Neue Arzneimittel – im Mai gleich zwei |
Sven Siebenand |
29.05.2020 13:00 Uhr |
Mehr als nur müde: Bei Patienten mit Narkolepsie ist die Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus gestört. Betroffene haben ihr Schlafbedürfnis nicht mehr unter Kontrolle und schlafen plötzlich – auch in unangemessenen Situationen – ein. / Foto: Adobe Stock/Antonioguillem
Mit dem neuen Wirkstoff Solriamfetol (Sunosi® Filmtabletten, Jazz Pharmaceuticals) soll eine übermäßige Tagesschläfrigkeit bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe (wiederholte Atemaussetzer während des Schlafs) oder Narkolepsie reduziert werden. Bei dieser Schlafstörung ist die Fähigkeit des Gehirns, den normalen Schlaf-Wach-Zyklus zu regulieren, beeinträchtigt. Typischerweise können die Betroffenen ihren Schlafdrang nicht mehr unterdrücken. Sie schlafen plötzlich zu unangemessenen Zeiten und an unangemessenen Orten ein. Es wird vermutet, dass das Stimulans Solriamfetol als Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer wirkt. Die beiden Neurotransmitter übertragen Signale zwischen Gehirnzellen, die die Wachheit fördern.
Solriamfetol wird in Form von Filmtabletten angewendet. Patienten nehmen den Wirkstoff einmal täglich nach dem Aufwachen ein. Die Applikation weniger als neun Stunden vor dem Zubettgehen ist zu vermeiden, da es den Nachtschlaf stören kann. Eine sehr häufige Nebenwirkung von Solriamfetol ist Kopfschmerz. Häufig kommt es unter anderem zu Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit sowie schnellem oder unregelmäßigem Herzschlag.
Da das Arzneimittel zu einem schädlichen Blutdruckanstieg führen kann, sollte dieser vor und während der Behandlung gut kontrolliert werden. Das Stimulans darf nicht bei Patienten mit einer unkontrollierten Hypertonie oder schweren Herzproblemen wie Herzinfarkt, instabile Angina pectoris oder schwere Herzarrhythmien angewendet werden. Ferner darf es nicht mit MAO-Hemmern kombiniert werden. Ansonsten besteht die Gefahr einer hypertensiven Reaktion. Bei einer vorangegangenen Einnahme von MAO-Hemmern sollte Solriamfetol erst zwei Wochen nach Beendigung der Therapie zum Einsatz kommen. Bei gleichzeitiger Anwendung von Arzneimitteln, die den Blutdruck und die Herzfrequenz erhöhen, ist Vorsicht geboten.
Arzneimittel, die zu einem Anstieg des Dopaminspiegels führen oder direkt an Dopaminrezeptoren binden, können in Kombination mit Solriamfetol ebenfalls Probleme bereiten. Die gleichzeitige Anwendung solcher Arzneimittel muss laut Fachinformation daher mit Vorsicht erfolgen.
Solriamfetol zeigte in einer Studie ein geringes Missbrauchspotenzial. Dennoch muss auf Patienten mit anamnestisch bekanntem Missbrauch von Stimulanzien oder Alkohol besonders geachtet werden.
Frauen im gebärfähigen Alter und deren männliche Partner müssen während der Einnahme von Solriamfetol eine wirksame Empfängnisverhütung praktizieren. Die Anwendung bei Schwangeren wird nicht empfohlen. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob auf das Stillen oder auf die Behandlung mit Soliramfetol verzichtet wird.
Naldemedin (Rizmoic® Filmtabletten, Hexal) ist ein weiterer, peripher wirkender μ-Opioidrezeptor-Antagonist (PAMORA). Diese blockieren die peripheren μ-Opioid-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt und wirken so einer Opioid-induzierten Verstopfung entgegen, ohne die ZNS-vermittelten Opioideffekte aufzuheben. Auch Methylnaltrexon (Relistor®) und Naloxegol (Moventig®) gehören in diese Arzneistoffgruppe.
Naldemedin ist ein Naltrexon-Derivat, dessen Fähigkeit zur Überquerung der Blut-Hirn-Schranke durch chemische Modifikation verringert ist. Zudem ist Naldemedin ein Substrat des P-Glykoprotein-Transporters, der möglicherweise ebenfalls daran beteiligt ist, dass die Fähigkeit in das ZNS einzudringen, herabgesetzt ist.
Naldemedin darf Patienten, die unter Opioid-induzierten Verstopfung leiden und zuvor mit einem Abführmittel behandelt wurden, verschrieben werden. Wie Naloxegol ist der neue Arzneistoff oral bioverfügbar. Die empfohlene Dosis ist eine 200-µg-Tablette einmal täglich. Der Patient kann sie mit oder ohne ein Abführmittel einnehmen, muss das Medikament aber absetzen, sobald er kein Opioid mehr anwendet. Der Patienten sollte das Medikament möglichst immer zur gleichen Uhrzeit einnehmen. Die Tageszeit kann er jedoch frei wählen.
Die am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen waren gastrointestinale Beschwerden wie Durchfall und Bauchschmerzen. Die Mehrheit dieser Nebenwirkungen war leicht bis mittelschwer und bildete sich ohne Absetzen der Naldemedin-Behandlung zurück. Bei Patienten mit einem Darmverschluss oder Darmdurchbruch oder bei Patienten mit einem hohen Risiko für einen Darmverschluss ist das Präparat kontraindiziert. Laut Fachinformation haben Patienten mit Störungen der Blut-Hirn-Schranke ein erhöhtes Risiko, ein Opioidentzugs-Syndrom zu entwickeln.
Aufgrund der begrenzten therapeutischen Erfahrungen bei Personen ab 75 Jahren sollte die Therapie mit Naldemedin bei diesen Patienten vorsichtig eingeleitet werden. Bei Patienten mit schwer eingeschränkter Leberfunktion wird die Anwendung nicht empfohlen, Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung sollten gut überwacht werden.
Die gleichzeitige Anwendung des PAMORA mit starken CYP3A-Inhibitoren kann zum Anstieg der Naldemedin-Spiegel führen, was das Risiko für Nebenwirkungen erhöht. Die gleichzeitige Anwendung mit starken CYP3A-Inhibitoren sollte daher vermieden werden. Andersrum wird auch die gleichzeitige Anwendung mit starken CYP3A-Induktoren nicht empfohlen, da dies zu einer verminderten Wirksamkeit des PAMORA führen kann.
Die Anwendung von Naldemedin kann aufgrund der noch nicht ausgereiften Blut-Hirn-Schranke beim ungeborenen Kind einen Opioidentzug bei diesem hervorrufen. Während der Schwangerschaft darf der Wirkstoff deshalb nicht angewendet werden, es sei denn, dass eine Behandlung aufgrund des klinischen Zustandes der Frau unbedingt erforderlich ist. Ein Risiko für das gestillte Kind kann nicht ausgeschlossen werden, weshalb der neue Arzneistoff nicht von stillenden Mütter angewendet werden sollte.