Luftschadstoffe als Atemräuber |
Neben Autoabgasen tragen noch viele andere Schadstoffe zur Luftverschmutzung bei. Das Problem: Oft nehmen wir sie gar nicht wahr und sind ihnen unmittelbar ausgesetzt. / Foto: Adobe Stock/rh2010
Ein Mensch atmet rund 20.000-mal pro Tag. Dem, was wir dabei einatmen, sind wir blind ausgeliefert. Denn Luftschadstoffe sehen und riechen wir kaum. Experten sind sich uneinig, wie schädlich die chronische Belastung mit Luftschadstoffen tatsächlich ist. Dass sie die Gesundheit weltweit gefährden, bestreitet jedoch keiner.
Die europäische Umweltbehörde veröffentlichte im November 2020, dass alleine in Deutschland im Jahr 2018 schätzungsweise 9200 Menschen durch Stickstoffdioxid (NO2) und sogar 63.100 durch Feinstaub vorzeitig starben. Einige Forscher kritisieren allerdings Aussagekraft und Kalkulation dieser Zahlen und sprechen lieber von verlorenen Lebensjahren (Years of life lost, YLL). Diese beliefen sich für 2018 nach Modellrechnungen auf etwa 700.000 (Feinstaub) beziehungsweise 100.000 (NO2) nur in Deutschland. Das genaue Ausmaß ist kaum zuverlässig zu beziffern.
Um es vorwegzunehmen: Hierzulande stirbt abgesehen von etwa Arbeitsunfällen niemand unmittelbar an Stickoxiden und Co, sondern viel mehr an den Krankheiten, die sie mit verantworten wie Herzinfarkt, Diabetes mellitus, Krebs sowie Frühgeburt und viele mehr. Damit rangieren Luftschadstoffe in den Top Ten der wichtigsten Risikofaktoren nach Rauchen, Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten und verursachen erhebliche Kosten im Gesundheitssystem. Schließlich kann sich niemand der Luft entziehen.
Luftschadstoffe stammen sowohl aus Verkehr, Energieerzeugung, Landwirtschaft und Industrie als auch Haushalt sowie natürlichen Prozessen wie Vulkanausbrüchen. Chemisch gesehen stellen sie eine sehr heterogene Gruppe dar. Zu den bekanntesten zählen Feinstaub, Ozon und NO2. Diese und einige mehr werden seit Jahrzehnten flächendeckend überwacht, untersucht und bedingen sich zum Teil gegenseitig. Gleichzeitig dienen sie als gut messbare Indikatoren für weitere Schadstoffe. Fällt beispielsweise die Konzentration von NO2, sinken andere Verunreinigungen in der Regel analog.
Das macht es zugleich fast unmöglich, einzelne Schäden sicher auf bestimmte Übeltäter zurückzuführen. Selbst an einem Ort variiert die Schadstoffkonzentration und -zusammensetzung je nach Wetter, Jahreszeit oder Verkehrslage mitunter stark. In Deutschland überwachen mehr als 650 Messstationen des Umweltbundesamts die Luftqualität. Eine europäische Richtlinie legt die Emissionshöchstmengen für beispielsweise Ozon, NO2 und Feinstaub fest.
Glücklicherweise sinkt die Schadstoffbelastung seit den 1990er Jahren stark. Doch selbst bei Einhaltung der Grenzwerte treten gesundheitliche Schäden auf. Es gibt keine unschädliche Dosis. Epidemiologische Studien legen eine lineare Expositions-Wirkungsbeziehung nahe, wobei bestimmte Personengruppen wie Kinder, Ältere, Vorerkrankte oder Raucher besonders vulnerabel reagieren. Grundsätzlich gibt es kurzfristige und langfristige Auswirkungen. Akute Folgen von Reizgasen können in toxikologischen Experimenten an Freiwilligen erforscht werden. Aus ethischen Gründen werden diese jedoch nur an gesunden Probanden durchgeführt. Eine Aussage über eine Verschlechterung bei bestehenden Erkrankungen erlauben sie somit nicht.
Langfristige Folgen von Luftschadstoffen werden überwiegend durch epidemiologische Studien untersucht. Diese stehen jedoch vor verschiedenen Herausforderungen. Da zahlreiche Schadstoffe gemeinsam und gleichzeitig auftreten, müssen Forscher zusätzliche Messungen und Modellrechnungen verwenden, um die genaue Belastung bestmöglich abzuschätzen. Darüber hinaus erkennen solche Untersuchungen eine Korrelation, können aber keine Kausalität nachweisen. Eben solche Studien konnten jedoch auch Übergewicht und Hypertonie als mittlerweile anerkannte Risikofaktoren identifizieren.
Viele kennen selbst die Folgen von Ozon-Spitzen an heißen, wolkenfreien Sommertagen: tränende, gereizte Augen, Husten oder Kopfschmerzen. Etwa jeder achte bis zehnte Mensch quer durch alle Bevölkerungsgruppen reagiert besonders empfindlich auf Ozon (O3). Als Reizgas hängen die Beschwerden in erster Linie von der Aufenthaltsdauer in der ozonbelasteten Luft ab und betreffen vor allem die Atemwege. Sport im Freien verschärft die Exposition.
Ozon entsteht durch intensive Sonneneinstrahlung aus Sauerstoff mit sogenannten Ozon-Vorläuferstoffen wie NO2, Methan oder flüchtigen organischen Verbindungen. Interessanterweise ist die Ozonbelastung in Innenstädten deutlich geringer. Schuld daran ist Stickstoffmonoxid (NO) aus Autoabgasen. Es reagiert nämlich mit Ozon und senkt so dessen Konzentration.
