»Mehr Grün, weniger Pollenschleudern« |
Der frühzeitige und konsequente Einsatz von Antiallergika lässt Allergiker wieder aufatmen. / Foto: Getty Images/Imgorthand
»Bei der Stadtbegrünung muss das allergene Potenzial von Bäumen stärker berücksichtigt werden«, forderte Professor Dr. Torsten Zuberbier bei der ECARF-Pressekonferenz. Sowohl unter gesundheitlichen als auch ökonomischen Gesichtspunkten sei es nicht sinnvoll, weiterhin Bäume anzupflanzen, auf deren Pollen die Menschen in Deutschland allergisch reagieren. »Ja zu viel Grün in der Stadt, aber Pollenschleudern wie Birken, Pappeln oder Hasel sind tunlichst zu vermeiden«, sagte der Direktor des Instituts für Allergieforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Hauptstadt sei kein gutes Beispiel.
Der Klimawandel hat unmittelbar Auswirkungen auf das Allergiegeschehen. Größere Veränderungen von Jahr zu Jahr bezüglich Pollenmenge und Zeitraum des Pollenflugs betreffen vor allem die Baumpollen. So starten die ersten Pollen der neuen Pollensaison nicht mehr zu Beginn des neuen Jahres, sondern sind aufgrund der milden Temperaturen bereits um die Weihnachtszeit in der Luft. Das heißt, die Pollenflugzeit hat sich insgesamt gesehen verlängert. Hinzu kommt, dass der mit dem Klimawandel einhergehende Anstieg von Luftschadstoffen wie Ozon und Feinstaub die Zusammensetzung von Pollen verändert und aggressiver machen kann.
In Straßennähe wirkt der CO2-Ausstoß von Verbrennermotoren wie ein Verstärker: In direkter Nachbarschaft viel befahrener Straßen steigt der Pollenflug, wie Experimente an Ambrosia und Wiesen-Lieschgras zeigen. Es gibt Hinweise darauf, dass der Klimawandel und Luftschadstoffe als Pflanzenstressoren das allergene Potenzial verändern. Pollen aus städtischen Gebieten haben einen höheren Allergengehalt pro Pollen vom Land. Vor diesem Hintergrund ist Zuberbiers »fokussierter allergologischer Blick bei der Städteplanung« gut zu verstehen.
In tragbaren Luftreinigern, die wie ein Kragen um den Hals gelegt werden, sieht der Experte eine hilfreiche Unterstützung für Menschen mit Allergien. »Das kann vor allem in städtischen Gebieten sinnvoll sein, weil sie nicht nur Pollen, sondern auch Feinstaub filtern.« Ein Luftreiniger (Wearable Air Purifier von Respiray) habe jüngst das ECARF-Qualitätssiegel für Allergikerfreundlichkeit erhalten. Dieses ist nur dann auf Produkten und Dienstleistungen zu finden, wenn sie nachweislich die Lebensqualität von Menschen mit Allergien verbessern. Zuberbier ist es wichtig, auch nicht medikamentöse Strategien in das Behandlungskonzept einzubinden. »In den meisten Fällen kann mit modernen Medikamenten und Hilfsmitteln Beschwerdefreiheit erreicht werden.« Der Pharmazeutischen Zeitung hat er erzählt, wie moderne Allergietherapie heute aussieht.
Ziel der Stiftung ist es Zuberbier zufolge, Allergiewissen bereits bei den Jüngsten zu verbreiten, Aufklärungs- und altersgerechtes Unterrichtsmaterial in alle Berliner Schulen zu bringen und so auf spielerische Art und Weise das Wissen über Allergien bis hin zu Notfallsituationen und deren Erste-Hilfe-Maßnahmen zu etablieren. In Vorbereitung sind mehrere Hundert, durch Spenden finanzierte ECARF-Koffer mit entsprechenden Materialien, die demnächst an Schulen in Berlin und Umgebung gehen.
Ein wichtiges Thema ist auch die Prävention beziehungsweise die verbesserte medizinische Versorgung von Anaphylaxie-gefährdeten Menschen. »Noch immer gibt es zu viele Notfälle auf Schulhöfen oder Kindergärten, weil ein Kind in den Schokokeks des anderen gebissen hat.« Schätzungen zufolge treten rund 15 Prozent aller Reaktionen auf Lebensmittelallergien oder Anaphylaxien in der Schule auf. Zuberbier: »Wir fordern eine Adrenalin-Notfall-Box auf allen öffentlichen Plätzen und in Einrichtungen wie Schwimmbäder oder Schulen«, sagte Zuberbier. Zurzeit werde ein Positionspapier für eine nationale Strategie zur Verfügbarkeit von Adrenalin-Autoinjektoren ähnlich der Verteilung der Frühdefibrillatoren erstellt.
