Nicht so süß! |
Zu viel Zucker hat viele negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Wie gelingt es, den freien Zucker in der Ernährung zu reduzieren? / Foto: Adobe Stock/ulada
Im Dezember 2018 haben Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Verbraucherschutz, Handel und Industrie gemeinsam die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie (NRI) auf den Weg gebracht. Mit ihr will die Bundesregierung eine gesunde Lebensweise fördern, den Anteil der Übergewichtigen und Adipösen in der Bevölkerung senken und die Häufigkeit von Krankheiten verringern, die durch eine ungünstige Ernährung mitbedingt werden.
Ein Handlungsfeld der NRI ist deshalb, die Qualität von Fertigprodukten zu verbessern. Deren Gehalt an Energie, Zucker, Fetten und Salz soll künftig reduziert werden, insbesondere, wenn sie sich in ihrer Aufmachung an Kinder und Jugendliche richten. So soll der Zuckeranteil in Frühstückscerealien für Kinder bis Ende 2025 um mindestens 20 Prozent sinken, der Gehalt in gesüßten Milchprodukten, Erfrischungsgetränken sowie in fruchthaltigen Getränken mit Zuckerzusatz um jeweils 15 Prozent. Völlig verboten ist mittlerweile der Zusatz von Zucker und anderen süßenden Zutaten in Säuglings- oder Kleinkindertees.
Im Dezember 2020 hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) den ersten Zwischenbericht zur NRI vorgelegt. In fast allen untersuchten Produktgruppen ist der Zuckergehalt seit der Basiserhebung gesunken. Keine signifikante Veränderung zeigte sich lediglich bei den fruchthaltigen Getränken mit Zuckerzusatz.
Die NRI setzt den Schwerpunkt auf Fertigprodukte, weil sie in der heutigen Ernährungsweise eine große Rolle spielen. Zucker ist nämlich nicht nur in Schokolade, Kuchen oder Limonade enthalten, er süßt auch Ketchup, Salatsoßen oder Eingekochtes im Glas. Daten aus Verzehrstudien zeigen, dass ein großer Anteil des konsumierten freien Zuckers in Deutschland aus Süßwaren (36 Prozent), Fruchtsäften und Nektaren (26 Prozent) sowie Limonaden (12 Prozent) stammt. Insbesondere süße Getränke sind gefährlich: Da sie keinen Sättigungseffekt haben, wird oft mehr getrunken als gesund ist.
Bei manchen Altersgruppen hat freier Zucker deshalb einen deutlich höheren Anteil an der Gesamtenergieversorgung als die 10 Prozent, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die Deutsche Adipositas-Gesellschaft und die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfehlen. Umgerechnet auf eine tägliche Zufuhr von 2000 kcal wären 50 Gramm Zucker pro Tag in Ordnung; Frauen zwischen 15 und 80 Jahren kommen hingegen durchschnittlich auf 61 Gramm am Tag (rund 14 Energieprozent), Männer in der gleichen Altersgruppe sogar auf 78 Gramm am Tag (rund 13 Energieprozent). Kinder und Jugendliche konsumieren sogar bis zu 17,5 Energieprozent. Eine hohe und häufige Zuckerzufuhr fördert aber die Entstehung von Übergewicht und Adipositas sowie zahlreiche mit Übergewicht assoziierte Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskuläre Erkrankungen. Nicht zuletzt begünstigt Zucker auch die Entstehung von Karies.
Der Begriff »freier Zucker« umfasst die von Herstellern zugesetzten Mono- und Disaccharide sowie den in Honig, Sirup und Fruchtsäften natürlich vorkommenden Zucker. Zucker aus frischem Obst und Gemüse zählt nicht dazu.
Quelle: World Health Organization (WHO)
Zucker lässt sich an vielen Stellen einsparen. Dabei muss nicht sofort alles Süße vom Speiseplan gestrichen werden. Besser ist es, Zuckerfallen zu finden und sich Schritt für Schritt von bestimmten Ernährungsgewohnheiten zu trennen. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, stark verarbeitete und zuckergesüßte Lebensmittel selten und maßvoll zu verzehren und zuckergesüßte Getränke durch Wasser oder ungesüßte Tees zu ersetzen. Kinder sollten sich am besten erst gar nicht an Zucker und seinen süßen Geschmack gewöhnen. Das setzt allerdings eine hohe Ernährungskompetenz von Verbrauchern voraus, um aus der Vielzahl von Lebensmitteln im Supermarkt diejenigen auswählen zu können, die im Hinblick auf den Zuckergehalt günstig sind. Dabei spielt die Nährwertkennzeichnung eine wichtige Rolle.
Die Form der Nährwertkennzeichnung ist seit Dezember 2016 durch die EU-Lebensmittel-Informationsverordnung Nr. 1169/2011 (LMIV) für alle vorverpackten Lebensmittel EU-weit vorgegeben. So muss auf dem Etikett tabellarisch der Gehalt der sieben Nährwerte Energie, Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß und Salz pro 100 g beziehungsweise 100 ml stehen. Auf Gummibärchen ist beispielsweise die Angabe »Kohlenhydrate: 77 g, davon Zucker: 46 g« zu finden.
