Migräne ist mehr als Kopfschmerz |
Barbara Döring |
12.07.2024 15:00 Uhr |
Migräneschmerz tritt oft auf einer Seite des Kopfes auf und wird als pochend empfunden. / Foto: Adobe Stock/sebra
Wenn Patienten von ihrer Migräne berichten, geht es oft nicht nur um den quälenden Kopfschmerz, der sie für Stunden oder auch mehrere Tage aus dem Alltag reißt. Übelkeit, Licht- oder Geräuschempfindlichkeit sind nur einige der Symptome, die Betroffene mitunter als noch unangenehmer empfinden als den Kopfschmerz an sich. Hinzu kommt, dass eine Migräne bei manchen Patienten von einer sogenannten Aura begleitet ist, die dem Kopfschmerz im typischen Fall für die Dauer von etwa 30 Minuten vorausgeht. Dabei handelt es sich um neurologische Symptome wie Sehstörungen, Empfindungs- oder Artikulationsstörungen. Weil die Migräne mit so unterschiedlichen Symptomen und Ausprägungen auftreten kann, gilt die Erkrankung nicht allein als Kopfschmerz, sondern als eine komplexe neurologische Erkrankung.
Dass Migräne mehr ist, als ein bisschen Kopfweh, zeigt auch die Tatsache, dass sie bei manchen Patienten mit einem erhöhten Risiko für einen Schlaganfall einhergeht. Bereits im Jahr 1997 zeigte eine epidemiologische Studie, dass Migräne als unabhängiger Risikofaktor für einen Schlaganfall einzuordnen ist. Allerdings gilt das nur für Patienten, bei denen dem Kopfschmerz eine Aura vorausgeht. Für die 80 Prozent der Migränepatienten, die keine Aura erleben, gilt diese Risikoerhöhung nicht, betonen Experten der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft in einer Pressemitteilung. Zudem sei das Risiko, aufgrund der Migräne einen Schlaganfall zu erleiden, signifikant geringer als für alle anderen bekannten Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Bluthochdruck.
Nach Sichtung der Literatur und einschlägiger Studien sei das Risiko lediglich für junge Patienten mit Aura erhöht. Laut einer aktuellen Studie ist die Migräne bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 35 Jahren der wichtigste Risikofaktor für einen Schlaganfall, verliert jedoch diesbezüglich mit zunehmendem Alter an Bedeutung. Auch die Aktivität der Migräne spiele eine Rolle. Demnach sei bei häufigen Auren das Risiko höher als bei seltenen Attacken. Kommen weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck und die Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva hinzu, steige das Risiko allerdings deutlich an.
Viele Migränepatientinnen haben deshalb Bedenken, ein orales Kontrazeptivum anzuwenden. Laut der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zur hormonellen Kontrazeption ist das Schlaganfallrisiko für Migränepatientinnen mit Aura, die ein kombiniertes hormonelles Kontrazeptivum einnehmen, um das zwei- bis vierfache erhöht. Die Autoren der Leitlinie, die derzeit überarbeitet wird, empfehlen, bei Frauen mit Migräne Alternativen zu kombinierten hormonellen Verhütungsmitteln zu bevorzugen. Als absolute Kontraindikation für Estrogen-Gestagen-Präparate wird eine Migräne mit Aura bewertet, als relative Kontraindikation eine Migräne ohne Aura.
Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) sieht das zum Teil anders: Da die meisten Migränepatientinnen keine Aura aufweisen, sei davon auszugehen, dass beim Löwenanteil der Patientinnen das Schlaganfallrisiko definitiv nicht erhöht ist. Demnach bestünden keinerlei grundsätzliche Kontraindikationen für eine Hormonbehandlung, wird Professor Dr. Arne May, Facharzt für Neurologie und Leiter der Kopfschmerzambulanz der Universitätsklinik Hamburg in der Pressemeldung zitiert.
Migränepatientinnen mit Aura, die aufgrund weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Rauchen tatsächlich ein deutlich erhöhtes Schlaganfallrisiko aufweisen, sollten über die Zusammenhänge aufgeklärt werden. Als Ausweichmethode kommt für sie eine Verhütung mit einem reinen Gestagen-Präparat infrage, da sich die Risikoerhöhung allein durch den Estrogenanteil ergibt.
Ob Migräne oder nicht – um einem Schlaganfall vorzubeugen, ist es in jedem Fall sinnvoll, die bekannten Risikofaktoren zu vermeiden oder eine Erkrankung, die das Risiko erhöht, gut einzustellen. Dazu zählen neben den oben erwähnten Faktoren auch Bewegungsmangel, hoher Alkoholkonsum, Stress sowie Diabetes, Herzrhythmusstörungen, hohe Blutfettwerte und ein Schlaf-Apnoe-Syndrom.
