Mehr Konsum, weniger Schutz |
Im April vergangenen Jahres feierten Cannabiskonsumenten die Teillegalisierung am Brandenburger Tor. / © IMAGO/Manngold
Am deutlichsten fordert die Bundesärztekammer eine Rücknahme des Gesetzes und die Wiedereingliederung von Cannabis in das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Präsident Dr. Klaus Reinhardt zog zum Jahrestag der Teillegalisierung eine verheerende Bilanz: »Während der Konsum erleichtert wurde, bleiben Gesundheits- und Jugendschutz, die Eindämmung des Schwarzmarktes sowie präventive Maßnahmen auf der Strecke.« Durch die Freigabe sei eine Droge verharmlost worden, die nachgewiesenermaßen abhängig mache und zu schweren Entwicklungsschäden führen könne – insbesondere und gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Professor Dr. Rainer Thomasius schildert gegenüber PTA-Forum, wie sich die Situation am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), dessen ärztlicher Leiter er ist, innerhalb des vergangenen Jahres verändert habe. »Die Jugendlichen konsumieren deutlich häufiger als früher, und auch größere Mengen. Sie erzählen uns, wie viel leichter es für sie geworden ist, an Cannabis zu kommen.« Ein riesiges Problem stelle auch der Online-Markt für Medizinalcannabis dar. »Da gibt es viele Websites, bei denen man nur kurz angeben muss, dass man beispielsweise häufig unter Kopfschmerzen leidet, und schon bekommt man ein Privatrezept für Medizinalcannabis.«
Dass der Markt für Medizinalcannabis nunmehr mit dem Schwarzmarkt konkurriere, senke die Gewinnmargen der Dealer und treibe sie dazu, ihren oft jugendlichen Kunden härtere Drogen anzubieten, erläutert Thomasius. »Sie erzählen uns dann, dass sie, wenn sie in die Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs gehen, von den dortigen Dealern so lange umsonst mit Heroin versorgt werden, bis sie süchtig sind.« Aus diesem Grund sei unter den rund 1600 Jugendlichen, die das UKE jährlich behandelt, die Zahl der Heroinsüchtigen immens angestiegen. »Wir werden von dieser Entwicklung nahezu überrannt und können das kaum noch auffangen.«
Professor Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Psychiaterin und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Köln, bestätigt diese Entwicklung gegenüber PTA-Forum. »Wir sehen im klinischen Alltag schon jetzt, dass sich der Konsum einzelner Personen verändert hat, dass sie mehr konsumieren. Die Einstellung, dass Cannabis harmlos sein muss, weil es ja jetzt legal ist, begegnet uns immer häufiger.« Dabei ignorierten gerade junge Menschen, dass Cannabiskonsum erhebliche Auswirkungen auf die Hirnentwicklung habe und auch der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Psychosen eindeutig belegt sei. Deshalb hatte nicht zuletzt auch der UN-Drogenkontrollrat (INCB) von der neuen Gesetzgebung in Deutschland abgeraten.
Die gesundheitlichen Risiken gehen dabei deutlich über die Einschränkungen der Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung hinaus. So zeigten Studien, dass Cannabiskonsum die Myelinisierung, also die schützende Ummantelung von Nervenfasern, stört, berichtet Thomasius. Die klinische Forschung belege darüber hinaus ungünstige Einflüsse regelmäßigen Cannabiskonsums auf Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen, Aufmerksamkeit, Problemlösen, Denkleistung und Intelligenz. Bei vulnerablen Personen kann das zu depressiven Störungen, Suizidalität, bipolaren Störungen, Angsterkrankungen, zusätzlichem Missbrauch von Alkohol und/oder illegalen Drogen und auch zu Psychosen führen. Gleichzeitig sind kommunale Suchtberatungsstellen, die beispielsweise Frühinterventionen durchführen, aufgrund massiver finanzieller und personeller Engpässe schlechtergestellt. So zeigt eine aktuelle Befragung der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, dass bereits Sprechzeiten reduziert und Beratungsstellen geschlossen wurden.
