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Onkoviren

Krebs durch Infektion

Jede fünfte Krebserkrankung geht nach heutigem Wissen auf eine Infektion mit Viren, Bakterien oder Parasiten zurück. Den überwiegenden Teil dieser Infektionen verursachen einige wenige Viren. Ihr Erbgut fanden Wissenschaftler in den Zellkernen entarteten Gewebes. Immer besser gelingt es den Forschern, die molekularen Mechanismen von Infektionen und Entzündungen bei der Entstehung von Krebs zu entschlüsseln.
AutorKontaktEdith Schettler
Datum 26.08.2021  12:30 Uhr

Viren sind darauf spezialisiert, ihr Erbgut in die Zellen ihres Wirtes einzuschleusen und damit die Kontrolle über das Reproduktionsgeschehen zu übernehmen. Sie verfolgen dabei unterschiedliche Strategien. Virulente Viren vermehren sich ohne Beteiligung der DNA des Wirtes beispielsweise in virus factories (Virenfabriken) im Zytoplasma oder im Karyoplasma des Zellkernes.

Temperente DNA-Viren hingegen integrieren ihr Erbmaterial vorübergehend in die Wirts-DNA, und zwar immer genau an der selben Stelle. Dort kann die virale DNA über Jahre persistieren und gelangt mit jeder Zellteilung in die Tochterzellen, ohne dass Symptome einer Infektion auftreten. Erst wenn eine Abwehrschwäche oder bestimmte äußere Reize wie UV-Strahlung oder chemische Substanzen auftreten, wechselt das Virus von der Latenz- in die akute Phase. Enzyme schneiden die im Erbgut des Wirtes geparkte Viren-DNA, das sogenannte Provirus, heraus und starten die Produktion neuer Virionen. Temperente RNA-Viren nutzen ebenfalls diese Form der Replikation. Sie müssen nur in einem zusätzlichen Schritt ihre RNA in DNA umschreiben. Ein bekanntes Beispiel sind die Retroviren, zu denen auch das HI-Virus gehört. Sie enthalten in ihrem Kapsid neben dem Erbgut das Enzym Reverse Transkriptase, das die RNA in DNA transkribiert. Das vireneigene Enzym Integrase bricht die DNA des Wirtes auf und setzt die Viren-DNA in die Lücke ein. 

Chronische Entzündungen

Die Produktion und die Freisetzung der onkogenen Viren führen im Unterschied zu den infektiösen Viren nicht zu einer Zerstörung der Wirtszelle. Die Virionen gelangen somit nicht zur Ausscheidung und können in diesem Stadium keinen weiteren Wirt infizieren. Vielmehr erzeugen sowohl virulente als auch temperente Tumorviren eine unterschwellige, chronische Infektion. Ihre Anwesenheit vermittelt dem Immunsystem des Wirtes ein Signal zur Produktion von Abwehrzellen. Im Zuge der Immunreaktion entsteht nun eine anhaltende Entzündung. Die Abwehrzellen setzen, ursprünglich zur Erregerabwehr, reaktive Sauerstoffradikale frei, die jedoch auf Dauer Schäden im Genom in Form von Mutationen hervorrufen. Die Immunzellen produzieren außerdem Wachstumsfaktoren, die für die geschädigten Zellen ein permanenter Reiz für Teilung und Wachstum über das normale Maß hinaus sind. So trägt die körpereigene Abwehr selbst zur Entstehung von Tumoren bei.

Doch auch die Integration des viralen Genoms in das des Wirtes kann einen Tumor verursachen, jedoch erst nach einer langen Latenzzeit und relativ selten. Dafür muss das virale Erbgut in unmittelbarer Nähe bestimmter zellulärer Gene des Wirtes platziert werden, um diese dann zu einer Überexpression anzuregen, zum Beispiel bei Brustkrebs, oder zur Synthese veränderter Genprodukte zu stimulieren (wie bei bestimmten Leukämien) oder sie zu inaktivieren.

