Neue Medikamente im Juni |
Sven Siebenand |
12.06.2024 08:00 Uhr |
Vier neue Arzneistoffe sind Anfang Juni an den Start gegangen. / Foto: Adobe Stock/Janina Dierks
Das erste Krebsmedikament mit einem neuen Wirkstoff ist das Präparat Pluvicto® von Novartis Pharma. Enthalten ist (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan. Es handelt sich um ein Radiopharmazeutikum. Das radioaktive Lutetium-177 ist an Vipivotidtetraxetan gekoppelt. Letztgenanntes dockt passgenau an das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA) an. Die meisten Prostatakrebszellen tragen PSMA auf ihrer Zellmembran, im übrigen Körper kommt es dagegen selten vor. Nachdem Vipivotidtetraxetan an PSMA gebunden hat, nehmen die Zellen den radioaktiven Wirkstoff ins Zellinnere auf. Von innen gibt dieser dann die für die Zelle tödliche Strahlendosis ab.
Zugelassen ist das neue Medikament in Kombination mit einer Androgen-Deprivationstherapie mit oder ohne Androgen-Rezeptor-Signalweg-Inhibition bei erwachsenen Patienten mit progredientem PSMA-positivem, metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom, die bereits mit einem Inhibitor des Androgen-Rezeptor-Signalweg und einer Taxan-basierten Chemotherapie vorbehandelt sind. Pluvicto wird einmal alle sechs Wochen als Injektion oder Infusion in eine Vene über insgesamt bis zu sechs Dosen verabreicht. Vor und während der Behandlung werden Blutuntersuchungen durchgeführt, um bestimmte Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen des Radiopharmazeutikums zählen Müdigkeit, Mundtrockenheit, Übelkeit, Anämie, verminderter Appetit und Verstopfung.
Der zweite neue Wirkstoff aus dem Bereich Onkologie kommt beim Cholangiokarzinom, ein Krebs, der sich in den Gallengängen entwickelt, zum Einsatz. Oft sind bei diesem Tumor genetische Veränderungen nachweisbar, etwa Fusionen oder Rearrangements des Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptors 2 (Fibroblast Growth Factor Receptor 2, FGFR2). Diese gelten als starke onkogene Treiber, da der FGFR-Signalweg aktiviert wird, welcher an zellulären Prozessen wie Proliferation, Überleben, Migration und Angiogenese beteiligt ist.
Mit Pemigatinib kam vor einigen Jahren bereits ein Kinasehemmer auf den deutschen Markt, der die FGFR-Isoformen 1, 2 und 3 inhibiert und die FGFR- Signalübertragung damit hemmt. Der neue Wirkstoff Futibatinib (Lytgobi®, Taiho Pharma) wirkt sehr ähnlich. Neben den Isoformen 1, 2 und 3 blockiert Futibatinib auch die Isoform 4 von FGFR.
Beim zugelassenen Anwendungsgebiet unterscheiden sich die beiden Wirkstoffe nicht. Auch Futibatinib ist bei Erwachsenen für die Behandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Cholangiokarzinoms, das durch Fusion oder Umlagerung des FGFR2 gekennzeichnet ist, bestimmt. Bedingung ist, dass die Erkrankung nach mindestens einer vorangegangenen systemischen Therapie fortgeschritten ist.
Als orale Anfangsdosis werden 20 mg Futibatinib einmal täglich empfohlen. Die gleichzeitige Anwendung des Wirkstoffs mit starken CYP3A4/P-gp-Hemmern sowie starken oder mittelstarken CYP3A4/P-gp-Induktoren sollte vermieden werden. Bei der Abgabe von Lytgobi können PTA darauf hinweisen, eine phosphatarme Diät einzuhalten. Eine phosphatsenkende Therapie sollte begonnen werden, wenn der Serumphosphatspiegel ≥ 5,5 mg/dl liegt. Wenn der Serumphosphatspiegel > 7 mg/dl ist, sollte die Futibatinib-Dosis je nach Dauer und Schweregrad der Hyperphosphatämie entsprechend angepasst werden.
In der Fachinformation wird auch auf die Möglichkeit einer serösen Netzhautablösung durch Futibatinib hingewiesen. Symptome davon können verschwommenes Sehen, Glaskörperflocken oder Photopsie sein. Eine augenärztliche Untersuchung sollte vor Beginn der Therapie, sechs Wochen danach und bei visuellen Symptomen jederzeit durchgeführt werden. Das neue Medikament kann auch das Sicca-Syndrom hervorrufen.