Auch das Ziel, die Kriminalität einzudämmen, sei nicht erreicht worden, berichten Polizeisprecher. So urteilt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums: »Im Kontext der geringen Strafen, der erschwerten Nachweisbarkeit, einer gleichbleibend hohen Nachfrage und einer sinkenden Hemmschwelle für den Erstkonsum ist der Tatanreiz zum illegalen Handel nach der Teillegalisierung größer als vorher.« Die bestehenden Anbauvereinigungen und der private Eigenanbau seien aktuell nicht in der Lage, den gleichbleibend hohen Bedarf an Cannabis zu decken, sodass weiterhin fast ausschließlich auf illegales Cannabis zurückgegriffen würde. Fazit: »Das Ziel der Bundesregierung, die Strafverfolgungsbehörden durch die (Teil-)Legalisierung von Cannabis zu Konsumzwecken zu entlasten, wurde nicht erreicht. Durch die (Teil-)Legalisierung lässt sich der gewerbsmäßige illegale Handel von Cannabis nur noch schwer nachweisen.«
In der Bevölkerung indes stehen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse, die Mitte Februar vor der Bundestagswahl unter 18- bis 70-Jährigen erfolgte, mehr als die Hälfte der Befragten (55 Prozent) hinter der Teillegalisierung von Cannabis. Sie sprachen sich entsprechend gegen eine Rücknahme aus; unter den 18- bis 34-Jährigen sind sogar drei Viertel (75 Prozent) dagegen. Gut ein Drittel der insgesamt rund 1000 Befragten befürwortet hingegen eine Abschaffung des Cannabisgesetzes (36 Prozent). Unter den 18- bis 34-Jährigen sind es nur 19 Prozent.
Interessant dabei: Die große Mehrheit der Befragten (73 Prozent) stimmte der Aussage zu, dass der Konsum von Drogen wie Cannabis der Gesundheit schadet. Jede/r Zweite (49 Prozent) meinte, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, die schnell zum Konsum anderer Drogen verführe. Gut ein Drittel (39 Prozent) ist der Ansicht, dass die Teillegalisierung dem übermäßigen Konsum von Cannabis Tür und Tor geöffnet hat. 60 Prozent der Befragten finden hingegen, dass die Legalisierung hilft, den Schwarzmarkt und damit den Konsum von verunreinigtem Cannabis einzudämmen. 43 Prozent schließlich halten Cannabis eher für eine harmlose Droge, die bei vielen gesundheitlichen Beschwerden hilft. Unter den 18- bis 34-Jährigen stimmen dieser Aussage sogar mehr als die Hälfte (53 Prozent) zu.
Ein erstes Modellprojekt zum Cannabisgebrauch in Deutschland mit einer kontrollierten Abgabe von Cannabis soll im Laufe des Jahres in Hannover starten. Es wird begleitet von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Frankfurt University of Applied Sciences. Rund 4000 Menschen sollen in Hannover an der Studie teilnehmen, die Aufschluss über Konsumverhalten und Auswirkungen auf Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt geben soll.
Das Modellprojekt soll über fünf Jahre laufen und volljährigen Studienteilnehmenden legalen Zugang zu Cannabisprodukten mit unterschiedlichem THC-Gehalt an bis zu drei verschiedenen Verkaufsstellen ermöglichen. Die Probanden nehmen dann regelmäßig an wissenschaftlichen Befragungen teil. Eine Weitergabe von gekauften Produkten an Dritte führt zu einem sofortigen Ausschluss.
»Die Daten aus dieser Studie könnten künftig eine wichtige Grundlage für die Gestaltung einer zukunftsorientierten Drogenpolitik bilden. Durch die wissenschaftliche Untersuchung der Auswirkungen eines regulierten und strukturierten Zugangs zu Cannabis lässt sich feststellen, ob Gesundheits- und Jugendschutz gestärkt, Konsumrisiken verringert und der illegale Markt zurückgedrängt werden können«, so Professor Dr. Kirsten Müller-Vahl, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der MHH. »Langfristig können die Ergebnisse der Studie dabei unterstützen, sichere Rahmenbedingungen für Konsumierende zu schaffen und die öffentlichen Gesundheitsressourcen effektiver zu nutzen.«