Lange Suche nach Erregern |
Auch wenn Wissenschaftler die Existenz von Krankheitserregern annahmen – nachweisen ließen diese sich erst mit fortgeschrittener Technik. / Foto: AdobeStock/Matej Kastelic
Als der englische Arzt Edward Jenner 1796 den ersten Impfstoff zum Schutz vor Pockenviren entwickelte, ahnte niemand, dass Viren überhaupt existieren. An den Universitäten wurde angehenden Ärzten gelehrt, dass Krankheiten auftreten, wenn die vier Körpersäfte - gelbe Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim - ins Ungleichgewicht gekommen waren. Auch faulige Prozesse in Luft oder Wasser, Gerüche oder der Einfluss der Sterne wurden als Auslöser betrachtet. Die Idee, dass Krankheiten durch Erreger ausgelöst und von Mensch zu Mensch übertragen werden können, flammte zwar immer wieder mal auf, wurde aber jedes Mal verworfen.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Bild von den Körpersäften von den wissenschaftlichen Fakten wie man sie heute kennt abgelöst. Bakterien und Pilze wurden entdeckt. Robert Koch gelang 1876 der erste direkte Nachweis zwischen dem Milzbrand-Erreger und dem durch ihn ausgelösten spezifischen Krankheitsbild. Das Wissen in Bezug auf Krankheiten, ihre Auslöser und Zusammenhänge sowie deren Heilung wuchs rasant. Behandlung und Medikation konnten nun gezielt entwickelt und abgestimmt werden. Statt direkt am Menschen zu experimentieren, wurde am Erreger selbst getestet. Und nicht zuletzt waren mit dem Verständnis der Übertragungswege gezielte Präventionsmaßnahmen möglich.
Viele Wissenschaftler ahnten bereits, dass es neben Bakterien und Pilzen noch weitere Krankheitserreger geben musste. Und auch mit der Vermutung, dass diese so klein sein mussten, dass sie im Lichtmikroskop nicht sichtbar waren, lagen sie richtig. Der Druck, den Beweis dafür anzutreten, kam letztlich aber nicht aus der Humanmedizin, sondern aus der Landwirtschaft.
Ende des 19. Jahrhunderts wütete in Deutschland die Maul- und Klauenseuche. Rinder und Schweine starben in Massen, viele Landwirte verloren ihre Existenzgrundlage. Friedrich Löffler, zu diesem Zeitpunkt Professor für Hygiene an der Universität Greifswald, wurde vom preußischen Kultusministerium beauftragt, den Erreger der Krankheit zu identifizieren und ein Gegenmittel zu entwickeln. Er mietete zwei S-Bahn-Bögen in Berlin, richtete dort Tierställe ein und unternahm gemeinsam mit seinem Kollegen Paul Frosch erste Infektionsversuche. Etwa zur gleichen Zeit waren Wissenschaftler in Holland und Russland dem Erreger der Tabakmosaikkrankheit auf der Spur. Die verheerende Pflanzenkrankheit konnte innerhalb kürzester Zeit ganze Plantagen vernichten und enorme Ernteausfälle verursachen.
Den ersten wichtigen Hinweis zur Übertragung von Viren lieferte der Agrarwissenschaftler Adolf Mayer. Ihm gelang es, die Tabakmosaikkrankheit durch den Pflanzensaft befallener Pflanzen auf gesunde Tabakpflanzen zu übertragen. Er glaubte jedoch, dass die Krankheit durch ein Bakterium oder Toxin ausgelöst werden würde, auch wenn er nie einen Erreger im Pflanzensaft finden konnte. Ein paar Jahre später führten der Niederländer Martinus Beijerinck und der Russe Dimitri Iwanowski unabhängig voneinander die Arbeit Mayers fort. Sie nutzten die modernste Technik der damaligen Zeit, den sogenannten Chamberland-Filter, der Bakterien zurückhalten konnte. Beide Wissenschaftler kamen zum gleichen Ergebnis: Der Pflanzensaft blieb trotz Filtrierens infektiös.
Iwanowski schlussfolgerte, dass die Bakterien besonders klein sein mussten, in einem besonderen Stadium vorliegen würden oder der Filter schlichtweg kaputt war. Beijerinck hingegen schloss aus, dass die Tabakmosaikkrankheit von Bakterien oder Pilzen verursacht wurde, nachdem er sie weder beim Mikroskopieren finden noch sie aus dem Gewebe isolieren und kultivieren konnte. Auch die Theorie vom Toxin verwarf er, da die Verdünnung des Pflanzensaftes keine Auswirkung auf die Infektiosität und Pathogenität des Erregers hatte. Nur das Kochen konnte die Erreger unschädlich machen. Darüber hinaus beobachtete er, dass sich der Erreger innerhalb der Pflanze von Zelle zu Zelle ausbreitete und auf lebendiges Pflanzengewebe angewiesen war, um sich zu vermehren. Beijerinck nahm an, dass die Flüssigkeit selbst der Krankheitsauslöser sein musste. Er verwendete das Wort »Virus« aus dem Lateinischen für »flüssiges Gift«, um diesen neuen Krankheitserreger von den Bakterien abzugrenzen.
