine, aber auch andere Wirkstoffe wie Amiodaron oder Checkpoint-Inhibitoren. Patienten, die zum ersten Mal ein Statin erhalten, haben deshalb oft Bedenken bezüglich der Medikation. Möglich Nebenwirkungen reichen von einer symptomlosen Erhöhung der Kreatinkinase über Muskelschmerzen (Myalgien) bis hin zur gefürchteten Rhabdomyolyse.
Laut der S1-Leitlinie »Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien« der Deutschen Gesellschaft für Neurologie treten Muskelschmerzen allerdings nur bei 0,1 Prozent der Patienten unter Statintherapie auf, das Risiko einer Rhabdomyolyse liegt bei 0,01 Prozent. In Anbetracht der Tatsache, dass Statine zu den am häufigsten verordneten Medikamenten zählen, sind die muskulären Nebenwirkungen gering. Eine Metaanalyse mit etwa 155.000 Patienten zeigte zudem, dass bei weniger als 10 Prozent der mit Statinen behandelten Patienten, die über Muskelsymptome berichteten, die Beschwerden auf die Therapie zurückzuführen war.
Das Risiko einer Nebenwirkung ist besonders im ersten Jahr einer Statintherapie erhöht und steigt mit der Höhe der Dosierung und der Einnahme weiterer Wirkstoffe. Dazu zählen bestimmte Antibiotika, Herzmedikamente oder Zubereitungen mit Grapefruit, da diese ebenfalls über das Enzym CYP3A4 verstoffwechselt werden. In der Regel ist die kurzfristige Behandlung mit einem entsprechenden Medikament auch unter Statintherapie möglich. Auf muskelspezifische Symptome sollte dann jedoch besonders geachtet werden. Kurzfristig kann der Arzt das Statin pausieren oder wenn nötig, auf ein anderes Statin umstellen.
Wichtig ist, Patienten, die ein Statin einnehmen, über mögliche muskuläre Symptome wie Schmerz oder Schwäche aufzuklären. Das Apothekenteam kann Betroffenen bei Beschwerden raten, umgehend einen Arzt zu kontaktieren. Treten nur leichte Beschwerden auf oder sind die CK-Werte moderat erhöht, ist es laut Leitlinie in der Regel nicht notwendig, das Statin abzusetzen. Eine geringere Dosierung oder der Wechsel auf ein anderes Statin kann dann zur Beschwerdefreiheit führen. Steigen die CK-Werte über das 10-Fache, ist die Medikation abzusetzen. Ein starker Anstieg des CK-Werts innerhalb von zwei Stunden auf über 50.000 U/L birgt die Gefahr einer akuten Niereninsuffizienz und gilt als medizinischer Notfall. Eine regelmäßige Kontrolle der Kreatinkinase ist bei Patienten, die keine Symptome haben, nicht erforderlich.