Die Zeichen eines Schlaganfalls können jenen einer Aura sehr ähnlich sein. Um diese richtig einzuordnen, raten Neurologen Patienten mit Aura und ihren Angehörigen bei einer Attacke besonders aufmerksam die Symptome zu beobachten. Bemerkt ein Patient während einer Aura Beschwerden, die er bisher nicht kennt, oder treten Aura-Beschwerden zeitgleich mit Kopf- oder Gesichtsschmerzen auf, sollte auch an die Möglichkeit eines Schlaganfalls gedacht werden. Experten empfehlen zudem, sicherheitshalber den Notruf zu wählen, wenn zu Kopfschmerzen, die nach der Medikamenten-Einnahme nicht abklingen, Lähmungen, Artikulations- oder Sehstörungen hinzukommen.
Typische Sehstörungen sind zum Beispiel das Sehen von Doppelbildern, Lichtblitzen oder Zickzack-Bildern. Im Gegensatz zur Migräneaura, die allmählich zunimmt und langsam, in der Regel innerhalb einer Stunde, wieder abklingt, setzen zudem Schlaganfallsymptome wie Taubheit, Schwäche oder Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen und/oder Gleichgewichtsstörungen typischerweise abrupt ein.
Eine gute Hilfe, um schnell die Zeichen eines Schlaganfalls zu erkennen, ist der FAST-Test. FAST steht dabei für die englischen Begriffe face, arms, speach und time: Ist das Gesicht (face) einseitig verzogen? Kann der Patient beide Arme (arms) nicht nach vorne strecken? Ist der Betroffene nicht in der Lage, einen einfachen Satz nachzusprechen (speach)? Trifft all dies nicht zu, ist keine Zeit (time) zu verlieren, den Notruf 112 zu wählen.
Ob Spannungskopfschmerz oder Migräne – wer häufig darunter leidet, sollte in jedem Fall die Beschwerden ärztlich abklären lassen, um die individuell optimale Therapie zu finden. Patienten, die versuchen, mit rezeptfreien Schmerzmitteln ihre Migräne eigenständig in den Griff zu bekommen, laufen bei häufigen Attacken Gefahr, zu viele Medikamente einzunehmen. Dann können sowohl nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) als auch Triptane selbst einen schmerzmittelbedingten Kopfschmerz auslösen. Damit es nicht so weit kommt, kann der Arzt bei häufigen Migräneanfällen eine prophylaktische Medikation wie Botox oder CGRP-Antikörper verordnen.
Auch ihren Lebensstil sollten Patienten unter die Lupe nehmen. Es gibt zahlreiche Faktoren, die einen Migräneanfall auslösen können. Oft sind es solche, die den normalen Alltagsrhythmus durcheinanderbringen: Stress, Überanstrengung (auch der Augen), spätes Zubettgehen, ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus am Wochenende oder das Auslassen von Mahlzeiten. Um solche Auslöser zu finden, kann ein Kopfschmerzkalender sinnvoll sein. Die Schmerzklinik Kiel hat zudem eine App entwickelt, um die Häufigkeit der Attacken und den Medikamentenverbrauch im Blick zu behalten. Sie informiert auch über neue Erkenntnisse zum Thema Migräne.
Für mehr Regelmäßigkeit im Leben kann es Patienten helfen, einen Stundenplan für die Woche zu erstellen, in dem feste Zeiten für Mahlzeiten, Arbeit und Freizeit festgehalten sind. Dieser sollte jedoch auch Platz für spontane Entscheidungen lassen. Ziel ist es, eine klare Struktur zu bekommen, ohne sich in ein starres Zeitkorsett zu zwingen.
Wichtig ist vor allem die tägliche Auszeit für Entspannung, zum Beispiel Muskelentspannung nach Jacobsen. 15 Minuten täglich sollten es sein, und zwar möglichst nachdem alle potenziell unangenehmen Dinge des Tages erledigt sind.
Für Migränepatienten sind zudem regelmäßig kohlenhydratreiche Mahlzeiten zu empfehlen, ein guter Start in den Tag sind Müsli oder Vollkornbrot. Ein kleiner kohlenhydrathaltiger Snack vor dem Zubettgehen kann nächtliche Blutzuckertiefs vermeiden, die als Auslöser morgendlicher Migräneanfälle infrage kommen. Wichtig ebenfalls: regelmäßig, über den Tag verteilt, Wasser trinken.
Körperliches Training ist ein weiterer Baustein der Migräneprophylaxe. Gewaltige Anstrengungen müssen es dafür nicht sein. Im Gegenteil können intensive sportliche Aktivitäten eine Attacke sogar triggern. Hilfreich ist es, sich vor dem Sportprogramm aufzuwärmen und im gesunden Pulsbereich zu bleiben. Wer sich beim Laufen noch gut unterhalten kann, ist mit der Anstrengung im grünen Bereich. Zwei- bis dreimal eine halbe Stunde Sport hilft dem Körper, mit dem Wechsel von Anspannung und Entspannung umzugehen, baut Stresshormone ab, stärkt Herz und Kreislauf und senkt so auch das Risiko für einen Schlaganfall.
Wenn sich trotz Behandlung eine Migräne nicht bessert, kann das verschiedene Ursachen haben. Zudem gilt es, Risiken zu beachten. Die Schmerzklinik Kiel informiert über die häufigsten Fehlerquellen der Medikation: