Neue und alte Retaxfallen |
Verena Schmidt |
18.04.2024 12:00 Uhr |
Rezept korrekt ausgefüllt? Auch beim E-Rezept sollten PTA einiges prüfen und beachten, damit es nicht zu Retaxierungen kommt. / Foto: Getty Images/AlexanderFord
Von einer Retaxierung spreche man, wenn die Krankenkasse die Erstattung eines bereits abgegebenen Arzneimittels verweigert, erklärte Noll zu Beginn den Begriff. Die Apotheke habe das entsprechende Arzneimittel beim Großhandel gekauft und schon bezahlt, bleibe aber durch die Retaxierung auf den anteiligen oder kompletten Kosten sitzen. »Retaxierungen sollte man nicht mit Rücksendungen vom Rechenzentrum verwechseln«, so Noll. »Bei Rezepten, die von dort zurückkommen, sind Korrekturen normalerweise problemlos möglich.«
Der Experte betonte: »Vorsicht ist besser als Nachsicht.« Retaxierungen sollte man gar nicht erst zulassen, jedes Rezept sollte daher spätestens vor der Abrechnung geprüft werden. »Einsprüche gegen Retaxierungen sind meist zeitintensiv, nervenaufreibend und haben ungewisse Erfolgschancen«, so Noll. Er empfahl daher prinzipiell das Vier-Augen-Prinzip anzuwenden, bei hochpreisigen Arzneimitteln sogar besser das Sechs-Augen-Prinzip.
Wie lange ein Rezept nach der Abrechnung retaxiert werden darf, sei von Krankenkasse zu Krankenkasse unterschiedlich. Meist gelten Fristen von 12 bis 14 Monaten ab dem Abrechnungsmonat, es sei ratsam, die jeweiligen Lieferverträge zu prüfen. Auch wie lange ein Einspruch gegen eine Retaxierung eingelegt werden kann, variiere innerhalb der Krankenkassen. Üblich sei aber eine Frist von mindestens einem Monat, so PTA Noll.
Laut einer Umfrage des DAP bei insgesamt 2256 Apotheken erhalten rund 75 Prozent zwischen einer und zehn Retaxierungen pro Monat, knapp 43 Prozent kommen dabei laut Noll auf Retaxsummen zwischen 100 und 300 Euro. Das DAP hat in einer Umfrage auch die häufigsten Gründe für Retaxierungen im Jahr 2023 ermittelt:
Dank dem Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) gebe es nun einige Retaxverbote, so Noll. Bei fehlendem oder nicht lesbarem Ausstellungsdatum dürfe keine Beanstandung erfolgen. Zudem gebe es hinsichtlich der Rezeptgültigkeit nun eine Frist von maximal drei Tagen über die üblichen 28 Tage hinaus (Ausnahme Betäubungsmittelverordnungen, T-Rezepte und Retinoide für Frauen im gebärfähigen Alter). Auch bei fehlender oder falscher Dosierung darf nicht mehr retaxiert werden (ebenfalls Ausnahme BtM) sowie bei der Abgabe eines Arzneimittels, ohne dass die Verordnung vorlag (diese muss aber bereits ausgestellt worden sein). Auch wenn die Abgabe eines Arzneimittels erfolgt, obwohl eine Genehmigung der zuständigen Krankenkasse noch aussteht und diese nachträglich erfolgt, ist eine Retaxierung nicht zulässig. Noll empfahl allerdings, sich in letzterem Fall nicht auf das Retaxverbot zu verlassen – denn die Krankenkasse könnte die Genehmigung auch ablehnen.
Ein Nullretaxverbot gibt es nach dem ALBVVG jetzt auch bei vergessener Sonder-PZN und/oder fehlendem Vermerk hinsichtlich der Abgaberangfolge sowie bei einer fehlenden Nichtverfügbarkeitsanfrage. In diesen beiden Fällen sei aber eine Kürzung der Erstattung auf den Einkaufspreis möglich.
Ein korrekt ausgefülltes Rezept sei unabdingbar für die reibungslose Rezeptbelieferung und -abrechnung, sagte Noll. Die Grundlagen hierfür lieferten die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV), der Rahmenvertrag und die Lieferverträge der Krankenkassen. Fehlerhafte oder unvollständig ausgefüllte Rezepte müssen vor der Abgabe korrigiert werden. »Für das E-Rezept gelten dabei die gleichen Vorgaben wie für Papierrezepte«, betonte Noll.
