Nährstofflücken schließen |
Der Winter ist die Zeit der Atemwegsinfekte. Viele Apothekenkunden fragen daher jetzt gezielt nach Präparaten, die die körpereigene Abwehr stärken. / Foto: Getty Images/georgeclerk
Gerade jetzt in Herbst und Winter fragen viele Kunden nach Präparaten, die die körpereigene Abwehr unterstützen sollen. Einige wollen mit geballter Pflanzenkraft den Erkältungsviren ein Schnippchen schlagen, andere setzen auf Mikro- und Makronährstoffe, wieder andere adressieren die Darmflora. 80 Prozent der Immunzellen sitzen schließlich im Darm. Vergleiche fallen schwer, auch die Studienlage ist – wenn überhaupt vorhanden – dünn. Doch mit Hintergrundwissen zu den häufigsten Inhaltsstoffen gelingt die Beratung im OTC-Dschungel etwas leichter.
Der Reihe nach: Unser Immunsystem ist ein ausgeklügeltes Abwehrsystem, um auf Pathogene wie Bakterien oder Viren, aber auch Tumorzellen zu reagieren. Das angeborene Immunsystem kann Krankheitserreger nicht spezifisch erkennen, dient aber an vorderster Front der ersten Abwehr einer Infektion. Dafür dämmen das Komplementsystem sowie zelluläre Akteure wie Makrophagen, Granulozyten und natürliche Killerzellen die Infektion ein oder gewinnen zumindest Zeit, ehe die erworbene Immunabwehr mit Antikörpern spezifisch greifen kann. Angeborenes und erworbenes Immunsystem arbeiten dafür Hand in Hand.
Damit alles reibungslos funktioniert, ist der Körper auf eine gute Versorgung mit Makro- und Mikronährstoffen, Mineralien und Spurenelementen angewiesen. Genau hier setzen zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel an. Insbesondere Zink ist dabei in aller Munde und Cofaktor oder strukturgebendes Ion von mehr als 3000 Enzymen und Proteinen. Tatsächlich macht ein Zinkmangel anfälliger für Infekte, denn T-Helfer-Zellen wie auch Killerzellen büßen an Aktivität ein.
Vorbeugend füllen rund 15 mg Zink täglich die Speicher auf. Besonders gut aufgenommen werden organische Verbindungen wie Zinkcitrat oder Zinkpicolinat, während die Einnahme zum Essen die Bioverfügbarkeit reduziert. Bekanntester Nährstoffräuber ist die Phytinsäure, die in Vollkornprodukten und Kaffee vorkommt. Bei gastrointestinalen Beschwerden kann die Einnahme zur Mahlzeit aber die Verträglichkeit verbessern. Das Kleingedruckte verrät, ob sich der angegebene Zinkgehalt bei einem Präparat auf das reine Zink-Ion oder das gesamte Zinksalz bezieht.
Im Laborversuch wirkt Zink sogar direkt antiviral und hemmt das Eindringen von Rhinoviren in die Zelle. Lutschtabletten könnten durch lokale Effekte an den Schleimhäuten besonders wirksam sein. Einige Studien deuten darauf hin, dass sehr hohe Dosen (> 75 mg/Tag) die Erkältungsdauer tatsächlich verkürzen. Dafür muss die Einnahme schnellstmöglich bei dem ersten Kratzen im Hals beginnen. Sie sollte sicherheitshalber aber nur wenige Tage betragen, da weitere Untersuchungen fehlen. Auch gastrointestinale Beschwerden treten häufig auf.
Als wäre das noch nicht alles, kann Zink spezifische Stellen eines Moleküls binden, um es vor Oxidation zu schützen. Sogenannte freie Radikale oder reaktive Sauerstoffverbindungen fallen bei Entzündungsprozessen und Infekten vermehrt an. Diese werden beispielsweise gezielt von Makrophagen ausgeschüttet, um Pathogene zu bekämpfen, schädigen jedoch leider auch Zellen und Gewebe. Antioxidanzien wirken als oxidativer Schutzschild und fangen freie Radikale ab.