Der Wächter des Genoms

Letzteres geschieht, wenn sich virale DNA in unmittelbarer Nähe von Kontrollproteinen für das Zellwachstum niederlässt. Das auch als »Wächter des Genoms« bezeichnete Tumorsuppressorgen (p53-Protein) ist die wichtigste Kontrollinstanz für das Zellwachstum. Schäden an der DNA, ob durch chemische Noxen oder UV-Strahlung oder aber durch den Einbau von Fremd-DNA, aktivieren das p53-Protein. In seiner aktiven Form ist es in der Lage, den Zellzyklus zu unterbrechen und damit die Produktion von entarteten Tochterzellen zu stoppen. Dadurch verschafft es der Zelle genügend Zeit, die Schäden in ihrer DNA zu reparieren. Ist das nicht möglich, leitet das p53-Protein die Apoptose ein, also den programmierten Zelltod. Wegen dieser wichtigen Funktion erklärte das Wissenschaftsmagazin »Science« das p53-Protein zum Molekül des Jahres 1993.

Erleidet nun das p53-Protein selbst einen Schaden, entweder durch eine Mutation oder durch den Angriff viraler DNA, büßt es seine Funktion ein. Genetisch entartete Zellen können damit weiter proliferieren und metastasieren. Für bestimmte Tumorerkrankungen, beispielsweise Ösophagus- oder Nasopharynxkarzinome, konnten Wissenschaftler diesen Mechanismus schon nachweisen. Sie arbeiten auch bereits an Wirkstoffen, die in der Lage sind, p53 wieder zu aktivieren. Damit könnten sich für die Krebstherapie neue Möglichkeiten eröffnen. Immerhin sind bei etwa 60 Prozent aller Tumorerkrankungen Mutationen des p53-Proteins nachweisbar.

Menschliche Onkoviren - HPV

Zu den Onko- oder Tumorviren zählt die Virologie Vertreter höchst unterschiedlicher Virenfamilien. Mit den Herpesviren (Epstein-Barr-Virus, Herpesviren 5 und 8), Flaviviren (Hepatitis-C-Virus), Retroviren (HTLV1, der Verursacher von neurologischen Erkrankungen und der T-Zell-Leukämie), Polyomaviren, dem Hepatitis-B-Virus und den Papillomaviren (HPV) gehören sowohl DNA- als auch RNA-Viren zu dieser Gruppe. Sie alle zusammen sind nach Schätzungen weltweit für 15 bis 17 Prozent aller Krebsfälle beim Menschen verantwortlich.

Für einige Typen der hochinfektiösen Humanen Papillomaviren ist der Zusammenhang zwischen Infektion und Krebsentstehung bereits eindeutig nachgewiesen. Die nicht behüllten DNA-Viren infizieren Haut und Schleimhäute. Dort lösen sie ein unkontrolliertes Wachstum der Epidermiszellen aus, indem sie p53 blockieren, damit den Zellzyklus aktivieren und die Apoptose unterdrücken. Die resultierenden Tumoren sind meist gutartig und bilden auf der Haut verschiedene Warzen. Einige wenige der rund 100 Vertreter umfassenden Familie können aber auch ein Karzinom verursachen. HPV-assoziierte maligne Tumoren sind im Analbereich, in Mund und Rachen, bei Frauen an Zervix, Vagina und Vulva und bei Männern am Penis lokalisiert. Die durch Sexualkontakte übertragenen Typen HPV 16 und 18 sind eindeutig als Auslöser des Zervixkarzinoms der Frau bekannt. Seit 2007 sind Impfstoffe vorhanden, die aus gentechnisch hergestellten Viruspartikeln (VLP, virus-like particles) bestehen. Cervarix® kombiniert die nicht infektiösen Hüllproteine von HPV 16 und 18, Gardasil® enthält zusätzlich Bestandteile von sieben weiteren Typen. Die STIKO empfiehlt seit 2014 die Impfung von Mädchen und seit 2018 auch von Jungen im Alter zwischen neun und 14 Jahren, also idealerweise vor dem ersten Sexualkontakt. Der Impfschutz beträgt nahezu 100 Prozent und hält für etwa fünf Jahre. Trotzdem bleibt die gynäkologische Früherkennung ein wichtiger Baustein der Prophylaxe.

