Multiple Sklerose – »Krankheit mit 1000 Gesichtern« |
Heilen lässt sich eine Multiple Sklerose zwar nicht, aber mit modernen Arzneistoffen lässt sich ein Fortschreiten der MS-Symptome deutlich verzögern. Nur in weniger als 5 Prozent der Fälle führt die Krankheit innerhalb weniger Jahre zu schwerer Behinderung. / Foto: Adobe StockAungMyo
Die Erkrankung, deren Pathogenese trotz zahlreicher Hypothesen und Theorien bislang nicht vollständig geklärt ist, wird in der Regel zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert; mit geringerer Häufigkeit tritt sie aber auch schon im Kindes- und Jugendalter auf. Erstdiagnosen nach dem 60. Lebensjahr sind selten. Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer.
Weltweit leiden an der autoimmunen, chronisch entzündlichen Entmarkungserkrankung etwa 2,5 Millionen Menschen. In Deutschland leben nach Zahlen des Bundesversicherungsamtes mehr als 240.000 Betroffene. Jährlich wird bei mehr als 10.000 Menschen MS neu diagnostiziert.
Ob im Rückenmark oder im Gehirn: Bei der MS als Autoimmunerkrankung setzen falsch programmierte Immunzellen Entzündungen an den Axonen, also den Nervenzellfortsätzen, und zerstören die sie umgebenden Myelinscheiden. Diese ummanteln die Nervenbahnen wie eine Isolierschicht ein elektrisches Kabel und sorgen dafür, dass elektrische Impulse schnell und reibungslos weitergeleitet werden. Sind diese aber nun zerstört, werden die Impulse langsamer und auch fehlerhaft übertragen. Es kommt zu Narben, die letztlich zu sklerosierten, also verhärteten Geweberegionen führen. Die Funktion der Nervenbahnen ist dauerhaft gestört.
Myelinscheiden umgeben die Nervenbahnen und sorgen für eine reibungslose Weiterleitung von elektrischen Nervenimpulsen. Bei MS-Patienten zerstören Entzündungsprozesse die Isolierschicht, elektrische Signale werden nur noch eingeschränkt weitergeleitet. / Foto: Shutterstock/Andrii Vodolazhskyi
Beim Betroffenen äußert sich das als Krankheitsschub. Abhängig von der betroffenen Körperregion und den sie versorgenden Nervenbahnen können die unterschiedlichsten Symptome auftreten: spastische Lähmungen, Taubheitsgefühle, Unsicherheit beim Gehen und Greifen, Seh-, Sprach-, Schluck-, Blasen- und Darmstörungen, Erschöpfungszustände sowie Einschränkungen der Aufmerksamkeit, der Gedächtnisleistung und der Konzentration. Je stärker die Leitungsgeschwindigkeit der Nervenfasern beeinträchtigt ist, desto größer ist das Ausmaß der Beschwerden.
»Es ist besonders die Fatigue, die das Leben vieler MS-Patienten belastet«, informierte die»Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft – Bundesverband e.V. (DMSG), Hannover, in einer Pressemitteilung zu Beginn dieses Jahres. Aus früheren Untersuchungen sei bekannt, dass mehr als 50 Prozent der MS-Erkrankten über Müdigkeit und Erschöpfung als Hauptsymptom klagen. Aktuelle Untersuchungen zeigen nunmehr, dass die Fatigue mit der Krankheitsdauer zunimmt. Auch hier seien weibliche Patienten stärker als männliche MS-Erkrankte in Mitleidenschaft gezogen.
MS ist bislang ursächlich nicht heilbar. Doch gibt es große medizinische Fortschritte und moderne Behandlungsmöglichkeiten. So können zum einen die akuten Entzündungsreaktionen eines Schubes mittels Cortisol in Form einer Stoßtherapie oder bei bestimmten MS-Subtypen und schweren Symptomen durch Plasmapherese gehemmt werden. Durch die Blutwäsche möchte man diejenigen Immunzellen, die das Myelin schädigen, entfernen. Zum anderen kann das Fortschreiten der Erkrankung durch verlaufsmodifizierende Therapieoptionen aufgehalten und somit die beschwerdefreie Zeit verlängert werden.
Zu Krankheitsbeginn, so die DMSG, überwiegt mit 90 Prozent zumeist der schubförmig-remittierende, also wiederkehrende Verlaufstyp (RRMS), bei der die Entzündungsschübe in ihrer Symptomatik mindestens 24 Stunden anhalten und dann vollständig oder nahezu vollständig abklingen.
Bei der sekundär progredienten MS (SPMS) bleibt dagegen nach den Schüben eine höhere und ansteigende Restaktivität der Krankheit bestehen. Bei vielen Patienten geht die Erkrankung nach längerem Verlauf von der schubförmig remittierenden in eine sekundär progrediente, also chronisch fortschreitende MS über. Bei etwa 10 Prozent der Patienten wird von Beginn an ein primär-progredienter Verlauf (PPMS), das heißt, eine langsame Verschlechterung ohne klare Schübe beobachtet.
Akute MS-Schübe können durch vielerlei Faktoren ausgelöst werden, nicht zuletzt durch physischen und psychischen Stress oder durch hormonelle Schwankungen in der Pubertät beziehungsweise in den Wechseljahren. Dem Schub versucht man mit einer Cortisol-Stoßtherapie Einhalt zu gebieten, indem über drei bis fünf Tage hoch dosierte Infusionen, etwa 1000 mg Methylprednisolon, verabreicht werden.
Zur verlaufsmodifizierenden Behandlung der MS sind in Deutschland zurzeit bei milden, moderaten Erscheinungsformen Betainterferone (wie Avonex®, Rebif®, Betaferon®, Plegridy®), Dimethylfumarat (Tecfidera®), Glatirameracetat (Copaxone®, Clift®) oder Teriflunomid (Aubagio®) sowie bei hoch aktiven Krankheitsbildern Alemtuzumab (Lemtrada®), Cladribin (Mavenclad®), Fingolimod (Gilenya®), Natalizumab (Tysabri®), Orcrelizumab (Ocervus®) beziehungsweise als Mittel der zweiten Wahl Mitoxantron (Ralenova®) zugelassen.
Im Januar dieses Jahres hat die Europäische Kommission zudem die EU-Zulassung für Siponimod (Mayzent®) zur Behandlung erwachsener Patienten mit sekundär progredienter MS bei durch Schübe sowie Bildgebung nachgewiesenen entzündlichen Krankheitsaktivitäten erteilt.
Geben Leitlinien Ärzten für gewöhnlich eine Richtschnur, an der diese sich bei der Diagnose und Therapie von Erkrankungen generell orientieren können, so sind die Empfehlungen zur Multiplen Sklerose und ihrer Stufentherapie derzeit noch auf dem Stand von 2014. Die aktuelle Leitlinie befindet sich in Überarbeitung und wird dringlichst erwartet. Haben sich doch einige Neuerungen innerhalb der Therapie ergeben.
Seit fast zweieinhalb Jahrzehnten bilden die immunmodulierenden, parenteral anzuwendenden Beta-Interferone sowie Glatirameracetat, ein Peptidgemisch der Aminosäuren Glutaminsäure, Lysin, Tyrosin und Alanin, die Grundlage der Behandlung. Sie wirken modulierend auf die Autoimmunreaktion und verhindern so die Entzündungsschübe und Krankheitsprogression bei RRMS beziehungsweise SPMS. Das Problem: Etwa 30 Prozent der Patienten spricht nicht oder nicht ausreichend auf diese Therapeutika an. Dann sind die Arzneistoffe Teriflunomid und Dimethylfumarat erfolgversprechende Therapieoptionen. Ihr Pluspunkt: Sie sind oral anzuwenden.
Teriflunomid, bekannt als aktiver Metabolit von Leflunomid aus der Therapie der Rheumatoiden Arthritis, wirkt nicht nur immunmodulierend, sondern auch immunsuppressiv. Als Hemmstoff der Dihydroorotat-Dehydrogenase in den Mitochondrien greift Teriflunomid blockierend in die Nucleotid-Synthese ein und mindert auf diesem Weg die Lymphozyten-Proliferation. Dimethylfumarat wiederum aktiviert den sogenannten Transkriptionsfaktor Nrf2 und wirkt über diesen Signalweg zellprotektiv, antioxidativ und antiinflammatorisch. Das senkt die Schubrate und das Fortschreiten der Behinderung signifikant.
Ein lang erhoffter Fortschritt in der Therapie (hoch)aktiver Verlaufsformen und hier der RRMS war bereits 2011 zu verzeichnen gewesen. Als erstes oral wirksames Immunsuppressivum für diese Indikation mit ganz anderem Wirkprinzip wurde Fingolimod zugelassen. Der Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor (S1PR)-Antagonist verhindert den Austritt von Lymphozyten aus den lymphatischen Organen in Entzündungsgebiete im ZNS. Fingolimod reduziert nach Erstapplikation rasch und drastisch die Zahl zirkulierender Lymphozyten. In den Zulassungsstudien senkte der Wirkstoff die jährliche Schubrate signifikant um mehr als die Hälfte.
2013 kam mit Alemtuzumab ein Antikörper gegen das auf B- und T-Lymphozyten exprimierte Epitop CD52 zur Monotherapie der hoch aktiven RRMS auf den Markt. Epitope sind Molekülabschnitte eines Antigens, die eine spezifische Immunantwort auslösen können. Alemtuzumab verhindert die Schubanfälligkeit und die Behinderungsprogression.
Der gleichermaßen in diesen Jahren zur Therapie der RRMS zugelassene humanisierte monoklonale Antikörper und Integrin-Rezeptor-Antagonist Natalizumab blockiert monatlich verabreicht die Einwanderung von Lymphozyten aus dem Gefäßsystem über die Blut-Hirn-Schranke ins ZNS.
Im September 2017 schließlich wurde die Therapie der schweren Verlaufsformen der RRMS durch ein völlig neuartiges Wirkprinzip ergänzt, die orale Kurzzeittherapie mit Cladribin. Cladribin, ein Prodrug, wirkt nach intrazellulärer Phosphorylierung in Lymphozyten als Antimetabolit, der Einfluss auf deren DNA-Synthese nimmt beziehungsweise auf verschiedenen Wegen ihren Zelltod herbeiführt. Die Therapie besteht in zwei Folgejahren lediglich aus je einem zweiwöchigen Behandlungszyklus, Nach vier Wochen wird die Einnahme wiederholt. Das sichert bei mehr als 75 Prozent der Patienten über vier Jahre Schubfreiheit.
Der 2018 zugelassene Wirkstoff Ocrelizumab wiederum gilt als erstes Arzneimittel mit nachgewiesener Wirksamkeit nicht nur bei schubförmig verlaufenden, sondern auch bei primär progredienten MS-Erkrankungsformen. Der humanisierte CD20-Antikörper bereitet B-Lymphozyten zur sogenannten immunologischen Eliminierung vor. Mit Blick auf den Wirkmechanismus besteht eine Parallele zu Rituximab, das aber keine MS-Zulassung hat.
Im Februar dieses Jahres nun kam mit Siponimod erstmals eine orale Option für Patienten mit sekundär progredienter Multipler Sklerose (SPMS) als seltene MS-Form auf den Markt. Siponimod ist wie Fingolimod ein Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptor-Modulator, bindet aber selektiv an zwei der fünf G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, genauer an die Subtypen 1 und 5. Die Migration der Lymphozyten aus den Lymphknoten wird verhindert und somit letztlich die zerebrale Entzündung begrenzt.
In jedem Fall bedeutet die Pharmakotherapie einen sensiblen Eingriff in das Immunsystem. Trotz der Unterdrückung des Immunsystems muss ein ausreichender Immunstatus erhalten bleiben, um Lebensqualität und Aktivität der Patienten möglichst wenig einzuschränken. Dies sei auch mit dem aktuellen Wirkstoffspektrum nach Aussagen der Fachgesellschaften relativ gut gewährleistet. In jedem Fall ist eine intensive Betreuung der Patienten erforderlich. So ist in den meisten Fällen eine regelmäßige Kontrolle der Blut- oder Urinwerte Pflicht. Zum kostenlosen Download stehen auf der Homepage der DMSG (www.dmsg.de) Patientenhandbücher zur Information über die Therapiecharakteristika der einzelnen Wirkstoffe zur Verfügung.
Verlaufsform | milder/moderater Verlauf | hoch aktiver Verlauf |
---|---|---|
Schubtherapie (für alle Formen) | erste Wahl: Methylprednisolon-Stoßtherapie, zweite Wahl: Plasmapherese | erste Wahl: Methylprednisolon-Stoßtherapie, zweite Wahl: Plasmapherese |
Verlaufsmodifizierende Therapie bei RRMS (schubförmig remittierend) | Betainterferone (wie Avonex®, Rebif®, Betaferon®, Plegridy®), Glatirameracetat (Copaxone®, Clift®), Dimethylfumarat (Tecfidera®), Teriflunomid (Aubagio®) | Alemtuzumab (Lemtrada®), Cladribin (Mavenclad®), Fingolimod (Gilenya®), Natalizumab (Tysabri®), Orcrelizumab (Ocervus®) |
Verlaufsmodifizierende Therapie bei SPMS (sekundär progredient) | Betainterferone (bei aufgesetzten Schüben), Siponimod (Mayzent®) | Betainterferone (bei aufgesetzten Schüben), Siponimod (Mayzent®) |
Verlaufsmodifizierende Therapie bei PPMS (primär progredient) | Orcrelizumab (Ocervus®) | Orcrelizumab (Ocervus®) |
Die Möglichkeiten der MS-Therapie, vor allem ihrer hoch aktiven Verlaufsformen, sind heute erheblich besser als noch bis Mitte der 1990er-Jahre. Dennoch ist vieles bis jetzt nicht zufriedenstellend: Nicht einer der genannten Wirkstoffe kann alle Schübe verhindern. Und für bestimmte MS-Formen gibt es nach wie vor keine Therapie. Immerhin: Zahlreiche neue Arzneistoffe befinden sich in Phase III der klinischen Prüfung und lassen hoffen.
Begleitende Beschwerden wie anfallsartige paroxysmale Symptome wie Ameisenlaufen und andere Missempfindungen, Störungen in der Bewegungskoordination, Blasen-, Darm- oder Sehstörungen, Depressionen, Fatigue und Schmerzen müssen stets zusätzlich symptomatisch angegangen werden. Nicht zu unterschätzen ist dabei die Bedeutung von Reha, Psychotherapie und Bewegung. Ein gezieltes körperliches Training, das Ausdauer, Kraft, Koordination und Gleichgewicht schult, sei unabdingbar, so die DMSG.
Weil ein Mangel an Vitamin D nach wie vor als möglicher Risikofaktor für die Entstehung einer MS im Raume steht, halten auch Diskussionen über die Bedeutung der Supplementation von Vitamin D weiter an. Aus schulmedizinischer Sicht gilt, dass eine Vitamin-D-Substitution auch bei MS-Betroffenen nur im Falle eines nachgewiesen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegels angebracht und sinnvoll ist.
Für die angeblich positiven präventiven und therapeutischen täglichen oder wöchentlichen Gaben von Hochdosen fehle der seriöse Wirknachweis. Die damit verbundene »Heilsbotschaft« sei sogar gefährlich, schätzt die DMSG ein. Die Gabe von Vitamin D in Hoch- und Überdosierung könne zu gefährlichen Nebenwirkungen wie Hypercalcämie, Nierenschäden und vermehrten Sturzrisiken bei Senioren führen.
Zudem gibt es derzeit keine spezifische Ernährungsform, die bei MS empfohlen wird. Doch zeigen neuste Erkenntnisse, dass eine verstärkte Zufuhr von Omega-6-Fettsäuren - enthalten zum Beispiel in rotem Fleisch und tierischen Fetten – die Reaktionskette entzündungsfördernder Botenstoffe noch zusätzlich anfacht. Hingegen gelten mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie Alpha-Linolensäure und Eicosapentaensäure als Omega-3-Fettsäuren, die in pflanzlichen Ölen oder fettem Fisch enthalten sind, als entzündungshemmend.
Ob eine Ernährung, die reich an Omega-3-Fettsäuren ist, die Krankheitsaktivität von MS-Patienten positiv beeinflussen kann, ist nicht bewiesen. / Foto: Getty Images/IGphotography
Generell wird daher empfohlen, neben Gemüse, Obst und Vollkornprodukten häufiger Meeresfrüchte sowie pflanzliche Öle und dabei vor allem Raps-, Walnuss- und Hanföl auf den Speiseplan zu setzen. Besonders Leinöl gilt als »Omega-3-Kraftpaket«. Doch auch hier existieren widersprüchliche Studienaussagen. Nur einige, längst nicht alle Untersuchungen belegen einen positiven Einfluss von Omega-3-Fettsäuren auf die MS-Krankheitsaktivität.
Fest steht: Der Verlauf einer Multiplen Sklerose kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. So erklärt sich die Bezeichnung als Krankheit der 1000 Gesichter. Deshalb ist es nicht möglich, eine genaue Voraussage der individuellen Prognose zu treffen. Diese bleibt unberechenbar. Dennoch, so die DMSG, muss sich die MS nicht zwangsläufig in ihren schwersten Erscheinungsformen zeigen.
Im Gegenteil: Gerade zu Beginn der Erkrankung und bei frühzeitiger Therapie könne es zu einer weitgehenden Abheilung der entzündlichen Herde und damit zur Rückbildung der auftretenden Krankheitszeichen kommen. Nur in weniger als fünf Prozent der Fälle führe die Krankheit innerhalb weniger Jahre zu schwerer Behinderung.
»Verunsicherung - Ein besseres Wort, gibt es wohl nicht für das, was Menschen mit Multipler Sklerose nach der Diagnose oft empfinden«, teilt die DMSG mit. Sei anfangs absolut nicht abzusehen, welchen Verlauf die Erkrankung nimmt, so müssten MS-Erkrankte lernen, mit dieser Verunsicherung zu leben.
Als Quelle für Motivation und Selbstmanagement, für Anregungen und Ideen käme besonders dem Engagement in Selbsthilfegruppen eine bedeutende Rolle zu. Der DMSG-Bundesverband besteht aus 16 Landesverbänden sowie derzeit 850 örtlichen Kontaktgruppen mit einem umfangreichen Dienstleistungsangebot für ihre Mitglieder. Im Jahr beraten haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der DMSG bundesweit durchschnittlich mehr als 70.000 MS-Erkrankte und Angehörige. Bei regelmäßigen Aktivitäten könnten Erfahrungen oder Tipps zu allen Fragen und hier unter anderem auch zu Hilfsmitteln, (arbeits)rechtlichen Erkenntnissen, neuen Therapieoptionen oder auch zur Übernahme spezifischer Kosten ausgetauscht werden.
Besonders in Zeiten der Not wie jetzt in der Covid-19-Krise ist Kommunikation von besonderer Relevanz. Mehr denn je ist auch die Meinung von Experten gefragt. Auf der Homepage der DMSG geben Professor Dr. Ralf Gold und Professor Dr. Judith Haas vom Vorstand des Ärztlichen Beirates der DMSG Empfehlungen zum Thema »MS und Corona«.
MS-Patienten, die mit Interferon beta behandelt werden, sind nach Einschätzung der MS-Fachgesellschaft grundsätzlich nicht stärker gefährdet, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, als gleichartige gesunde Personen. / Foto: Getty Images/Alan Majchrowicz
Sie betonen, dass MS-Erkrankte, die keine immunmodulierende Therapie erhalten oder mit Interferon beta beziehungsweise Glatirameracetat behandelt werden, grundsätzlich nicht mehr gefährdet sind als gleichartige gesunde Personen. Besteht eine stärkere Behinderung (Rollstuhl, Bettlägerigkeit) ist das Risiko für Atemwegsinfektionen generell erhöht, da die Lunge weniger gut belüftet ist. »Das heißt nicht, dass das Infektionsrisiko höher ist als bei Gesunden, aber das Risiko, bei einem Kontakt mit dem Corona-Virus schwer zu erkranken, ist größer«, sagen die Neurologen.
Eine Cortisol-Stoßtherapie könne das Infektionsrisiko kurzfristig steigern. Daher müsse der behandelnde Arzt bei leichten Schüben eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen. Mit regelmäßigen, in Intervallen verabreichten Cortisol-Therapien sollte nach Einschätzung von Gold und Haas zunächst pausiert werden.