Neben Zink ist auch Selen Bestandteil vieler antioxidativer Enzyme. Es spielt daher für die Schilddrüse genauso wie für die normale Funktion des Immunsystems eine essenzielle Rolle. Erwachsene benötigen laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) etwa 60 bis 70 µg pro Tag. Leider sind die Böden und damit Lebensmittel in Europa sehr selenarm. Erwachsene nehmen durch ihre Ernährung hierzulande kaum ausreichend Selen auf, sodass eine Ergänzung mit 100 bis 200 µg pro Tag sinnvoll sein kann. Bis zu 300 µg pro Tag gelten als unbedenklich. Eine dauerhaft höhere Aufnahme kann Nebenwirkungen hervorrufen.
Das bekannteste Antioxidans ist Vitamin C, die Ascorbinsäure. Seine Wirkung auf diesen Effekt zu reduzieren, würde dem Vitamin jedoch nicht gerecht werden. Ein Mangel schränkt die zelluläre Immunabwehr ein und erhöht ebenso wie ein Zinkmangel die Infektanfälligkeit. Der Körper kann Ascorbinsäure nicht selbst herstellen und ist auf die regelmäßige Zufuhr über die Nahrung angewiesen. Männer brauchen laut DGE 110 mg Vitamin C täglich, Frauen mit 95 mg pro Tag etwas weniger, Raucher wiederum rund 40 Prozent mehr. Die besten Vitamin-C-Lieferanten sind natürlich Obst und Gemüse, etwa Paprika oder Kiwi. Allerdings ist das Vitamin empfindlich gegenüber Sauerstoff und Kochen.
Wollen Kunden in der Erkältungszeit supplementieren, sind bei bis zu 1000 mg täglich keine Nebenwirkungen zu erwarten. Leiden sie an Eisenverwertungsstörungen, haben ein erhöhtes Risiko für Harn- oder Nierensteine oder gar geschädigte Nieren, sollten sie diese Dosis besser nicht überschreiten. Gesunde vertragen bis zu 3 g pro Tag – darüber treten oft Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall auf. Da Vitamin C und Bioflavonoide synergistisch wirken, werden sie gerne kombiniert.
Als fettlösliche Antioxidanzien spielen die Vitamine A und E insbesondere für den Schutz der Membranen von Immunzellen eine Rolle. Besonders Ältere, aber auch Kinder, Stillende und Schwangere haben unter anderem einen erhöhten Bedarf an Vitamin A und sind besonders gefährdet, einen Mangel aufzuweisen.
Das gilt auch für Vitamin D. Das Vitamin ist nicht nur wichtig für den Knochenhaushalt, sondern beeinflusst das Immunsystem. Studien deuten sogar auf einen möglichen Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin-D-Spiegeln und einem schweren Verlauf einer Covid-19-Infektion hin. Die Aufnahme über die Ernährung ist vernachlässigbar. Durch Sonneneinstrahlung kann der Körper Vitamin D eigentlich selbst herstellen. In Deutschland reicht jedoch die UVB-Strahlung zwischen Oktober und März nicht aus, sodass etwa 60 Prozent der Deutschen unzureichend mit Vitamin D versorgt sind. Um die Versorgung sicherzustellen, kann laut offizieller Empfehlung der DGE daher eine Supplementierung mit 800 IE pro Tag erforderlich sein. Der individuelle Bedarf liegt teilweise jedoch deutlich höher. Gewissheit bringt eine Blutuntersuchung, die Patienten aber in der Regel selbst bezahlen müssen.
Vitamin D ist in vielen Darreichungsformen mit unterschiedlichen Wirkstoffgehalten erhältlich, die von 400 IE bis zu 20.000 IE reichen. Einige sind Nahrungsergänzungsmittel, andere als Arzneimittel zugelassen oder sogar verschreibungspflichtig. Höher dosierte Präparate werden üblicherweise nur jeden zweiten Tag oder sogar nur einmal pro Woche verwendet. Da vereinzelt schwerwiegende und sogar tödliche Überdosierungen aufgetreten sind, muss eine höher dosierte Therapie ärztlich begleitet und der individuelle Blutspiegel berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für andauernd hohe Dosierungen über 4000 IE pro Tag. Der Vitamin-D-Spiegel interagiert wiederum mit den Vitaminen A und K, sodass auch hier wiederum zahlreiche Kombinationspräparate erhältlich sind. Eine suffiziente Magnesiumversorgung ist ebenfalls wichtig.