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zählen Hyperphosphatämie, Erkrankungen der Nägel, Verstopfung, Alopezie, Durchfall, Mundtrockenheit, Ermüdung, Übelkeit, trockene Haut, Abdominalschmerz, Stomatitis, Erbrechen, Arthralgie und verminderter Appetit.
Bei einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) produzieren viele Betroffene nicht genug Erythropoetin, welches die Bildung roter Blutkörperchen stimuliert. Eine Anämie ist die Folge. Im Jahr 2021 kam der Wirkstoff Roxadustat auf den deutschen Markt. Er war der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse namens HIF-PH-Inhibitoren. Vadadustat (Vafseo™, Medice Arzneimittel) ist nun der zweite Vertreter auf dem Markt. Das Wirkprinzip ist bei beiden Substanzen identisch: Der sogenannte Hypoxie-induzierte Faktor (HIF) ist für die Produktion von Erythropoetin wichtig. Bei Sauerstoffmangel wird vermehrt HIF gebildet, bei ausreichender Versorgung wird HIF durch ein Enzym, die Prolylhydroxylase (PH), inaktiviert. Als HIF-PH-Inhibitoren verhindern Roxadustat und Vadadustat Letzteres. Dadurch steigt die Produktion von Erythropoetin, was eine vermehrte Bildung von Erythrozyten zur Folge hat.
Zugelassen ist Vadadustat bei Erwachsenen zur Behandlung von symptomatischer Anämie infolge CKD, die eine chronische Erhaltungsdialyse erhalten. Die empfohlene orale Anfangsdosis beträgt 300 mg einmal täglich.
Die Patienten können die Filmtablette jederzeit vor, während oder nach der Dialysebehandlung einnehmen. Vafseo soll aber mindestens eine Stunde vor oralen Eisenergänzungsmitteln, Präparaten mit Eisen als Hauptkomponente oder eisenhaltigen Phosphatbindern eingenommen werden. Da Vadadustat mit mehrwertigen Kationen ein Chelat bilden kann, soll es mindestens eine Stunde vor oder zwei Stunde nach nicht eisenhaltigen Phosphatbindern oder anderen Arzneimitteln, deren Hauptkomponente aus mehrwertigen Kationen wie Calcium, Magnesium oder Aluminium besteht, eingenommen werden. Bei schwerer Leberfunktionsstörung wird Vadadustat nicht empfohlen.
Einen Warnhinweis gibt es in der Fachinformation zum Auftreten von thromboembolischen Ereignissen, die in Studien bei CKD sehr häufig beobachtet wurden. Daher sollten Patienten mit vorbestehenden Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse und einer entsprechenden Vorgeschichte sorgfältig überwacht werden. Weitere sehr häufig berichtete Nebenwirkungen von Vadadustat sind Hypertonie und Durchfall.
Der vierte neue Wirkstoff, Danicopan (Voydeya®, Alexion), kommt bei Erwachsenen zur Behandlung paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH) zum Einsatz. Bei dieser seltenen Erkrankung ist das Komplementsystem des Körpers überaktiv und schädigt die eigenen Blutzellen. Ein übermäßiger Abbau von Blutkörperchen führt zu Anämie, Thrombosen und dunklem Urin. In der Therapie kommen die gegen den Komplementfaktor C5 gerichteten Antikörper Ravulizumab und Eculizumab zum Einsatz. Danicopan kommt infrage, wenn die Patienten trotz der Behandlung mit einem dieser C5-Inhibitoren weiterhin anämisch sind. Auch Danicopan greift in der Komplementsystem ein. Der Wirkstoff tut dies, indem er ein Protein des Komplementsystems, den Faktor D, hemmt. Dadurch wird verhindert, dass das Komplementsystem Zellen schädigt.
Die empfohlene orale Anfangsdosis beträgt 150 mg dreimal täglich im Abstand von jeweils etwa acht Stunden. Sehr häufig kommt es unter Danicopan zu Fieber, Kopfschmerz, Anstieg der Leberenzyme und Schmerzen in einer Extremität. Aufgrund seines Wirkmechanismus kann Voydeya das Risiko für Infektionen erhöhen. Das Arzneimittel darf nicht bei Patienten angewendet werden, die an einer andauernden Infektion mit dem Bakterium Neisseria meningitidis leiden, oder bei Patienten, die derzeit nicht gegen das Bakterium geimpft sind, es sei denn, sie erhalten bis zwei Wochen nach der Impfung Antibiotika zur Vorbeugung einer Infektion.