microRNA in der Medizin |
»Unsere Arbeitsgruppe konnte erstmals 2008 in ‹Nature› zeigen, dass microRNA therapeutisch gegen Herzschwäche bei Mäusen eingesetzt werden können«, erklärte Thomas Thum von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). »Inzwischen haben wir die weltweit größte Studie in Phase 2 mit knapp 300 Patienten nach Myokardinfarkt und einem microRNA-Ansatz durchgeführt.« Thum, Gründer des Start-ups Cardior, erwartet »eine neue Generation von miRNA-basierten Medikamenten«, die gegen viele Erkrankungen eingesetzt werden könnten. Auch gegen Nieren- und Lungenfibrose wird der Ansatz getestet.
Beispiel Krebs: »miRNA spielt eine sehr große Rolle bei Tumoren«, sagte Sven Diederichs vom Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung und der Universität Freiburg. miRNA könne Tumor-hemmende Gene unterdrücken, ihr Verlust könne Krebsgene aktivieren.
Da die Moleküle sehr charakteristisch für bestimmte Gewebetypen sind, lassen sie sich auch in der Diagnostik einsetzen, wie Diederichs erklärte. Bei Bauchspeicheldrüsen- und Lungenkrebs könnte dies nicht nur helfen, Tumore früh zu erkennen, sondern auch, etwaige Therapiefortschritte zu verfolgen. Therapien mit miRNAs würden derzeit geprüft – nicht nur an Bauchspeicheldrüsen-Tumoren, sondern auch bei Lungenkrebs und Hirntumoren.
Beispiel Alzheimer: miRNAs können die Früherkennung der häufigsten Demenzform verbessern, wie ein internationales Forschungsteam nach einer Studie an 800 Menschen im Fachblatt »Alzheimer's & Dementia« schreibt. Man brauche nicht nur Therapien zur Behandlung von Alzheimer, sondern auch neue Ansätze, um die Erkrankung zu erkennen, bevor Symptome wie Gedächtnisstörungen auftreten, sagte André Fischer von der Uniklinik Göttingen. »Wir haben herausgefunden, dass dies über eine Messung von microRNAs im Blut möglich ist.«
Bereit für die klinische Routine sei das Verfahren noch nicht. Man arbeite an einem simplen Bluttest, der anhand eines Bluttropfens aus dem Finger mehrere miRNAs erkenne. Dieser Test könne in wenigen Jahren auf dem Markt sein, glaubt Fischer. Das könne aufwendige Verfahren wie die Analyse von Rückenmarksflüssigkeit und Hirnscans ergänzen.
Allerdings: Bislang gibt es keine zugelassenen Medikamente auf Basis von miRNAs. Bedenke man, dass man diese RNA-Varianten beim Menschen erst seit zwei Jahrzehnten kenne, sei die Forschung aber schon recht weit, sagte Diederichs. Dafür, dass der Ansatz medizinisches Potenzial hat, spricht auch eine wirtschaftliche Entwicklung: Erst im Mai übernahm der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk – bekannt für die Abnahmespritze Wegovy® – das von Thum gegründete Start-up Cardior für etwa eine Milliarde Euro.