Diese Pflichtangaben dürfen die Hersteller durch bestimmte freiwillige Angaben ergänzen. So dürfen beispielsweise positive Nährwerteigenschaften wie »zuckerarm« oder »zuckerfrei« verwendet werden, wenn sie den Anforderungen der europäischen Health-Claims-Verordnung entsprechen. Freiwillig dürfen die Hersteller auch die Werte pro Portion ergänzen, entweder tabellarisch oder als grafische Darstellung in Form kleiner Tonnen. Doch die Portionsangaben sind von den Herstellern oft unrealistisch klein gewählt, um den Zuckergehalt zu drücken und das Produkt gesund zu rechnen. Außerdem problematisch: Anhand der Nährwertdeklaration lässt sich nicht erkennen, ob es sich um natürlich enthaltenen Zucker beispielsweise aus Trockenobst oder um zugesetzten Zucker handelt. Eine separate Deklaration für den Gehalt an freien oder zugesetzten Zuckern gibt es in Deutschland bislang nicht.
Aber diese Information lässt sich aus der Zutatenliste ablesen. Dort müssen alle Zutaten in absteigendem Mengenverhältnis aufgeführt sein. Je weiter vorne eine Zutat steht, desto größer ist also ihr Anteil im gesamten Produkt. Auf diese Weise kann zumindest grob auf den mengenmäßigen Anteil im Lebensmittel geschlossen werden. Doch Achtung: Zucker dort als solchen auszumachen, erfordert teilweise detektivisches Geschick.
Ist in der Zutatenliste ausdrücklich Zucker aufgelistet, ist Rüben- oder Rohrzucker, also Saccharose gemeint. Doch er ist nur einer von vielen Einfach- und Zweifachzuckern, die in einem Produkt enthalten sein können. Zutaten mit der Endung –ose deuten ebenso auf Zucker hin, beispielsweise Fruchtzucker (Fructose), Traubenzucker (Glucose, die veraltete Bezeichnung Dextrose) oder Malzzucker (Maltose). Süß sind auch Fructose-, Glucose-, Karamell(zucker-) oder Invertzuckersirup, Süßmolkenpulver beziehungsweise Maltodextrin. Andere Hersteller setzen wiederum auf vermeintlich natürlichere Zuckeralternativen und verwenden Honig, Agavendicksaft, Ahornsirup, Birkenzucker, Kokosblütenzucker oder Gerstenmalzextrakt. Doch von ein paar Mineralstoffen abgesehen, die mengenmäßig nicht ins Gewicht fallen, bestehen sie ebenfalls vor allem aus Zucker.
Auch Süßungsmittel müssen in der Zutatenübersicht aufgelistet werden. Derzeit sind in der EU elf Süßstoffe (bis zu 37.000-mal süßer als Saccharose, größtenteils kalorienfrei) und acht Zuckeraustauschstoffe (etwa die Hälfte der Süßkraft von Saccharose, rund 40 Prozent weniger Kalorien) zugelassen. Im industriellen Einsatz werden sie vielfältig miteinander kombiniert, um ihre geschmacklichen und technologischen Vorzüge herauszuarbeiten. Außerdem entwickeln sie teilweise synergistische Effekte, ihre gemeinsame Süßkraft ist dann größer als die Summe der einzelnen. Im Mix sind dann geringere Verwendungsmengen nötig, weshalb sie sich in der Zutatenliste mit ihrem konkreten Namen oder der entsprechenden E-Nummer meist weit hinten einreihen. Auf dem Etikett muss zusätzlich der Hinweis »mit Süßungsmittel(n)« stehen.
Süßungsmittel können eine Alternative für Menschen sein, die Kalorien sparen, aber auf einen süßen Geschmack nicht verzichten möchten. Ein Vorteil ist auch, dass sie von den kariesfördernden Bakterien im Mund ignoriert werden und daher nicht kariogen sind. Zuckeraustauschstoffe werden nur verzögert ins Blut aufgenommen und können dadurch untere Darmabschnitte erreichen. Dort ziehen sie Wasser und lösen mitunter Blähungen und Durchfälle aus. Lebensmittel, die mehr als 10 Prozent Zuckeraustauschstoffe enthalten, müssen deshalb den Hinweis »Können bei übermäßigem Verzehr abführend wirken« tragen. Zuckeraustauschstoffe sind ebenfalls nicht oder nur geringfügig kariogen.
Der Nutri-Score ist zur Identifizierung von zuckerarmen Lebensmitteln nur bedingt geeignet. Die fünfstufige Skala, die von »A« (vorteilhafte Nährwertqualität, dunkelgrün) bis »E« (weniger vorteilhafte Nährwertqualität, rot) reicht, bewertet die ernährungsphysiologische Qualität eines verarbeiteten Lebensmittels. Dazu rechnet sie die günstigen Nährstoffe (Proteine, Ballaststoffe, Obst, Gemüse und Nüsse) gegen die ungünstigen Parameter (Energie, gesättigte Fettsäuren, Gesamtzucker und Salz) auf. Auf diese Weise ermöglicht der Nutri-Score dank seiner einheitlichen Bezugsgröße zwar den direkten Produktvergleich innerhalb einer Lebensmittelkategorie, Angaben zu einzelnen Nährstoffen wie Zucker macht er aber nicht. Ein Lebensmittel kann daher theoretisch einen positiven Nutri-Score tragen, sofern der hohe Zuckergehalt mit Protein und Ballaststoffen ausgeglichen wird.
Wer sicher sein will, was drin ist, wird selbst aktiv. Saucen und Dressings können leicht aus Grundzutaten wie Tomatenmark, Sauerrahm oder Senf selbst angerührt werden. Müsli beispielsweise ist aus Vollkornflocken, Naturjoghurt und frischem Obst ebenso leicht selbst zusammengestellt. Gute Planung ist dabei alles: Ein Speiseplan für die kommende Woche erleichtert den Einkauf und den Aufbau einer Speisekammer, die frei von Zuckerfallen ist.