Nährstoffe über die Vene |
Nährstofflösungen für die parenterale Ernährung werden meist patientenindividuell angefertigt. Ein solches Herstellungsverfahren heißt Compounding. / Foto: Picture Alliance
Das Hauptziel der künstlichen Ernährung ist die Prävention oder Behandlung einer krankheitsspezifischen Mangelernährung. Ein weiteres Ziel kann sein, einen pathologisch veränderten Stoffwechsel und spezielle Organ- oder Gewebefunktionen positiv zu beeinflussen.
Patienten mit einer Mangelernährung – beispielsweise aufgrund von Fieber, Infektionen oder konsumierenden Krankheiten – sollten möglichst frühzeitig erkannt werden. Denn klinische Folgen einer Mangelernährung können ein erhöhtes Infektionsrisiko, eine verzögerte Wundheilung und ein dadurch erhöhtes Dekubitusrisiko, Proteinverluste mit Abbau der Muskelmasse und Ödembildung sowie ein erhöhtes Mortalitätsrisiko sein.
Der Energiebedarf eines Patienten ist abhängig von seinem Ruheenergieumsatz, auch Grundumsatz genannt (Resting Energy Expenditure, REE), von Aktivitätsfaktoren, dem Ernährungszustand und der Art der Erkrankung.
Proteine können nicht gespeichert werden; daher muss ein Verlust oder Mangel schnellstens ausgeglichen werden. Bei stabiler Stoffwechsellage benötigt ein gesunder Erwachsener unter 65 Jahren mindestens 0,8 g/kg Körpergewicht. Über 65-Jährige haben einen etwas höheren Bedarf von 1 g/kg KG oder mehr.
Der Flüssigkeitsbedarf richtet sich ebenfalls nach dem Alter und krankheitsbezogenen Kriterien. Er sollte das durch Stoffwechselprozesse gebildete Oxidationswasser und den Wassergehalt der festen Nahrungsbestandteile oder der parenteral zugeführten Nährlösungen berücksichtigen. Bei der Ernährung mit Infusionen muss auch die Flüssigkeitszufuhr im Rahmen der parenteralen Arzneimitteltherapie (zum Beispiel Antibiotika) einkalkuliert werden. Richtwerte für den Flüssigkeitsbedarf sind: 35 ml/kg KG/Tag bei Gesunden von 19 bis 50 Jahren und 30 ml/kg KG/Tag bei Gesunden über 50 Jahre.
Bei der Auswahl einer künstlichen Ernährung sind klinische Aspekte, die krankheitsbedingte Situation, die Verträglichkeit, die voraussichtliche Dauer der Ernährungstherapie und mögliche Komplikationen zu berücksichtigen. Komplikationen betreffen vor allem Funktionsstörungen des Gastrointestinaltrakts und Verwertungsstörungen der zugeführten Substrate. Auf Stoffwechselentgleisungen ist besonders bei Diabetikern zu achten.
Zu den wichtigsten Substraten der parenteralen Ernährung gehören die Kohlenhydrate als Energielieferanten (circa 4 kcal/g). Im Rahmen einer parenteralen Ernährung werden 50 Prozent oder mehr des Energiebedarfs über Kohlenhydrate gedeckt. Heute kommen fast ausschließlich Glucoselösungen in Konzentrationen von 5 bis 50 Prozent zum Einsatz. Glucose kann von allen Organen verstoffwechselt werden, allerdings besteht eine Kapazitätsgrenze für die Verwertung. Ab einer Zufuhr von mehr als 3 bis 4 mg/kg Körpergewicht/Minute können nur noch rund 50 Prozent der zugeführten Glucose durch Oxidation verwertet werden.
Aminosäuren sind für die Synthese von körpereigenen Proteinen unverzichtbar. Sie sind mit rund 4 kcal/g auch Energieträger. Das funktionelle Minimum der Proteinzufuhr liegt bei 0,8 bis 1,0 g/kg Körpergewicht, kann jedoch bei verschiedenen Erkrankungen erhöht oder erniedrigt sein. Dabei ist auf ein ausgewogenes Verhältnis von essenziellen und nicht-essenziellen Aminosäuren zu achten. Die Proteinsynthese ist ein energieverbrauchender Prozess; daher muss auf eine gleichzeitige ausreichende Zufuhr von Energie aus Kohlenhydraten und Fetten geachtet werden.
Lipidformulierungen zur parenteralen Ernährung sind O/W-Emulsionen mit einer Tröpfchengröße von 0,3 bis 0,4 µm. Dies entspricht in etwa der Größe von Chylomikronen (körpereigene Lipoproteinpartikel) im Blut. Es handelt sich vorwiegend um Mischemulsionen von langkettigen Triglyceriden (LCT) aus Soja- und Olivenöl mit mittelkettigen Triglyceriden (MCT), die zusätzlich auch mit Omega-3-Fettsäuren kombiniert sein können. Neuere Lipidformulierungen basieren auf Olivenöl-Mischungen in Kombination mit MCT und Fischöl.