Das wohl bekannteste pflanzliche Immunstimulans ist der Sonnenhut, klassischerweise als Frischpflanzen-Presssaft oder alkoholischer Auszug eingesetzt. In vitro werden zahlreiche Effekte beschrieben, die von einer Steigerung der Phagozytoseaktivität von Granulozyten über Aktivierung von Makrophagen, Stimulation zytotoxischer T-Zellen und erhöhter Produktion verschiedener Interleukine bis hin zu einer antiviralen Aktivität reichen. Echinacin® von Madaus konnte in einer placebokontrollierten Studie zeigen, dass Echinacea-purpurea-Extrakte die unspezifische und zelluläre Immunabwehr fördern.
Sonnenhut zeigt in vitro zahlreiche immunstimulierende Effekte. / Foto: Fotolia/Jessmine
Teilweise sind die Studienergebnisse jedoch widersprüchlich. Das liegt einerseits an unterschiedlichen Echinacea-Arten und andererseits an deutlich unterschiedlich hergestellten Extrakten. Beides erschwert die Vergleichbarkeit. Auf dem Markt gibt es Monopräparate zahlreicher Hersteller genauso wie Kombinationspräparate, beispielsweise zusammen mit Lebensbaum und Färberhülse. Alle Präparate haben gemeinsam, dass sie schnellstmöglich bei den ersten Erkältungszeichen eingenommen werden müssen, um den Infekt im Idealfall um zwei oder drei Tage zu verkürzen. Sonnenhutpräparate sollten jedoch nicht länger als zehn Tage eingenommen werden. Sie sind aus grundsätzlichen Überlegungen kontraindiziert bei Autoimmunerkrankungen, aber auch Immunabwehrschwäche sowie bei immunsuppressiver Therapie und Kleinkindern unter zwei Jahren.
Alles hängt also irgendwie zusammen. Kein Wunder, dass verschiedenste Präparate auf dem Markt sind, die Vitamine und Mineralstoffe in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung kombinieren. Die Malnutrition mit schlechter Eiweißversorgung spielt beispielsweise besonders im Alter eine Rolle. Da das Immunsystem aber ebenso auf eine gute Versorgung mit Aminosäuren angewiesen ist, kann ein Präparat, das zusätzlich etwa Glutamin und Arginin mitliefert, eine passende Empfehlung sein.
Auch die Medikation des Patienten darf bei der Auswahl eines geeigneten Präparates nicht unter den Tisch fallen. Bei Schilddrüsenhormonen sollte beispielsweise auf den zeitlichen Abstand hingewiesen werden, während unter der Therapie mit Phenprocoumon und Warfarin Präparate mit Vitamin K ganz tabu sind. Einige Präparate setzen auf pflanzliche Vitaminquellen wie Aronia, wieder andere sprechen gezielt Kinder an. Denn Eltern sind schnell beunruhigt, wenn sich bei den Kleinen ein Infekt an den nächsten reiht. Leider sind bis zu zehn Infekte pro Jahr völlig normal. Das Immunsystem muss schließlich erst lernen, mit all den Keimen umzugehen. In der Regel sind Kinder durch eine ausgewogene Ernährung gut mit Nährstoffen versorgt. Wollen Eltern trotz dieser Hinweise mit Vitaminen nachhelfen, sollten sie unbedingt auf die Altersempfehlung achten und eine dauerhafte Einnahme mit dem Kinderarzt absprechen. Es gibt also nicht »das eine« richtige Mittel, sondern jeder Kunde hat einen anderen Bedarf und individuellen Wunsch hinter der Aussage, das Immunsystem stärken zu wollen.