In Deutschland machten Löffler und Frosch ganz ähnliche Erfahrungen wie Beijerinck in Holland. Sie filtrierten die Lymphflüssigkeit ihrer Versuchstiere durch einen Chamberland-Filter. Die Flüssigkeit blieb ebenfalls infektiös. Wie die Tabakmosaikkrankheit konnte auch die Maul- und Klauenseuche noch durch stark verdünnte Proben ausgelöst werden. Und die Forscher konnten weder im Mikroskop noch durch die Kultur auf verschiedenen Nährböden ein Bakterium nachweisen. Löffler und Frosch verhalf schließlich ein Zufall zum entscheidenden Durchbruch. Der Japaner Shibasaburo Kitasato, wie sie selbst ein Schüler Robert Kochs, hatte gerade einen Filter entwickelt, der noch kleinere Poren aufwies als der Chamberland-Filter. Sie nutzten ihn und stellten fest, dass die Lymphflüssigkeit nun steril war. Damit war klar, dass der Krankheitserreger zwar wesentlich kleiner als ein Bakterium sein musste, aber dennoch von partikulärer Struktur war. Schnell schlussfolgerten sie, dass der unbekannte Erregertyp auch für weitere Infektionskrankheiten wie die Pocken, Kuhpocken, Masern oder Rinderpest verantwortlich sein könnte.
Aufbauend auf die Forschungsergebnisse der ersten Virologen konnten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch viele weitere Viren als Krankheitserreger nachgewiesen werden. Das erste humanpathogene Virus war das Gelbfiebervirus. Hier gelang es dem Amerikaner James Carroll, die Infektion durch die Injektion von Blutserum eines Erkrankten auf einen gesunden Menschen zu übertragen und die Theorie, dass Mücken als Vektoren dienen, zu bestätigen.
Es war im Wesentlichen der Stand der Technik, der es den frühen Virologen unmöglich machte, die Biologie der Viren weiter aufzuklären. Dies gelang erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts. So konnte der Hamburger Bakteriologe Enrique Paschen im Jahr 1906 das Pockenvirus erstmals unter dem Mikroskop sichtbar machen. Er hatte dabei viel Glück, denn Pockenviren sind mit 200 bis 400 nm so groß, dass sie gerade noch unter dem Lichtmikroskop erkannt werden können. Alle anderen Viren konnten erst nach der Erfindung des Elektronenmikroskops durch Ernst Ruska und Max Knoll in den 1930er Jahren dargestellt werden.
Wie genau Viren sich vermehren, blieb noch für Jahrzehnte Gegenstand von Spekulationen. Erst die Aufklärung von Struktur und Funktion der Nukleinsäuren brachte Fortschritte. So konnte 1956 nachgewiesen werden, dass die Ribonukleinsäure des Tabakmosaikvirus die Information für die Struktur und Vermehrung des Virus enthält. 1960 wurde die Aminosäuresequenz des Tabakmosaikvirus veröffentlicht. Durch die Herstellung von Antikörpern gegen das Virusprotein konnte das Virus schließlich auch serologisch nachgewiesen werden.
Auf Grundlage der mit dem Tabakmosaikvirus gemachten Erfahrungen gelang es Wissenschaftlern nun relativ schnell, den Aufbau anderer Viren, den Prozess der Infektion sowie die Virusvermehrung im Wirt zu erforschen und zu verstehen. Heute ist man dadurch in der Lage, viele Viren zu kontrollieren. So kann die Ausbreitung von Pflanzenviren durch die Bekämpfung der Vektoren (meist Insekten) und die Züchtung resistenter Sorten reduziert oder ganz verhindert werden. Humane Virusinfektionen können durch Impfungen gemildert, verhindert oder mitunter sogar ganz ausgerottet werden. Und auch Nutz- und Haustiere entwickeln Immunschutz durch Impfungen. In einigen Fällen hat sich zudem die Immunisierung von Wildtieren bewährt, um Infektionsketten zu unterbrechen. Ein Beispiel ist das Auslegen von impfstoffhaltigen Fressködern, mit denen Füchse gegen die Tollwut immunisiert werden.