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Krank durch Pestizide

Morbus Parkinson als Berufskrankheit

Im März hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) empfohlen, Morbus Parkinson als Berufskrankheit anzuerkennen – und zwar bei Menschen, die bei der Arbeit in hohem Ausmaß Pestiziden ausgesetzt sind. Denn einige Pestizide wirken auf die dopaminhaltigen Zellen im Hirnstamm, deren Degeneration Parkinson verursacht.
Barbara Erbe
26.07.2024  08:00 Uhr

Laut der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) haben rund 400.000 Menschen in Deutschland eine Parkinson-Erkrankung. Nach der Alzheimer-Demenz ist Morbus Parkinson demnach hierzulande die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Dass die Zahl der Betroffenen weiter zunehmen wird, gilt als wissenschaftlich gesichert, unter anderem aufgrund der steigenden Lebenserwartung.

Nun hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine wissenschaftliche Empfehlung für eine neue Berufskrankheit »Parkinson-Syndrom durch Pestizide« beschlossen. Dieser Empfehlung sei ein langjähriger, intensiver Beratungsprozess vorausgegangen, in dessen Verlauf der ÄSVB eine große Anzahl internationaler wissenschaftlicher Studien ausgewertet hat, heißt es in einer Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Aller Voraussicht nach wird das Ministerium in der zweiten Hälfte dieses Jahres das »Parkinson-Syndrom durch Pestizide« in die Liste für Berufskrankheiten aufnehmen.

Pestizide toxisch für Nervenzellen

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die DPG begrüßten diesen Schritt, betont Professor Dr. Daniela Berg, Vizepräsidentin der DGN und Mitglied der DPG. »Die Studien, die der ÄSVB zitiert, dokumentieren, dass Herbizide, Insektizide und Fungizide direkt toxisch auf Nervenzellen wirken – insbesondere auf dopaminerge Neurone, also auf die Nervenzellen, die bei der Parkinson-Erkrankung zugrunde gehen«, erläutert sie gegenüber PTA-Forum. Darüber hinaus veränderten Pestizide Stoffwechselvorgänge und könnten so Mechanismen auslösen, die ebenfalls zur Krankheitsentstehung beitragen.

Auch ist wissenschaftlich belegt, dass die Arbeit der Mitochondrien und damit der Energiequellen der Zellen durch einige Pestizide gestört wird. Darüber hinaus führen sie über die Bildung freier Radikale zu zusätzlichem oxidativen Stress in den Zellen.

Berg nennt noch eine weitere, sekundäre Auswirkung, die Pestizide im Hinblick auf ein Parkinson-Syndrom haben können: »Sie können das Mikrobiom im Darm aus dem Gleichgewicht bringen, was eine Durchlässigkeit der Darmwand für schädliche Stoffe, Entzündungsprozesse im Darm und im ganzen Körper sowie Stoffwechselveränderungen nach sich ziehen kann. Diese Prozesse können dann zur Entstehung der Parkinson-Krankheit beitragen.«

Pestizid-Exposition ansprechen

Parkinson-Patienten, die beruflich regelmäßig Pestiziden ausgesetzt sind, sollten deshalb ihre behandelnden Ärzte davon unterrichten, sodass gegebenenfalls eine Anzeige bei der Berufsgenossenschaft erfolgen kann. Das ist ganz im Sinne der Patienten: Wird eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt, müssen Betroffene für Leistungen und Aufwendungen, die deswegen entstehen, nicht zahlen, weil die gesetzliche Versicherung für Behandlungskosten und Geldleistungen aufkommt.

