Lässt sich Long Covid mit Nikotinpflastern heilen? |
Nikotin könnte wirken, indem er die Spike-Proteine des Coronavirus von deren Bindungsstelle verdrängt, sodass diese wieder für körpereigene Transmitter frei werden / © Getty Images/Science Photo Library
Manche Menschen leiden noch lange nach einer akuten SARS-CoV-2-Infektion am Long-Covid-Syndrom. Es kann mit verschiedenen Beschwerden wie Schwäche, Gedächtnisverlust, Schmerzen und Atemnot einhergehen und Monate bis Jahre andauern. Long Covid schränkt die Lebensqualität der Betroffenen meist stark ein. Es muss davon ausgegangen werden, dass es in Deutschland eine sechsstellige Zahl von ihnen gibt, wie die damalige Bundesregierung im Oktober 2024 informierte.
Die genauen Mechanismen hinter Long Covid sind noch nicht vollständig erforscht. Daher ist es derzeit nur möglich, die Symptome, aber nicht die Ursachen zu behandeln. Nun hat eine Forschungsgruppe der Klinik für Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Leipzig um Dr. Marco Leitzke einen potenziellen kausalen Therapieansatz entdeckt: Nikotinpflaster. Das Team führte ein Review und eine Fallstudie durch. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen sind kürzlich im Fachjournal »Journal Bioelectronic Medicine« erschienen.
Zunächst begutachteten Leitzke und Kollegen Literatur, die sich damit beschäftigt, wie sich eine Blockade von nikotinergen Acetylcholinrezeptoren (nAChR) auf verschiedene Körpersysteme auswirkt. Ihrer Hypothese nach treten die Long-Covid-Symptome dadurch auf, dass das Spike-Protein des Coronavirus dauerhaft an nAChR bindet und diese für körpereigene Liganden wie Acetylcholin (ACh) und Cholin blockiert.
Da ACh und Cholin aber für eine Vielzahl von neuronalen Prozessen gebraucht werden, stört die Spike-Protein-Blockade Zell- und Organsysteme auf vielfältige Weise. Das könnte unter anderem die kognitiven, geistigen und neuromuskulären Einschränkungen sowie Stimmungsbeeinträchtigungen und vegetative Symptome von Long-Covid-Patienten erklären.
Der sekundäre Pflanzenstoff Nikotin, der eine hohe Affinität besonders zu einem speziellen Subtyp der nAChR (α4β2) aufweist, könnte diese Effekte rückgängig machen, indem er die Spike-Proteine von der Bindungsstelle verdrängt, sodass diese wieder für körpereigene Transmitter frei werden.
»Bei der Behandlung mehrerer Patienteninnen und Patienten mit Long-Covid-Syndrom durch die Anwendung von Nikotinpflastern konnten wir Verbesserungen beobachten, die von sofortigen und erheblichen bis hin zu vollständigen Remissionen innerhalb sehr unterschiedlicher Zeiträume reichten«, erklärt Leitzke in einer Pressemitteilung seiner Klinik.
Mittels Ganzkörper-PET-CT und MRT machten die Forschenden diesen Verdrängungsprozess an einer Long-Covid-Patientin erstmalig sichtbar. Hierzu nutzten sie einen Acetylcholinrezeptor-spezifischen Radiotracer. »Wir haben die Patientin vor und nach der Nikotinpflaster-Therapie bildgebend untersucht. Die Auswertung der PET-CT/MRT-Bilder zeigt eindrucksvoll, dass das Nikotinmolekül die Rezeptoren von dem viralen Spike-Protein befreit und so die physiologische cholinerge Neutransmission wieder ermöglicht hat«, führt der Oberarzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Palliativmedizin aus.
»Die Viruslast wird dann durch präformierte Antikörper, die bei der Akutinfektion oder durch die Impfung gebildet wurden, eradiziert«, ergänzt Leitzke. Die Studie sei für den Arzt »auf jeden Fall zukunftsweisend« und die bisherigen Ergebnisse vielversprechend, sie müssten aber in größeren Studien weiter untersucht werden.
Eine nachgelagerte Befragung von 231 Long-Covid-Betroffenen, die Nikotinpflaster anwendeten, bestätigte die Hypothese der Fallstudie. Bei 73,5 Prozent der Befragten verbesserten sich die Symptome demnach signifikant. »Wir können auf eine stabile Studienlage zurückgreifen, die belegt, dass Nikotin kein Kanzerogen ist. Es gibt keine suchterzeugende (addiktive) Wirkung von Nikotin bei transkutaner Applikation. Das macht die Nikotinpflastertherapie zu einer geeigneten Behandlungsmethode im Kampf gegen Long-Covid«, so Leitzke abschließend.
Neben Long Covid stehen auch die Erkrankungen Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) und das Chronische Fatigue Syndrom (CFS) im Fokus der Studien; beide stellen ein chronisches Erschöpfungssyndrom infolge von Virusinfektionen dar. Ihre Entstehung folge dabei dem gleichen Muster wie Long-Covid, heißt es in der Pressemitteilung.
Die Symptome der Erkrankten ließen sich analog auf durch virale Proteine blockierte Rezeptoren zurückführen, die eine Störung im neuronalen System verursachen. Außerdem seien auch Verbesserungen bei Fibromyalgie und dem sogenannten Post-Vakzinierungssyndrom (PVS) beobachtet worden.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.