Neue Studienergebnisse für Katzenhaarallergiker konnte Professor Dr. Karl-Christian Bergmann vorstellen. »Die Erkenntnis, dass Allergiker häufig ein Defizit an Mikronährstoffen aufweisen – vorrangig einen funktionellen Eisenmangel innerhalb der Immunzellen –, und das Wissen um den sogenannten Bauernhofeffekt haben zu eigenen Arbeiten mit Blick auf die Entwicklung einer Lutschtablette geführt«, berichtete der klinische Studienleiter der ECARF-Stiftung.
Das Nahrungsergänzungsmittel Immunobon® enthält Beta-Lactoglobulin aus der Molke von Bio-Rohmilch, kombiniert mit den Mikronährstoffen Eisen, Zink und Vitamin A. Es ist bereits seit einigen Jahren auf dem Markt. »Die Lutschtablette zeigte bereits in der Vergangenheit in zwar kleinen, aber doppelblinden placebokontrollierten Studien sowohl bei Pollenallergie als auch bei Untersuchungen in unserer Allergen-Expositionskammer bei einer Hausstaubmilbenallergie eine deutliche Symptomlinderung. Aktuell können wir die Ergebnisse bei Patienten mit Katzenhaarallergie bestätigen. Nach dreimonatiger Einnahme des Beta-Lactoglobulins reduzierten sich die Symptome bei Allergenprovokation um 40 Prozent«, sagte Bergmann.
Noch einen weiteren Ansatz in der Therapie von Pollenallergikern konnte Bergmann präsentieren: Probiotika. »Nach unseren Untersuchungen ist es möglich, durch die perorale Zufuhr lebender Bakterien die Symptomatik bei Gräserpollen-Allergikern zu beeinflussen – und zwar positiver als noch vor ein paar Jahrzehnten gedacht.« Die Studien wurden mit dem Nahrungsergänzungsmittel Pollagen® durchgeführt, das Lacto- und Bifidobakterien sowie prebiotische Fructo-Oligosaccharide enthält.
Dazu wurden diagnostizierte Allergiker einer standardisierten Allergenexposition in der ECARF-Provokationskammer ausgesetzt und die allergischen Symptome erfasst. Die Einnahme des Probiotikums erfolgte drei Wochen lang zwischen zwei Sitzungen in der Expositionskammer. Bei der zweiten Provokation nach drei Wochen zeigten die Studienteilnehmer signifikant weniger Beschwerden an Auge und Nase, und auch die bronchialen Beschwerden waren zurückgegangen, schilderte Bergmann. Der Effekt scheint anzuhalten, noch Monate später hätten die Studienteilnehmer von der Einnahme des Probiotikums profitiert, so Bergmann, der auch Leiter der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst ist.
Für Apfelallergiker gibt es erfreuliche Neuigkeiten: Ab Herbst nächsten Jahres können sie wieder sorglos in den Apfel beißen – zumindest in zwei neu entwickelte allergikerfreundliche Sorten, die dann auf den Markt kommen. »Wir haben in Zusammenarbeit mit der Züchtungsinitiative Niederelbe, der Hochschule Osnabrück und der Technischen Universität München zwei neue Apfelsorten mit äußerst geringem Allergengehalt getestet. Beide Sorten konnten von Apfelallergikern ohne Probleme gegessen werden und erhielten das ECARF-Qualitätssiegel für Allergikerfreundlichkeit«, berichtete Bergmann. Handelsnamen sind noch nicht bekannt, ansonsten ist die Markteinführung vorbereitet, mehr als 100.000 Bäume sind gepflanzt.
Hintergrund: Laut dem Allergologen haben rund 10 Prozent der Bevölkerung spezifische Antikörper gegen das Hauptallergen in Äpfeln (Mal d 1) entwickelt. Knapp vier Millionen von ihnen reagieren massiv, innerhalb weniger Minuten beginnt der Mund zu jucken, Mundschleimhaut, Zunge und Lippen schwellen an. Auch Augen, Nase und Atmung können betroffen sein. »Die Immunabwehr bringt die Allergene von Äpfeln und Birkenpollen durcheinander, Mal d 1 zeigt eine 86-prozentige Übereinstimmung mit dem Hauptallergen von Birkenpollen.« Deshalb folge nach einer Birkenpollenallergie oftmals die Entwicklung einer Allergie auf Äpfel.