Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel? |
Juliane Brüggen |
07.10.2021 11:00 Uhr |
Ihr Erscheinungsbild ähnelt dem der Arzneimittel. Nahrungsergänzungsmittel sind in dosierter Form erhältlich, zum Beispiel als Tabletten oder Kapseln. / Foto: Getty Images/Yulia Reznikov
Ein Präparat kann nur eines sein – Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel (NEM). Das eine unterliegt dem Arzneimittelrecht, das andere dem Lebensmittelrecht. Ein relevanter Unterschied ist ihr Zweck: Arzneimittel dienen der Heilung, Linderung, Verhütung oder der Erkennung von Krankheiten, während Nahrungsergänzungsmittel dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen. Dementsprechend haben Arzneimittel eine Indikation, im Fall von Vitaminen zum Beispiel die Behandlung eines nachgewiesenen Mangels. Nahrungsergänzungsmittel dürfen hingegen nicht mit Krankheitsbildern assoziiert werden. Einzig sogenannte »Health Claims« sind erlaubt – aber nur, wenn die gesundheitsbezogenen Angaben für den jeweiligen Nährstoff in der enthaltenen Menge zugelassen sind. Beispiele sind »Vitamin D trägt zur Erhaltung normaler Knochen bei« oder »Vitamin C trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei«.
Zudem darf nicht jeder beliebige Stoff in einem Nahrungsergänzungsmittel enthalten sein, nur Konzentrate von Nährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe einschließlich Spurenelemente) oder von »sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung« (laut Nahrungsergänzungsmittelverordnung – NemV). Europaweit ist genau festgelegt, welche Vitamin- und Mineralstoffverbindungen die Hersteller verwenden dürfen. Für andere Stoffe wie Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren und Pflanzen- oder Kräuterextrakte fehlen entsprechende Regelungen jedoch. Höchstmengen sind für Vitamine, Mineralstoffe und viele andere Stoffe nicht verbindlich festgelegt – eine Begrenzung kann sich aber beispielsweise aus der geforderten »ernährungsspezifischen oder physiologischen Wirkung« ergeben. Eine arzneiliche oder pharmakologische Wirkung dürfen Nahrungsergänzungsmittel nicht haben.
Um die in Nahrungsergänzungsmitteln enthaltenen Mengen an Vitaminen und Mineralstoffen zu beurteilen, können die Höchstmengenvorschläge des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) herangezogen werden. Tolerierbare Obergrenzen für die Tageszufuhr hat auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgelegt (englisch: Tolerable Upper Intake Level).
Auch wenn spezielle Pflanzen oder Pilze enthalten sind, ist es nicht einfach, einzuschätzen, ob die Inhaltsstoffe unbedenklich sind oder eine kritische Menge überschreiten. Hilfestellung bieten hier die Stofflisten des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). In diesen werden viele Pflanzen und Pilze bewertet, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Einstufung als Arzneistoff oder Lebensmittel, Neuartigkeit und Sicherheit.
Einen Sonderstatus haben Nahrungsergänzungsmittel, die den sogenannten neuartigen Lebensmitteln (»Novel Food«) zugeordnet werden. Als neuartig gelten bestimmte Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Sie bedürfen einer Zulassung durch die Europäische Kommission. Welche neuartigen Lebensmittel bereits zugelassen sind und welche Bedingungen (zum Beispiel Höchstmengen) dabei eingehalten werden müssen, kann in der Unionsliste nachgeschaut werden, ob ein Stoff als neuartiges Lebensmittel eingestuft wird, im Novel-Food-Katalog der EU-Kommission.
Ein Beispiel für das Aufeinandertreffen von Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel ist Vitamin D3 (Colecalciferol). Als Arzneimittel ist das Vitamin verschreibungspflichtig, wenn eine Tagesdosis von 1000 I.E. überschritten wird. Die Apothekenpflicht gilt wiederum für Vitamin-D-Arzneimittel, deren Tagesdosis über 400 I.E. liegt, niedriger dosierte Arzneimittel sind frei verkäuflich. Anders stellt sich die Situation dar, wenn Colecalciferol als Nahrungsergänzungsmittel verkauft wird. Hier gibt es keine verbindlich festgelegten Höchstmengen oder Begrenzungen der Tagesdosis, was zur Folge hat, dass beispielsweise ein Vitamin-D-Nahrungsergänzungsmittel mit einer Tagesdosis von 2000 I.E. im Verkehr sein kann. Als Lebensmittel sind die Präparate grundsätzlich frei verkäuflich, also zum Beispiel auch in Drogerien erhältlich.
Ein weiteres Beispiel ist Cannabidiol (CBD), ein Stoff aus der Hanfpflanze, der nicht psychoaktiv ist. In Deutschland ist Cannabidiol als Arzneimittel verschreibungspflichtig und wird als zugelassenes Fertigarzneimittel unter anderem zur Behandlung bestimmter Epilepsie-Formen bei Kindern eingesetzt. Seit einigen Jahren ist Cannabidiol parallel vermehrt als Nahrungsergänzungsmittel in Erscheinung getreten, zum Beispiel in CBD-Ölen zum Einnehmen. Die rechtliche Situation war anfänglich unklar.
Mittlerweile ist bekannt, dass Cannabidiol in Nahrungsergänzungsmitteln als zulassungspflichtiges neuartiges Lebensmittel gilt. Die Prüfung entsprechender Zulassungsanträge hatte die Europäische Kommission zunächst ausgesetzt, da geklärt werden musste, ob CBD als Suchtstoff eingestuft wird. Mit seinem Urteil vom 19. November 2020 stellte der Europäische Gerichtshof jedoch fest, dass dies nicht der Fall ist. Somit wurde die Prüfung der Anträge, CBD-Produkte als neuartiges Lebensmittel zuzulassen, wieder aufgenommen. Ein abschließendes Ergebnis gibt es noch nicht, die endgültige Entscheidung ist somit abzuwarten. Bis dahin ist Cannabidiol in Lebensmitteln, und damit auch in Nahrungsergänzungsmitteln, nach Auffassung des BVL nicht verkehrsfähig. Zuständig für die Entscheidung, ob die CBD-Produkte verkehrsfähig sind oder nicht, sind aber letztendlich die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Bundesländer.
Nahrungsergänzungsmittel | Arzneimittel |
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Ergänzung der Ernährung von gesunden Personen | Heilung, Linderung, Verhütung oder Erkennen von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden oder Beeinflussung der Beschaffenheit, des Zustands oder der Funktionen des Körpers oder seelischer Zustände |
Ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung | Pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung |
Lebensmittelrecht | Arzneimittelrecht |
Werden beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angezeigt | Werden durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder die Europäische Kommission zugelassen |
Kein Nachweis der Wirksamkeit oder Sicherheit, Hersteller verantwortet die Sicherheit | Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit durch klinische Studien erforderlich |
Auf der Packung angegebene Menge kann bis zu 50 Prozent von der tatsächlich im Produkt enthaltenen Menge abweichen | Auf der Packung angegebene Menge darf maximal um fünf Prozent von der tatsächlichen Dosierung der Wirkstoffe abweichen |
Keine Höchstmengen für Inhaltsstoffe (außer technologische Zusatzstoffe)* | Dosierung und Inhaltsstoffe im Zulassungsverfahren geprüft und festgelegt |