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Risiken und Nebenwirkungen

Medikamente verantwortungsvoll entsorgen

Jede Handlung hinterlässt einen ökologischen Fußabdruck. Die Herstellung, Anwendung und Entsorgung von Arzneimitteln machen da keine Ausnahme. Was dem Patienten nützt, kann der Umwelt im schlimmsten Fall schaden. Ein Nachdenken über eine umweltverträgliche Pharmazie setzt gerade ein.
Edith Schettler
15.03.2022  16:00 Uhr

Niemand, der heute Arzneimittel anwendet, möchte damit späteren Generationen eine ökologische Last hinterlassen. Doch jede Dosis verlässt den Körper in Form von Metaboliten wieder, die zwangsläufig ins Abwasser gelangen. Auch bei der Herstellung fallen Abfälle an, die entsorgt werden müssen. Medikamente erreichen irgendwann ihr Verfalldatum und landen (idealerweise) im Müll. Die Lebenserwartung der Menschen steigt, nicht zuletzt dank der Arzneimittel, was wiederum einen höheren Verbrauch nach sich zieht. Und natürlich tragen auch Haus- und Nutztiere zur Kumulation von Arzneimitteln im Wasser, in der Luft und im Boden bei.

Über das Grundwasser

Obwohl Arzneimittel einen wesentlich besseren Ruf als beispielsweise Agrochemikalien haben, sind sie genauso problematisch, wenn sie in die Umwelt gelangen. Das Problem ist seit etwa 30 Jahren bekannt, wird jedoch kaum kommuniziert und ist daher auch in der Bevölkerung lange nicht so präsent wie das der Pestizide, die sich in der Nahrung wiederfinden. Vor allem über das Grundwasser können aber Arzneimittel genauso auf unserem Teller oder im Trinkglas landen.

Das Umweltbundesamt schätzt einen Verbrauch von 30.000 Tonnen Humanarzneimitteln im Jahr, das sind 31.000 Präparate mit rund 2.300 verschiedenen Wirkstoffen. Davon sind etwa 1.100 Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Aminosäuren oder Pflanzenextrakte, die die Abwässer vermutlich weniger belasten. Der Rest hat es dann aber in sich und setzt sich zusammen aus physiologisch hochaktiven Stoffen wie beispielsweise Analgetika, Antidiabetika, Antirheumatika, Antibiotika, Antiepileptika, Antihypertonika, Psychopharmaka und Zytostatika und macht immerhin noch 8.000 Tonnen jährlich aus.

Nur 2 Prozent der Humanarzneimittel, die in die Gewässer gelangen, stammen hierzulande aus der pharmazeutischen Industrie, etwa 10 Prozent sind auf nicht fachgerechte Entsorgung zurückzuführen. Der Eintrag der restlichen 88 Prozent lässt sich auch mit umweltgerechtem Verhalten kaum beeinflussen, er ist das Ergebnis der Einnahme von Arzneimitteln und ihrer unvermeidlichen Ausscheidung ins Abwasser. Kläranlagen können die meisten dieser Substanzen zurzeit noch nicht herausfiltern.

Zu dieser schon nicht unerheblichen Menge kommen noch 270 umweltrelevante Wirkstoffe aus Tierarzneimitteln, davon allein jährlich 670 Tonnen Antibiotika, die fast ausschließlich aus der Massentierhaltung stammen. Sie gelangen vorwiegend mit dem Stallmist und der Gülle auf die Ackerböden und von dort bei nicht sachgerechter Ausbringung auch ins Grundwasser. Weitere Gruppen von Tierarzneimitteln erfasst die amtliche Statistik nicht.

Als sehr kritisch gelten Stoffe mit sogenannten PBT-Eigenschaften. Aufgrund ihrer Eigenschaften dürfen sie nicht in die Umwelt gelangen. Sie sind langlebig in der Umwelt und somit schwer abbaubar (Persistent), reichern sich in Organismen an (Bioakkumulierend) und sind giftig für Menschen oder Umweltorganismen, krebserregend oder greifen in das Hormonsystem ein (Toxisch).

Prüfung seit 2006

Erst seit dem Jahr 2006 ist im Zulassungsverfahren für Arzneimittel Verfahren auch eine Prüfung auf Umweltverträglichkeit vorgesehen. Das bedeutet, dass es für alle Medikamente, die seit mehr als 15 Jahren zugelassen sind, keinerlei Nachweis für ihre ökologische Unbedenklichkeit gibt. Und auch die geprüften Arzneimittel sind nicht unbedingt harmlos. Zwar legen die Leitlinien der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA Wirkschwellen fest, jedoch nur für Wirk- und nicht für Hilfsstoffe. Auch Kombinationen von Arzneistoffen oder spezifische physikalische Parameter finden keine Berücksichtigung.

Überschreitet ein Arzneimittel den Grenzwert, erhält der Hersteller lediglich einen Hinweis, das Risiko zu reduzieren. Bei der Nutzen-Risiko-Bewertung spielen die Umweltaspekte keine Rolle, so dass es nicht möglich ist, besonders umweltschädlichen Arzneimitteln, beispielsweise mit PBT-Eigenschaften, die Zulassung zu verwehren. Die Überwachung neuer Arzneimittel nach der Zulassung erfasst zwar Nebenwirkungen und Interaktionen am Menschen, jedoch keine Umweltdaten.

Problematische Wirkstoffe

Die Ergebnisse der Umweltprüfung während des Zulassungsverfahrens werden nicht veröffentlicht und finden deshalb auch keinen Eingang in die Informationen für Fachkreise. Leider können damit in Deutschland Ärzte für ihre Patienten geeignete Arzneimittel nicht nach Umweltaspekten auswählen. Ein Vorbild könnte Schweden sein, wo es ein entsprechendes Klassifikationssystem gibt. Denn häufig gibt es umweltverträgliche Alternativen.

Die so genannte »Weise Liste« (kein Schreibfehler!) empfiehlt seit 16 Jahren schwedischen Medizinern Medikamente für häufige Krankheiten auch unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit. Im Jahr 2017 startete das Bundesumweltamt unter dem Titel »Arznei für Mensch und Umwelt« eine Initiative zur Vermittlung des entsprechenden Wissens an Ärzte in der Aus- und Fortbildung. Doch bis alle verschreibenden Ärzte für das Thema sensibilisiert sind, werden Jahrzehnte vergehen.

Ganz vorn in der Liste der Arzneimittel, die im Verdacht stehen, die Umwelt zu schädigen, finden sich häufig verordnete Wirkstoffe wie Diclofenac, 17-β-Estradiol und 17-α-Ethinylestradiol, Antibiotika, in erster Linie Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin, Ciprofloxacin und Amoxicillin, zahlreiche Psychopharmaka, Antidiabetika, vor allem Metformin, und Betablocker sowie Hilfsstoffe wie Titandioxid oder Zinkoxid. Im stationären Bereich spielen jodhaltige Röntgenkontrastmittel und das Narkosemittel und Treibhausgas Desfluran bei den problematischen Einträgen eine Rolle.

Östrogene beeinflussen die Reproduktion von Wirbeltieren im Wasser, Diclofenac und Ibuprofen schädigen die inneren Organe von Fischen und Antibiotika töten nicht nur Bakterien, sondern auch in Symbiose mit ihnen lebende Pilze, Algen und Pflanzen. Psychopharmaka beeinflussen das Verhalten von Amphibien und Fischen und nehmen damit indirekt Einfluss auf deren Fortpflanzung und Verhalten. Die Tiere werden langsamer, teilnahmsloser oder aggressiver, was sie zum Beispiel zur leichten Beute macht oder Gefahren nicht erkennen lässt.