Auch NO2 ist ein Reizgas. Es zählt zu den sogenannten Stickoxiden oder nitrosen Gasen (NOx), die verschiedene gasförmige Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen zusammenfassen. Sie reagieren mit Wasser als Säurebildner und reizen so vor allem Schleimhäute und provozieren eine Entzündung. Das verstärkt einerseits die Reizwirkung weiterer Luftschadstoffe. Andererseits erleichtert sie die Sensibilisierung durch Allergene oder verschlimmert allergische Symptome. Eine stark belastete Umgebung kann bei Asthmatikern beispielsweise unmittelbar einen Anfall auslösen.
Nitrosegase entstehen typischerweise bei Verbrennungsprozessen wie in Feuerungsanlagen oder Autos. Vor allem der Straßenverkehr gilt in Ballungszentren als die wichtigste NOx-Quelle und führt zu Spitzenkonzentrationen. Demnach überschreiten 20 Prozent der städtischen verkehrsnahen Stationen in Deutschland den Grenzwert, obwohl die Jahresmittelwerte von NO2 seit 1995 sinken. Die Folgen tragen nicht nur Allergiker und Asthmatiker, sondern auch Kinder. So kommt eine Publikation aus dem Jahr 2019 zu dem Schluss, dass jährlich weltweit vier Millionen Kinder durch die NO2-Belastung an Asthma erkranken. Das entspricht etwa 13 Prozent der Gesamtinzidenz.
Feinstaub steht dem in nichts nach. Als solcher werden Partikel unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung verschiedener Chemikalien bezeichnet, die zunächst einige Zeit in der Luft schweben. Er entsteht bei Emissionen von Autos, Heizungen, Kraftwerken, aber auch durch Landwirtschaft, Brems- und Reifenabrieb sowie Bodenerosion. Feinstaub ist also in erster Linie menschengemacht.
An der Oberfläche können weitere Schadstoffe adsorbiert sein. Je nach aerodynamischem Durchmesser werden sie in unterschiedliche Fraktionen unterteilt: PM10 (particulate matter = Schwebestaub) weist einen Durchmesser von maximal 10 µm auf und erreicht die Nasenhöhle, PM2,5 mit einem Durchmesser bis zu 2,5 µm gelangt in die Bronchien und Lungenbläschen. Ultrafeine Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 µm können sogar bis in den Blutkreislauf gelangen. Sie sind bisher jedoch nur unzureichend untersucht, schwer zu messen und gesetzlich daher nicht reguliert. Je nach Größe und Eindringtiefe variieren ihre gesundheitlichen Folgen. Sie reichen von lokalen Reizungen über Entzündungen bis hin zur Plaquebildung und damit einer Erhöhung des Risikos für Herzinfarkt und Schlaganfall.
Da wir Luftschadstoffe einatmen, überrascht es kaum, dass sie die Sterblichkeit und Häufigkeit von Atemwegserkrankungen hochschrauben. Ihre Exposition kann die Lungenfunktion vermindern und bestehende Krankheiten wie COPD und Asthma verschlechtern. Auch Lungenentzündungen oder Bronchitiden nehmen zu und das Risiko für Lungenkrebs steigt.
Obwohl Luftschadstoffe zunächst in die Lunge gelangen, sind die Schäden keinesfalls auf diese begrenzt. Sowohl Partikel als auch entzündliche Botenstoffe können in den Kreislauf übertreten, sodass die Entzündung auf den gesamten Organismus übergreifen und dort einen bunten Strauß an potenziellen Folgen auslösen kann. So stören entzündliche Prozesse beispielsweise die Endothelfunktion, sodass sich leichter Thromben bilden oder Atherosklerose fortschreiten kann.
Bei langfristiger Belastung scheint auch das Risiko für Diabetes mellitus anzusteigen. Einige Forscher vermuten unter anderem, dass Muskeln durch Feinstaub weniger Glucose aufnehmen und der Glucosetransport in der Leber sowie der Fettstoffwechsel gestört werden.
Manche Schadstoffe lösen aber auch direkt im Atemtrakt vegetative Reflexe aus und tragen so zu Herzrhythmusstörungen bei. Insgesamt konnten Zusammenhänge zwischen der Schadstoffexposition und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und ihrer Sterblichkeit dokumentiert werden. Auch das Gehirn scheint vor den Folgen nicht gefeit zu sein. So weisen Studien bei erhöhter Schadstoffbelastung auf einen Zusammenhang mit Demenz und kognitiven Beeinträchtigungen hin. Selbst der Embryo im Mutterleib wird negativ beeinflusst. Zwar ist die Datenlage sehr unterschiedlich, doch es wurden ein geringeres Geburtsgewicht, mehr Schwangerschaftskomplikationen wie Bluthochdruck und Präeklampsie sowie eine gestörte Plazentafunktion dokumentiert.
Kohlendioxid (CO2) ist neben Ruß und Methan Hauptverursacher der Klimaerwärmung und damit in erster Linie Umweltsünder. Als natürliches Abbauprodukt der Zellatmung ist CO2 kein klassischer Luftschadstoff im toxischen Sinne und macht etwa 0,04 Prozent der Umgebungsluft aus. Beim Ausatmen steigt der CO2-Gehalt nach Passieren der Lunge dann auf etwa 4 Prozent an. Seine Konzentration wird also besonders in Innenräumen wie in Schulen oder Büros relevant, denn bei zu vielen Personen auf engem Raum mit nur unzureichender Lüftung steigt der CO2-Gehalt an. Gerade Kinder sind oft empfindlicher als Erwachsene und leiden etwa unter Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Konzentrationsmangel. Richtiges und regelmäßiges Lüften ist daher nicht nur in Zeiten der Coronavirus-Pandemie relevant.