Mit Mikronährstoffen Krankheiten vorbeugen |
In der orthomolekularen Medizin reicht es nicht aus, sich auf natürliche Weise mit Mikronährstoffen, Vitaminen und Mineralstoffen zu versorgen. / Foto: Fotolia/Fotoimpressionen
Der Begründer und berühmteste Vertreter der Orthomolekularen Medizin ist der US-amerikanische Chemiker und Nobelpreisträger Linus Pauling (1901–1994). Er definierte diese als »die Erhaltung guter Gesundheit und die Behandlung von Krankheiten durch Veränderung der Konzentration von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise im Körper vorhanden und für die Gesundheit erforderlich sind.« Diese Substanzen sind Mikronährstoffe, auch Nutrienten genannt, wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Amino- und essenzielle Fettsäuren, Enzyme und sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe.
Linus Pauling war davon überzeugt, mit Vitamin C nicht nur Erkältungen, sondern auch Krebserkrankungen verhindern zu können. Er selbst nahm täglich 18 Gramm ein, verstarb aber trotzdem an Prostatakrebs, wenn auch im hohen Alter von 93 Jahren.
Weniger bekannt sind die Ärzte Abram Hoffer (1917–2009) und Hymphry Osmond (1917–2004), die noch vor Linus Pauling erste Versuche mit der Gabe hochdosierter Vitamine unternahmen. Sie verabreichten psychiatrischen Patienten Tagesdosen von bis zu 17 Gramm Vitamin B3 und 1,5 Gramm Vitamin C und hofften, damit schizophrene Psychosen therapieren zu können. In späteren Studien zeigte sich jedoch, dass diese Hoffnungen unbegründet waren, obwohl Hoffer und Osmond im Jahr 1962 in der Fachpresse über Erfolge berichtet hatten.
Linus Pauling: Der bekannte Wissenschaftler wurde 93 Jahre alt. Dass er an Prostatakrebs verstarb, war wohl eher seinem Alter geschuldet als der Hochdosis Vitamin C-Therapie, von der er sich Schutz auch vor Krebs erhoffte. / Foto: imago/United Archives International
Der US-Amerikaner Robert F. Cathcart (1932–2007) gilt unter Anhängern der Orthomolekularen Medizin als Pionier der neueren Vitamin-C-Hochdosis-Therapie. Er definierte die individuelle Darmverträglichkeitsgrenze, das ist die Menge Vitamin C, die der Darm gerade noch verträgt, ohne mit Durchfall zu reagieren. Diese sei bei Patienten mit schweren Erkrankungen deutlich höher als bei Gesunden – für Cathcart ein Zeichen für ihren erhöhten Vitamin-C-Bedarf. Krebs- oder AIDS-Patienten benötigten demnach Dosen von bis zu 200 Gramm pro Tag. Cathcart teilte die Erkrankungen in Schweregrade nach dem Vitamin-C-Bedarf ein, so gehört eine Influenza zur 100-150-Gramm-Gruppe, Ebola zur 300-500-Gramm-Gruppe der Viruserkrankungen. Zum Vergleich: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine Tagesdosis von 100 Milligramm Vitamin C.
Seriöse Vertreter der Orthomolekularen Medizin verstehen diese als Ergänzung der Schulmedizin, nicht als Alternative oder gar Allheilmittel. Ein Fokus liegt auf der Information und Beratung in Ernährungsfragen, um die Selbstverantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit zu fördern und damit chronischen Krankheiten vorzubeugen. Der bedarfsgerechte Einsatz von Mikronährstoffen kann die Lebensqualität vieler Patienten verbessern und ihre medikamentöse Therapie optimieren.
An einigen onkologischen Kliniken ergänzen beispielsweise Ärzte die schulmedizinische Therapie mit der Gabe von Mikronährstoffen wie Vitamin C, Vitamin D, Selen und L-Carnitin. Sie berichten, dass sich ihre Patienten besser fühlen und weniger Nebenwirkungen verspüren. Studien an der Universität zu Köln im Jahr 2011 und an der Universität Tübingen im Jahr 2014 konnten diese Ergebnisse für Vitamin C bestätigen. Die Deutsche Gesellschaft für Onkologie empfiehlt die Vitamin-C-Hochdosis-Infusionstherapie in ihren Leitlinien für eine adjuvante Krebstherapie.
Weitere Beispiele für eine auch in der Schulmedizin anerkannte Substitution von Mikronährstoffen sind die Gabe von Vitamin D und Calcium bei Osteoporose oder die Anwendung von Jod bei der Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen, die Therapie der perniziösen Anämie mit Vitamin B12 oder der Xerophthalmie mit Vitamin A. Auch der Schleimlöser N-Acetylcystein ist, genauer betrachtet, ein Mikronährstoff. Der synthetische Abkömmling der Aminosäure Cystein hat eine gut belegte Wirkung bei Paracetamol-Intoxikationen. Der in der Leber gebildete Metabolit L-Cystein dient der Synthese von Glutathion, das das toxische Abbauprodukt von Paracetamol, N-Acetyl-p-benzochinonimin, neutralisiert.
Strömungen in der Orthomolekularen Medizin, die Wirksamkeitsnachweise vermissen lassen, sind die Orthomolekulare Psychiatrie und die Zellularmedizin. Erstere begründet sich auf den Arbeiten von Hoffer und Osmond. Der US-amerikanische Psychiater und Esoteriker David Ramon Hawkins (1927–2012) ist der bekannteste Vertreter dieser Pseudo-Medizin in der jüngeren Geschichte. Ein gekaufter Doktortitel und Ehrungen, die gegen eine entsprechende Gebühr für jedermann erhältlich sind, belegen seine »Qualifikationen«.
In Deutschland erregte in den Jahren um die Jahrtausendwende die Zellularmedizin des 1955 in Stuttgart geborenen Wunderheilers Matthias Rath Aufsehen. Rath sah sich als geistiger Erbe von Linus Pauling und leitete diesen Anspruch aus der Tatsache ab, dass er von 1992 bis 1994 an dessen Institut in den USA tätig war. Dort entwickelte er seine eigenen Vitaminprodukte, die jedoch in keiner Weise durch Paulings Arbeiten gestützt wurden. Nach einem Rechtsstreit untersagten es ihm Paulings Nachkommen, seine hochdosierten Vitaminpräparate unter dem Namen Linus Pauling zu vermarkten. In der Folge vertrieb Rath seine Produkte von Holland aus in Europa, begleitet von einer riesigen Marketingkampagne und Verschwörungstheorien. Die deutschen Behörden erkannten den Produkten aufgrund ihrer hohen Dosen der enthaltenen Vitamine den Status der Nahrungsergänzung ab und bestanden auf einer Zulassung als Arzneimittel. Die dafür erforderlichen Wirksamkeitsnachweise konnte Rath nicht erbringen. In Südafrika kam Rath mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt, als er AIDS-Kranken von einer antiretroviralen Therapie abriet und stattdessen seine eigenen Vitamine anpries. In Deutschland berichteten die Medien ausführlich über den krebskranken Jungen Dominik, den Rath angeblich mit seiner Zellularmedizin geheilt hatte. Im Vertrauen auf den Wunderheiler brachen die Eltern die Chemotherapie ab, das Kind verstarb nach wenigen Monaten. Nach vielen Gerichtsprozessen und dem Versuch, eine eigene Partei zu gründen, ist es ruhig um Matthias Rath geworden, die Dr. Rath Health Foundation als Informationsplattform und der Internet-Shop des Dr. Rath Health Programs B. V. sind jedoch nach wie vor aktiv.