Auch wenn nur der Verdacht einer Berufskrankheit besteht, können Versicherungsträger und Arbeitgeber für vorbeugende medizinische oder präventive Maßnahmen aufkommen, die über den regulären Arbeitsschutz hinausgehen. »Es ist auf jeden Fall sinnvoll, wenn PTA Parkinson-Betroffene im Gespräch nach Pestizid-Exposition fragen«, betont Berg. »Pestizide sind ein ganz klarer Risikofaktor für Parkinson, das ist schon lange belegt.«

Kriterien für die Anerkennung

Damit ein gesichertes Parkinson-Syndrom als Berufskrankheit anerkannt wird, müssen Betroffene belegen, dass sie an mindestens 100 Tagen Pestizide einer Funktionsgruppe, das heißt Herbizide, Fungizide oder Insektizide, ausgebracht haben oder auf andere Art mit Pestiziden in Kontakt waren – das heißt, dass sie Pestizide entweder eingeatmet oder über die Haut aufgenommen haben. Wie lange die konkrete Tätigkeit gedauert hat, ist dabei unerheblich. Was zählt, ist, dass der Kontakt überhaupt stattgefunden hat.

Bei extrem hohen Belastungen, zum Beispiel im Rahmen von Störfällen, kann eine Parkinson-Krankheit auch durch weniger als 100 Anwendungstage einer Funktionsgruppe verursacht werden. Arbeiten, die mit einer entsprechenden Exposition einhergehen, werden meistens mit Bezug zur Landwirtschaft oder auch zum Gartenbau ausgeübt – sei es durch Beschäftigte, die auf die Anwendung von Pestiziden spezialisiert sind, sei es durch anderes (landwirtschaftliches) Personal oder die Landwirte selbst.

Vieles noch unbekannt

Die kritische Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen der Studien, die der Empfehlung zugrunde liegen – tierexperimentellen, In-vitro- und Beobachtungsstudien in der Bevölkerung sowie Metaanalysen – erlaubt laut Berg eine differenzierte Sicht auf das komplexe Thema. Hervorzuheben sei die dezidierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Substanzen und Substanzgruppen von Herbiziden, Fungiziden oder Insektiziden, die unter dem Sammelbegriff »Pestizide« als Pflanzenschutzmittel Verwendung finden.

»Die bisherigen Erkenntnisse dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles noch unbekannt ist.« Denn bei der Verursachung der Parkinson-Krankheit spielten Umweltfaktoren wie eben die Pestizidexposition zwar eine wichtige Rolle. Aber es gebe natürlich noch andere Ursachen, allen voran genetische Veränderungen und Lebensstilfaktoren.

So sind Menschen mitunter genetisch enorm unterschiedlich ausgestattet, was ihr Immunsystem und Entgiftungsvorgänge in ihrem Körper anbelangt. »Entsprechend sind sie in Bezug auf Schadstoffe und somit auch Parkinson mehr oder weniger vulnerabel«, erläutert die Neurologin. Dasselbe gelte für Lebensstilfaktoren wie Ernährung oder Bewegung.

Einheitliche Maßstäbe geschaffen

Was der ÄSVB jetzt empfehle, gebe erstmals eine einheitliche und wissenschaftlich fundierte Grundlage zur Prüfung des Vorliegens einer Berufskrankheit im Fall von Parkinson, so Berg. Zum einen könne Betroffenen und ihren Familien so medizinisch und finanziell besser geholfen werden. Zum anderen werde noch einmal unmissverständlich klar, wie wichtig Schutzkleidung für Personen ist, die mit Pestiziden arbeiteten. Zum Schutzarsenal der Arbeitsmedizin zählen Ganzkörper-Schutzanzüge, Schutzhandschuhe und festes Schuhwerk ebenso wie die Verwendung von schützenden Kabinenfahrzeugen und Atemmasken.

»Der Zusammenhang zwischen individueller hoher Belastung durch die in der wissenschaftlichen Empfehlung behandelten Pestizide und der Entstehung von Parkinson legt nahe, sich beim Einsatz dieser Pestizide ihrer Gefahren viel stärker bewusst zu werden, ihren Einsatz auch unter dem Aspekt des Schutzes vor neurodegenerativen Erkrankungen auf das Notwendigste zu beschränken und verstärkt nach für Mensch und Natur unschädlichen Ersatzstoffen zu suchen«, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von DGN und DPG.

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