Heute wird die Verwendung von LCT/MCT-haltigen Lösungen bevorzugt. Der MCT-Anteil wird rascher als die LCT gespalten und vollständiger oxidiert als LCT. Langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind jedoch essenziell für den Aufbau von Membranen und Ausgangsstoffe der Biosynthese etwa von Prostaglandinen, Thromboxanen und Leukotrienen. Diese regulieren zahlreiche Zellfunktionen wie Thrombozytenaggregation, Entzündungsreaktionen und Immunfunktionen.
Lipidformulierungen enthalten auch Phospholipide (Lecithine), die hier als Emulgatoren dienen. Phospholipide sind jedoch auch Bestandteil von Zellmembranen und daher ein wichtiger Bau-stein der Ernährungstherapie. Lipidemulsionen zeichnen sich durch eine hohe Energiedichte aus (9,3 kcal/g) bei gleichzeitig niedriger Osmolarität und nahezu neutralem pH-Wert. Sie können sowohl peripher- als auch zentralvenös verabreicht werden.
Mikronährstoffe wie Vitamine und Spurenelemente sind für den Organismus unverzichtbar, denn sie sind Bestandteile von Enzymen und anderen Funktionsproteinen. Bei einer kompletten parenteralen Ernährung sollten prinzipiell alle fett- und wasserlöslichen Vitamine parenteral zugeführt werden. Die Gabe von Elektrolyten erfolgt bei der künstlichen Ernährung unter strenger Kontrolle der Serumelektrolyte Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium und Phosphat. In vielen Ernährungs- und reinen Aminosäurelösungen sind bereits Elektrolyte enthalten. Bei einer Störung des Elektrolythaushaltes beispielsweise durch eine Niereninsuffizienz, Erbrechen oder Diarrhö muss die Zufuhr der Elektrolyte angepasst werden.
Die Verabreichung der Substrate kann über ein Mehrflaschensystem jeweils einzeln erfolgen. Dabei werden Aminosäure- und Glucoselösung sowie Fettemulsion parallel aus separaten Flaschen oder Kunststoffbeuteln infundiert. Heute wird die parenterale Ernährung allerdings meist in Form von Gesamtnährlösungen durchgeführt (All-in-One-Mischungen), die alle Komponenten in einem einzigen Behältnis enthalten. Sie werden unter aseptischen Bedingungen oft patientenindividuell angefertigt. Dieses Herstellungsverfahren wird als Compounding bezeichnet.
Daneben sind standardisierte industriell gefertigte Mehrkammerbeutel mit unterschiedlichen Substratkonzentrationen, Osmolaritäten und Volumina verfügbar. Drei-Kammer-Beutel enthalten Fette, Kohlenhydrate und Aminosäuren, bei Zwei-Kammer-Beuteln fehlt die Fettkomponente. Die Kammern sind über Schweißnähte voneinander getrennt, die unmittelbar vor der Anwendung durch leichten Druck geöffnet werden. Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente müssen bei den Mehrkammerbeuteln supplementiert werden.
Die Ernährungstherapie muss für jeden Patienten individuell festgelegt werden. Dabei sind unter anderem die Dauer der Ernährungsintervention und der Wille des Patienten, Zugangsmöglichkeiten (peripher, zentral, notfalls subkutan), die Stoffwechselsituation, Gesundheits- und Ernährungszustand des Patienten und die Prognose der Erkrankung zu berücksichtigen.
Sondennahrung wird heute häufig pumpengesteuert appliziert. Über die Pumpe kann die Fördermenge genau bestimmt werden, und bei Luftblasen oder anderen Problemen ertönt ein Alarm. / Foto: picture alliance
Venenverweilkanülen (wie Braunülen) sind kleinere Kanülen zur Punktion peripherer Körpervenen. Sie können in der Regel über mehrere Tage am Punktionsort verbleiben. Am häufigsten werden diese Kanülen auf dem Handrücken, am Unterarm oder in der Armbeuge platziert. Sie eignen sich für eine höchstens zehn Tage andauernde Ernährungstherapie und für Ernährungslösungen mit einer Osmolarität von unter 800 mosmol/l. Höhere Osmolaritäten führen zu Venenwandreizungen. Kohlenhydratlösungen mit 10 Prozent und mehr sind beispielsweise für diesen Applikationsweg nicht geeignet. Periphervenöse Venenverweilkanülen gibt es in ver-schiedenen Größen. Die Größe wird in Gauge angegeben, wobei Kanülen mit kleineren Gauche-Werten eine höhere Durchflussrate gestatten. Die Größe der Kanülen ist farbcodiert.
Zentrale Venenkatheter werden operativ in eine größere zentrale Körpervene eingeführt. Sie dienen der Zufuhr von höherosmolaren Parenteralia und der Messung des zentralen Venendruckes. Zentrale Venenkatheter können in verschiedene Körpervenen eingebracht werden, am häufigsten wird die Halsader- oder die Schlüsselbeinvene punktiert. Die Spitze des Katheters wird in eine Hohlvene vor dem rechten Vorhof des Herzens, meist in die obere Hohlvene (Vena cava superior), vorgeschoben.
Die Katheter können ein- oder mehrlumig sein. Der Vorteil der Multilumenkatheter liegt in der Möglichkeit der simultanen, aber räumlich getrennt mündenden Applikation verschiedener Parenteralia. Indikationen für die Anlage eines zentralvenösen Zugangs sind unter anderem die Infusion größerer Volumina, die Gabe venenwandreizender Nährlösungen und Arzneimittel oder ein Monitoring des zentralvenösen Druckes. Absolute Kontraindikation bestehen nicht, doch bei Patienten mit Gerinnungsstörungen ist Vorsicht geboten.
Eine komplette parenterale Ernährung länger als eine Woche erfordert immer einen zentralvenösen Zugang. Die wichtigste Komplikation der parenteralen Langzeiternährung ist eine Katheterinfektion, die im schlimmsten Fall zu einer lebensbedrohlichen Kathetersepsis führen kann. Erforderliche Manipulationen am Katheter müssen daher unter strengsten aseptischen Bedingungen erfolgen.
Für eine parenterale Ernährung länger als drei Wochen sind andere Systeme, vorzugsweise ein Portsystem, besser geeignet. Ein Portsystem ist ein zentralvenöser Zugang, der subkutan meist im Bereich der Thoraxwand implantiert und fixiert wird. Das System besteht aus einer Reservoirkammer und einem angeschlossenen intravasalen Katheter, der wie beim ZVK in einer Hohlvene vor dem rechten Vorhof des Herzens positioniert wird. Die Kammer ist nach oben mit einer Membran (Septum) abgeschlossen, die bei Bedarf mit einer speziellen Kanüle durch die Haut angestochen werden kann. Die Verweildauer kann bei routinemäßiger Pflege durch regelmäßige Spülungen mit isotonischer Kochsalzlösung bis zu fünf Jahre betragen. Portsysteme weisen ein geringeres Infektionsrisiko als ZVK auf, sie sind von außen nicht sichtbar und erlauben auch Sportarten wie Schwimmen.
Die Schwerkraftinfusion ist die am häufigsten angewendete Infusionsmethode. Hierzu werden Infusionsbestecke mit einem Regler (Rollenklemme) und einer Tropfenkammer eingesetzt. Infusionsbestecke enthalten standardmäßig einen 15-µm-Partikelfilter. Infusionsbestecke für eine Schwerkraftinfusion tragen als Kennzeichnung den Buchstaben »G« (Gravity). Die Infusionsgeschwindigkeit wird mithilfe des Reglers über die Tropfenzahl pro Minute gesteuert. Die Höhendifferenz zwischen Infusionslösung und Patient muss konstant gehalten werden, da jede Änderung die Tropfenzahl und damit die Einlaufzeit der Infusion beeinflusst. Eine genaue Infusionsgeschwindigkeit ist jedoch durch diese Methode nicht zu gewährleisten. Daher werden Infusionen inzwischen immer häufiger pumpengesteuert appliziert. Der Vorteil liegt etwa in einer genaueren Fördermenge und dem Erkennen von Luftblasen durch einen eingebauten Sensor. Für eine pumpengesteuerte Infusion dürfen nur Bestecke mit der Kennzeichnung »P« verwendet werden.
Eine Ernährungstherapie mit intravenös verabreichten Infusionen erfolgt meist kontinuierlich über 18 bis 24 Stunden, entweder als Schwerkraftinfusion oder pumpengesteuert. So wird unter anderem einem Kanülenverschluss und einer zu konzentrierten Substratzufuhr vorgebeugt. Der pH-Wert der Ernährungslösungen sollte zwischen 5,5 und 7 liegen. Für gelöste Arzneimittel, de-ren pH-Wert oft erheblich abweicht, wird daher grundsätzlich, um Inkompatibilitäten zu vermei-den, eine separate Gabe empfohlen, beispielsweise über einen mehrlumigen Katheter.
Außerdem sollte eine Zufuhr von Elektrolytlösungen zeitgleich mit Fettlösungen bei der parenteralen Ernährung unterbleiben, weil es sonst durch die Veränderung des Oberflächenpotenzi-als der emulgierten Fetttröpfchen zu einer Destabilisierung der Emulsion kommt. Das ist visuell zunächst nicht sichtbar, kann aber zum Brechen der Emulsion und einer Separation der Fettphase (Aufrahmen) führen.