Offiziell ist von »Mikroverunreinigungen« die Rede, jedoch sind Arzneimittel gerade in geringen Konzentrationen hoch wirksam. Wie sie untereinander und mit anderen Mikroverunreinigungen aus Industrie und Landwirtschaft interagieren, ist noch kaum erforscht. Grenzwerte für jeden Stoff separat festzulegen, ist deshalb vermutlich nicht zielführend, wenn die Umwelt tatsächlich entlastet werden soll.

Keine einfachen Lösungen

Beim Deutschen Bundestag gibt es seit dem Jahr 1990 ein Büro für Technikfolgen-Abschätzung, das sich auch mit den Auswirkungen von Arzneimitteln auf die Umwelt beschäftigt. Der letzte Bericht zur Problematik des Eintrages von Arzneimitteln in die Umwelt aus dem Jahr 2019 stellt fest, dass in Deutschland Daten zu Mikroverunreinigungen nicht flächendeckend erhoben werden und auch keine systematische Überwachung erfolgt. Es gebe jedoch Hinweise darauf, dass Verunreinigungen dieser Art zunehmen und bereits Auswirkungen auf Fauna und Flora nachweisbar sind. Der langsame Abbau der Substanzen in der Umwelt auf der einen Seite und der in den nächsten Jahren vermutlich weiter steigende Verbrauch an Human- und Tierarzneimitteln andererseits werden dazu führen, dass Vorkommen und Konzentration von Arzneistoffen und ihren Abbauprodukten in der Zukunft eher noch zunehmen werden.

Das Beratergremium schlägt einen Maßnahmenkatalog vor, der mögliche Ansätze an verschiedenen Stellen aufzeigt. So sollten zunächst nach dem Vorbild der Schweiz Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe aufgerüstet werden, um einen großen Teil der Humanarzneimittel herauszufiltern, die nach Ausscheidung aus dem Körper oder durch unsachgemäße Entsorgung ins Abwasser gelangen. Mit Hilfe von Aktivkohle und Ozon können die Anlagen etwa 80 Prozent der Arzneistoffe zurückhalten. Abwässer aus Krankenhäusern sollten separat gesammelt werden. Für die Realisierung hält das Bundesumweltamt einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren für realistisch und rechnet mit Kosten von mehr als 10 Milliarden Euro.

Menschen für die Problematik sensibilisieren

Ärzte und Patienten sollen für die Rückstandsproblematik sensibilisiert werden, wodurch sich auch der Arzneimittelverbrauch verringern könnte. Allgemeine Gesundheitsförderung und Präventionsmaßnahmen könnten als Nebeneffekt ebenfalls dazu beitragen. Das Büro schlägt außerdem vor, bei der Neuentwicklung von Medikamenten nicht nur die therapeutische Wirkung im Blick zu haben, sondern auch auf möglichst geringe unerwünschte Umweltwirkungen zu achten. Sinnvoll sei außerdem, das bestehende Pharmakovigilanzsystem für Humanarzneimittel, das an einer zentralen Stelle die medizinischen Nebenwirkungen erfasst, mit einem umfassenden Umweltinformationssystem zu ergänzen.

Die Bevölkerung soll zur sachgemäßen Entsorgung von Altarzneimitteln aufgeklärt werden – eine Aufgabe, die die Apotheken gut erfüllen können und auch jetzt schon erfüllen. Leider gibt es bereits seit 2009 kein einheitliches Entsorgungssystem mehr, weil sich die Verbände der pharmazeutischen Industrie weigern, die Kosten dafür zu tragen. Vielleicht findet sich in der neuen Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen ein offenes Ohr für die Forderungen der Apotheker nach einer Wiederaufnahme des flächendeckenden Sammelsystems für Altarzneien.

Umweltverbände wie der BUND fordern ein Zulassungsverbot, ein Werbeverbot sowie die Verschreibungspflicht für nachgewiesen umweltschädliche Arzneistoffe. 

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