PTA-Forum online
Bei Opioid-Überdosierung

Naloxon-Nasenspray kann Leben retten

Die Zahl der Drogentoten ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Im Jahr 2022 waren es 1990 Menschen. Oft stehen Überdosierungen von Heroin und anderen Opioiden hinter den Todesfällen. Dabei gibt es ein Notfallmedikament.
Juliane Brüggen
12.02.2024  14:00 Uhr

Eine typische Trias: Bewusstlosigkeit, verminderte Atmung und verengte Pupillen. Die Haut wirkt bläulich und kalt, die Körpertemperatur sinkt. All dies deutet auf eine Vergiftung mit Opioiden hin, die tödlich enden kann – es handelt sich um einen echten Notfall. Neben dem Absetzen eines Notrufs und Erste-Hilfe-Maßnahmen kann ein Nasenspray das Leben der betroffenen Person retten. Die Rede ist von Naloxon, einem halbsynthetischen Morphin-Derivat, das Opioide wie Heroin von den Rezeptoren verdrängt und ihre Wirkung aufhebt. Der Effekt tritt innerhalb von zwei bis drei Minuten nach der nasalen Gabe ein.

»Menschen, die Opioide konsumieren, haben ein erhöhtes Risiko, eine Überdosierung zu erleiden, die potenziell tödlich ist«, sagt Simon Fleißner, Koordinator des Bundesmodellprojekts Naltrain, im Gespräch mit PTA-Forum. »Da 60 bis 80 Prozent der Überdosierungen nicht alleine stattfinden, wäre es wichtig, dass diese Zielgruppe Naloxon bei sich hätte.« In Deutschland ist das lebensrettende Medikament (Nyxoid) aber nicht sehr verbreitet, was sich durch das Modellprojekt Naltrain ändern soll.

Ein Schwerpunkt liegt auf dem Konzept »Train the trainer«. Hierbei erhalten Mitarbeitende von Einrichtungen der Drogen- und Aidshilfe ein spezielles Training, mit dem sie Opioidkonsumierende und Substitutierte in der Anwendung des Naloxon-Nasensprays schulen können. »Wir haben etwa 800 Mitarbeiter weitergebildet aus circa 400 Einrichtungen. Uns ist eine sehr positive Resonanz entgegengekommen – und das auch nach wie vor, obwohl wir in der Abschlussphase des Projekts sind«, sagt Fleißner. Es soll ein Netzwerk entstehen, dass auch die verschreibenden Ärzte mit einbezieht.

Zu wenig Naloxon in der Zielgruppe

Die aktuelle Versorgungssituation lässt jedoch zu wünschen übrig. Von den etwa 165.000 Opioidabhängigen in Deutschland sind laut Fleißner etwa 3000 bis 4000 Menschen mit Take-Home-Naloxon versorgt – nimmt man die dazu laufenden Projekte zusammen. Das entspricht einem Anteil von etwa 2 Prozent. Erstrebenswert sei aber ein Anteil von 20 bis 30 Prozent. Wo hakt es also noch? »Ich denke, das ist eine Kombination aus verschiedenen Hürden«, sagt Fleißner. Die Zielgruppe von dem Nasenspray zu überzeugen, sei kein Selbstläufer. »Häufig wird von Negativerfahrungen berichtet, wenn Personen Naloxon bereits intramuskulär oder intravenös bekommen haben, und von der Überdosierungssituation in einen schweren Entzug gekommen sind.« Beim Nasenspray seien die Entzugssymptome meist nicht so stark ausgeprägt.

Auch bei Ärzten muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. »Mir begegnet viel Skepsis von Seiten der Ärzteschaft und tendenziell auch Unsicherheit bezüglich der Verschreibung. Dabei ist das eigentlich geregelt«, berichtet der Sozialarbeiter. Da das Naloxon-Nasenspray verschreibungspflichtig ist, wird ein Rezept benötigt. Zugelassen ist es als Notfalltherapie für Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren bei bekannter oder vermuteter Opioid-Überdosierung, die sich als Atemdepression und/oder Depression des Zentralnervensystems (ZNS) zeigt.

Wichtig ist, dass eine Schulung stattgefunden hat, wie und in welchen Fällen das Nasenspray anzuwenden ist – was aber nicht zum Hindernis werden sollte. »Die Schulungen, die wir anbieten, weil wir es für sinnvoll halten, können zwischen 15 und 90 Minuten dauern, ich denke aber, eine Aufklärung von drei bis fünf Minuten ist ausreichend, um die Verschreibung zu erfüllen.« Auch eine Erstattung ist möglich: »Jeder, der eine diagnostizierte Opiatabhängigkeit hat, kann das Nasenspray zulasten der Kasse verschrieben bekommen«, erklärt Fleißner. Dass die Vergabe von Naloxon zu Mehrkonsum anrege oder Personen risikoreicher konsumierten, sei wissenschaftlich nicht bewiesen, der Konsum verändere sich dadurch nicht.