Ist eine Schubtherapie unumgänglich, so müsse anschließend ein erhöhter Schutz vor einer möglichen Covid-19-Infektion gewährleistet sein. Hilfreich und sinnvoll könne es sein, bei Berufstätigkeit gegebenenfalls eine begrenzte Arbeitsunfähigkeit in Anspruch zu nehmen.
Gold und Haas heben des Weiteren hervor, dass Dimethylfumarat bei normalen Lymphozytenzahlen nach derzeitigem Erkenntnisstand das Infektionsrisiko nicht steigert. Auch bei Teriflunomid sei bei den in der MS-Therapie eingesetzten Dosierungen ein verschärftes Infektionsrisiko nicht anzunehmen. Auch die Behandlung mit Natalizumab könne nach bisherigen Einschätzungen uneingeschränkt fortgeführt werden. Ein gesteigertes Risiko für Atemwegsinfektionen sei nicht gegeben.
Zwar existiere dieses Risiko bei der Therapie mit Fingolimod und Siponimod. Diese sollte dennoch fortgeführt werden, da bei Absetzen die Gefahr der Krankheitsaktivierung besteht. Gold und Haas betonen, dass therapeutische Neueinstellungen jedoch zum jetzigen Zeitpunkt sorgfältig zu überlegen sind.
Die Neurologen unterstreichen des Weiteren, dass bei T- und B-Zellen vermindernden und somit die körperliche Abwehr schwächenden Immuntherapien zum Beispiel mit Ocrelizumab, Rituximab (off label), Cladribin, Alemtuzumab oder Mitoxantron das Infektionsrisiko unmittelbar nach der Infusionsbehandlung zunehmen kann. Ohne die Gefahr der MS-Aktivierung könne besonders bei der Intervalltherapie mit Ocrelizumab und Rituximab gegebenenfalls eine Verlängerung der Intervalle erwogen werden.
Geht die Gabe von Cladribin unter anderem mit einer Senkung der Zahl der Leukozyten, also der für die Infektabwehr bedeutsamen weißen Blutkörperchen einher, so sei dieser Effekt unmittelbar nach der Applikation am stärksten. Auch hier sei eine individuelle Einschätzung der aktuellen Gefährdung unumgänglich. Steht der zweite Therapiezyklus an, sollte erwogen werden, diesen hinauszuschieben.
Bei der Immuntherapie mit Alemtuzumab könne die ebenfalls jährliche Gabe gleichermaßen zu einer lang anhaltenden Leukozyten-Modifikation mit einem erhöhten Infektionsrisiko führen. Auch hier sei derzeit die Notwendigkeit der Therapie-Wiederholung sorgfältig zu prüfen. Gold und Haas warnen, dass unter Berücksichtigung der Zulassungsänderung und des Rote-Hand-Briefes des Herstellers zu Alemtuzumab in der MS-Therapie vom Januar dieses Jahres Neueinstellungen zum jetzigen Zeitpunkt nur bei hoch aktiven Formen und dem Fehlen anderer therapeutischer Möglichkeiten angezeigt sind.
Am 30. Mai 2020 findet nun schon zum zwölften Mal in Folge der Welt-MS-Tag statt. Im Fokus der bundesweiten Aktionen steht dieses Jahr die Botschaft: Gemeinsam sind wir stärker als Multiple Sklerose!
Der jährlich stattfindende Welt-MS-Tag ruft weltweit zu Solidarität mit den MS-Betroffenen auf, will Aufmerksamkeit und Verständnis für deren Belange wecken sowie über die Erkrankung und ihre Auswirkungen auf alle Lebensbereiche aufklären. Eine Erkrankung mit MS bedeutet für viele Betroffene zunächst einmal einen tiefen Einschnitt in ihre Lebensplanung. Der diesjährige Aktionstag unter dem Motto „Miteinander Stark" soll Wege aufzeigen, wie Betroffene auch mit MS ein erfülltes Leben führen können. Hierfür stellt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) positive Beispiele vor, die MS-Erkrankten helfen, ihre Chancen zu ergreifen und über Vorurteile aufzuklären.
Apotheken, die sich an dem Aktionstag beteiligen wollen, finden weitere Informationen unter www.dmsg.de/weltmstag.de.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.