Allgemeine Vorgaben nach § 2 AMVV wie Arztdaten inklusive Telefonnummer und Unterschrift, Ausstellungsdatum und Patientendaten müssten seit der E-Rezept-Pflicht eigentlich automatisch korrekt sein. In der Praxis sei das aber nicht immer der Fall, auch beim E-Rezept sollte man daher ein Auge darauf haben, dass die Daten vollständig sind, sagte der Experte.
In seinem Vortrag ging Noll auch auf häufige Fragen ein, die Apothekenmitarbeiter zu E-Rezepten stellen. Etwa: Was ist zu tun, wenn die unterzeichnende Person nicht mit der verordnenden Person übereinstimmt? Das sei kein Problem, so Noll, in Gemeinschaftspraxen sei es oft üblich, dass nur ein Heilberufsausweis (HBA) zum Abzeichnen verwendet wird.
Eine weitere Frage: Was ist, wenn die Arztnummer nicht vollständig übermittelt wurde? Noll: »Sie haben hier keine Prüfpflicht. Da E-Rezepte nur mit einem HBA ausgefüllt werden können, gilt die Pflichtangabe der Arztnummer mit der Ausstellung als erfüllt.« Ersetzt eine vorhandene PZN eine nicht vorhandene Stückzahl oder Menge? Hier habe es eine Klarstellung durch den Deutschen Apothekerverband (DAV) gegeben: Ja, eine PZN ersetzt die fehlende Stückzahl, das Rezept kann also beliefert werden.
Korrekturen seien beim E-Rezept an drei verschiedenen Stellen möglich, so Noll: Bei den Feldern »Gebührenpflichtig« oder »Gebührenfrei« (Zusatzattribut 15 + Schlüssel: 0 = geb.-pfl., 1 = frei), bei unklarer Verordnung des Arzneimittels, etwa fehlender PZN oder Mengenangabe (Schlüssel 1–12), sowie bei der Dosierungsangabe (Schlüssel 3, 4, 5).
Bei Papier-Rezepten könnten eine bei Nichtverfügbarkeit, pharmazeutischen Bedenken oder Akutversorgung vergessene Sonder-PZN und Begründung nachgereicht werden, auch wenn schon retaxiert wurde. Wurde die Rezeptgültigkeit überschritten, ist in begründeten Fällen eine Abgabe auch nach Ablauf der Gültigkeit möglich, etwa wenn das Rezept zwischenzeitlich verloren gegangen war oder eine erhöhte Lieferzeit bestand. Hier sollte man auf jeden Fall die Lieferverträge beachten. Ein verspätetes Einreichen ohne Begründung führt etwa bei vdek-Kassen zur Kürzung.
Achtung: BtM-Rezepte brauchen immer ausführliche Dosierungsanweisungen mit Einzel- und Tagesdosisangabe, alternativ sei auch ein Vermerk möglich (zum Beispiel »gemäß schriftlicher Anweisung«). Die Vorlage in der Apotheke muss innerhalb von sieben Tagen nach dem Ausstellungsdatum erfolgen, beliefern könne man das Rezept aber auch erst später. Eine Normgrößenverordnung ist bei BtM nicht zulässig, Stückzahl/Menge müssen immer exakt angegeben werden.
Wichtiger aktueller Hinweis: Cannabis ist seit April kein BtM mehr, es darf also auch nicht mehr auf einem BtM-Rezept verordnet werden. »Wenn Cannabis auf einem BtM-Rezept verordnet ist, sollten Sie auf Nummer sicher gehen und den Arzt bitten, ein neues rosa Rezept auszustellen«, riet Noll. Zwar gebe es aktuell eine Friedenspflicht, aber die Krankenkassen seien nicht verpflichtet, sich daran zu halten.
T-Rezepte, auf denen die fruchtschädigenden Wirkstoffe Thalidomid, Lenalidomid und Pomalidomid verordnet werden, sind insgesamt sieben Tage gültig (sechs Tage + Ausstellungsdatum). Der Arzt muss durch das Setzen von drei Kreuzen bei der Verordnung bestätigen, dass die Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden, medizinische Informationsmaterialien übergeben wurden und angeben, ob es sich um einen Off- oder In-label-Use handelt.
Verordnungsfähig ist ein Bedarf von bis zu zwölf Wochen, bei Frauen im gebärfähigen Alter allerdings nur von bis zu vier Wochen. Problematisch könne in diesem Zusammenhang sein, dass rechtlich nicht eindeutig definiert sei, wann eine Frau als gebärfähig gilt, sagte Noll, das könne nur durch den Arzt festgestellt werden. Da die Apotheke allerdings eine Prüfpflicht hat, empfahl er, im Zweifel den verordnenden Arzt zu kontaktieren.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.