Gefährliche Kusskrankheit

Die bekanntesten temperenten Viren sind wohl die Herpesviren. Ein Vertreter dieser Familie, der als Auslöser humaner Tumoren bekannt ist, ist das Epstein-Barr-Virus (EBV). Es ist ein behülltes DNA-Virus und besitzt ein relativ großes Genom. Neun von zehn Erwachsenen tragen dieses Virus in sich. Es dringt in die Schleimhaut des Mund-Rachen-Raumes ein und verursacht nach einer relativ langen Inkubationszeit von vier bis sieben Wochen die typischen Infektionssymptome der Mononukleose: Entzündung der Tonsillen, grippeähnliche Beschwerden und Lymphknotenschwellungen. Die Viren vermehren sich in den Speicheldrüsen und verbreiten sich über den Speichel – daher der Name »Kissing Disease«. Im Allgemeinen klingt die Erkrankung, auch als Pfeiffersches Drüsenfieber bekannt, nach einigen Wochen ab. Die Behandlung erfolgt, falls nötig, anhand der Symptome. Virostatische Arzneistoffe wie Aciclovir, Valaciclovir, Famciclovir oder Brivudin sind so gut wie wirkungslos.

Die Erreger allerdings verbleiben lebenslang im Körper, in einer Latenzphase überdauert ihr ringförmiges Genom in den B-Lymphozyten. Da diese B-Zellen eine relativ kurze Lebensdauer haben, sind die Bedingungen für die Weitergabe seiner DNA aus der Sicht des Virus schlecht. Deshalb regen spezielle EBV-Proteine die Differenzierung der B-Zellen zu B-Gedächtniszellen an, die eine wesentlich längere Lebensdauer haben und dem Virus damit bessere Bedingungen für seinen Fortbestand bieten.

Nach der Latenzzeit aktivieren die EBV-Proteine den Zellzyklus und sorgen so für die vermehrte Bildung von Tumorzellen. Lymphome sind häufig das späte Ergebnis einer EBV-Infektion. Neben den B-Zell-Lymphomen (Hodgkin-Lymphom, Burkitt-Lymphom) verursacht das Virus auch T-Zell-Lymphome und Sarkome. Es beschränkt seine Aktivität also nicht nur auf einen Zelltyp, sondern ist in der Lage, an verschiedenen Organen Tumoren auszulösen. Auch an der Eintrittspforte in den Körper, der Schleimhaut im Nasen-Rachen-Raum, sowie in den Speicheldrüsen und im Magen können Karzinome entstehen. Wie stark die Wahrscheinlichkeit, nach einer EBV-Infektion einen malignen Tumor zu entwickeln, vom Immunstatus abhängt, verdeutlicht die Tatsache, dass HIV-infizierte und organtransplantierte Patienten sehr viel häufiger Lymphome mit EBV-Beteiligung erleiden. Das EBV-assoziierte Burkitt-Lymphom tritt nur in Äquatorialafrika endemisch auf, einer Region mit Armut, Mangelernährung und schlechter Gesundheitsversorgung. Vor allem Kinder leiden an diesem schnell wachsenden, entstellenden Tumor.

Für eine Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus gibt es vielversprechende Ansätze. So gelang es Wissenschaftlern am Deutschen Krebsforschungszentrum, einen im Tiermodell wirksamen Impfstoff auf der Basis von DNA-freien, virusähnlichen Partikeln zu entwickeln. Bis zu seiner möglichen Marktreife sind jedoch noch einige Jahre nötig.

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