Lockeres Plaudern gegen den Corona-Blues |
Öfter mal mit Fremden oder weniger guten Bekannten zu sprechen tut gut! / Foto: Getty Images/kzenon
»Schwache Beziehungen bringen neue Ideen und Sachverhalte in unseren Alltag«, sagt der Soziologe Markus Gamper von der Uni Köln. »Starke Beziehungen haben wir zu Menschen, die uns ähnlich sind, die einen ähnlichen Alltag haben, zu Leuten, die das Gleiche lesen, dieselben Serien und Filme schauen.« Doch damit laufe man Gefahr, die ganze Zeit im eigenen Saft zu schmoren. Durch »Brücken«, also losere Netzwerke, komme »Neues, Spannendes, einfach der Nicht-Alltag« ins Leben. »Wir brauchen Abwechslung und neue Informationen.«
Bei losen Bekanntschaften seien die gegenseitigen Erwartungen natürlich niedriger als bei engen Beziehungen, sagt Gamper, was auch wohltuend sei. Der Experte für Netzwerkanalyse hat bei dem soziologischen Fachbuch »Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten« mitgewirkt. Enge Freundschaften seien wichtig für den emotionalen Support, doch losere seien nicht unwichtig, sagt Gamper. »Starke und schwache Beziehungen haben jeweils ihren eigenen Nutzen.«
Die soziologischen Theorien zu Netzwerken stammen aus Amerika. Der Soziologe Ronald S. Burt wies zum Beispiel nach, dass Mitarbeiter dann besonders kreativ sind, wenn sie im Job informelle Kontakte über sogenannte strukturelle Löcher hinweg pflegen. Diese »Structural Holes« sind vor allem Abteilungs- und Funktionsgrenzen. Es komme nicht auf die Anzahl der Kontakte an, sondern darauf, Brücken zu schlagen, sich mit Leuten außerhalb des eigenen Teams zu vernetzen.
Ein anderer wichtiger Netzwerktheoretiker ist der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Mark Granovetter, der schon 1973 den Aufsatz »The Strength of Weak Ties« veröffentlichte. Darin definierte er unter anderem die Stärke von Beziehungen nach vier Komponenten: die Menge an Zeit, die Personen miteinander verbringen, der Grad der emotionalen Intensität, das gegenseitige Vertrauen (Intimität) und die Art der wechselseitigen (reziproken) Hilfeleistungen. Schwache Beziehungen (»weak ties«) seien bei alledem nicht zu unterschätzen.
Psychologen haben jahrzehntelang vor allem die wichtige Funktion enger Beziehungen im Blick gehabt, also von Familie, romantischer Partnerschaft und tiefer Freundschaft. Doch dann kam die Erkenntnis, dass auch Nachbarn im Hausflur oder am Gartenzaun und Baristas im Café wichtig fürs Wohlbefinden sein können.
Die Sozialpsychologinnen Gillian Sandstrom und Elizabeth Dunn fanden anhand mehrerer Studien heraus, dass Leute mit einer größeren Zahl an losen Bekanntschaften dazu tendierten, insgesamt zufriedener zu sein in ihrem Leben. Je mehr Interaktion sie mit solchen vermeintlich Fremden hatten desto glücklicher waren sie. Sandstrom empfiehlt daher, öfter mit Fremden zu plaudern. «Menschen kommt es allgemein zugute, wenn sie mit vielen Leuten, auch weniger guten Bekannten, sprechen», sagt die Wissenschaftlerin, die für die Erforschung flüchtiger Bekanntschaften renommiert ist, der Nachrichtenagentur dpa. Das gelte gerade für die Corona-Zeit, aber nicht nur.
Da in der Pandemie vieles geschlossen sei und Orte für kleine leichte Gespräche fehlten, müsse man stärkende Plaudereien gezielter suchen – natürlich mit Maske und möglichst mit Abstand. Unter dem Motto #Talking2Strangers (also: Reden mit Fremden) propagiert Sandstrom von der University of Essex, jeden Tag mit Leuten eine freundliche kurze Unterhaltung zu beginnen – egal, ob Smalltalk im Supermarkt oder Bus. »Das bringt so viel Freude.«