Hindernis: Verschreibungspflicht

Die Verschreibungspflicht erschwert die Versorgung mitunter, wie Fleißner erklärt: Eine Person, die für Take-Home-Naloxon in Frage kommt, muss angesprochen, aufgeklärt und geschult werden, in der Arztpraxis das Rezept holen und dieses in der Apotheke einlösen. Dort muss das Medikament eventuell bestellt werden, die Zuzahlung kommt on top. »Ein großer Baustein, um eine bessere und einfachere Versorgung zu gewährleisten, wäre, das Nasenspray aus der Verschreibungspflicht zu nehmen«, sagt Fleißner – wobei die Erstattungsfähigkeit bleiben sollte.

Außerdem brauche es eine breitere Finanzierung seitens der Bundesländer – »sei es eine Sachkostenhilfe für Rezeptgebühren bei Nichtversicherten oder der Ausgleich von Personal- und Zeitaufwand in den Einrichtungen, die Naloxon-Schulungen durchführen.« Auch Ärzte hätten mitunter einen zusätzlichen Aufwand.

Die Zielgruppe zu erreichen, ist oft nicht einfach. »So eine Maßnahme funktioniert nur, wenn alle Bereiche mitziehen, die mit Menschen arbeiten, die Opiate konsumieren«, sagt Fleißner. Dazu gehören die Angebote der niedrigschwelligen Drogen- und Suchthilfe wie Kontaktläden und Konsumräume, die an der Substitutionstherapie Beteiligten, Entzugs- und Entwöhnungskliniken sowie der Haft- und Maßregelvollzug. Vorteilhaft wäre laut Fleißner, wenn opioidabhängige Personen direkt bei der Entlassung aus Klinik oder Vollzug eine Schulung und ein Nasenspray erhalten. Auch Patienten, die eine Substitutionstherapie erhalten – diese machen fast die Hälfte der Opioidkonsumenten in Deutschland aus –, sind prinzipiell gut über die Ärzte zu erreichen.

Von den versorgenden Apotheken wünscht sich Fleißner Kooperationsbereitschaft, zum Beispiel indem sie das Nasenspray vorrätig halten. »Es ist nicht immer ganz einfach für Suchthilfe-Einrichtungen kooperierende Apotheken zu finden«, so die Erfahrung des Sozialarbeiters. Falls Apotheken, die im Kontakt mit Opioidabhängigen stehen, selbst aktiv werden möchten, sollten sie sich mit den Ärzten absprechen. »Ich denke, da braucht es eine Zusammenarbeit«, so Fleißner. In anderen Ländern kommt den Apotheken übrigens eine größere Rolle zu: In Kanada gibt es beispielsweise ein staatlich finanziertes Naloxon-Programm, bei dem Apotheken das Nasenspray nach einer kurzen Aufklärung kostenfrei an Betroffene abgeben können.

Was tun im Notfall?

Trifft man auf eine Person, die potenziell mit Opioiden überdosiert ist, sind Berührungsängste fehl am Platz. »Naloxon kann genau eine Sache machen. Wenn ich es bekommen würde, ohne dass ich Opiate konsumiert habe, wird bei mir nichts passieren«, erklärt Fleißner. »Als Ersthelfer bin ich durch den gerechtfertigten Notfall abgesichert und darf das Naloxon-Nasenspray verabreichen.« Was ist also zu beachten? An erster Stelle steht immer das Absetzen des Notrufs. Auch die eigene Sicherheit sollte bedacht werden, zum Beispiel, indem herumliegende Spritzen vorsichtig entfernt werden.

Nachdem die ersthelfende Person das Nasenspray verabreicht hat, bringt sie die betreffende Person in die stabile Seitenlage und überwacht sie, bis der Rettungsdienst eintrifft. Falls erforderlich, sind lebensrettende Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen. Wichtig zu wissen ist, dass die Wirkung der Opioide zurückkehren kann, da Naloxon ein kurz wirkender Antagonist ist. Bei einer Überdosierung mit Buprenorphin kann die Atemdepression außerdem nicht immer vollständig aufgehoben werden. Gegebenenfalls ist ein zweites Nasenspray zu verabreichen, wenn nach zwei bis drei Minuten keine Besserung zu sehen ist oder die Symptome wiederkehren. Nach der Anwendung von Naloxon können moderate bis schwere Entzugserscheinungen auftreten, die zu aggressivem Verhalten führen können. Hier ist wieder auf die eigene Sicherheit zu achten.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.
TEILEN
Datenschutz

Mehr von Avoxa